Heute werden auf einer Pressekonferenz unter dem Dach der Berliner Amadeu Antonio Stiftung 100 Projekte vorgestellt, die sich in diesem Jahr bundesweit an den diesjährigen Aktionswochen gegen Antisemitismus beteiligen. Doppelt so viele, wie im Jahr zuvor.
„Was Ihr mit Euren Nachbarn macht ist noch eine Nummer größer als der Holocaust!” Solche und ähnliche Anfeindungen überhäuften in diesem Sommer den Zentralrat der Juden in Deutschland und andere jüdische Einrichtungen. Der israelische Kriegseinsatz im Libanon wurde in der deutschen Presse und auf den Friedensdemonstrationen zum Anlass genommen, jahrhunderte alte antisemitische Stereotype neu aufzulegen. Begleitet wurden diese Äußerungen von den in Deutschland normal gewordenen antisemitischen Vorfällen: Friedhofsschändungen, antisemitische Schmierereien an Hauswänden und Denkmälern, judenfeindliche Äußerungen auf Demonstrationen, „du Jude” als Schimpfwort auf Schulhöfen, Übergriffe auf Personen; die Liste antisemitischer Straf- und Gewalttaten reißt nicht ab. Jüngste Beispiele: „Synagogen müssen brennen”, „Auschwitz ist wieder da” lauteten Beschimpfungen von Zuschauern gegenüber Fußballspielern des jüdischen Vereins TuS Makkabi II in Berlin. Und in Parey in Sachsen-Anhalt wurde ein 16-jähriger Junge von Mitschülern gezwungen, mit einem Schild über den Schulhof zu laufen: „Ich bin am Ort das größte Schwein, ich lass mich nur auf Juden ein”.
Erst in der vergangenen Woche wurde erneut ein jüdisches Mahnmal am Lindenufer in Berlin Spandau beschmiert. Das Mahnmal erinnert an eine 1895 erbaute Synagoge, die in der Pogromnacht 1938 zerstört worden war.
Solche Vorfälle finden zwar gelegentlich Erwähnung in der Lokalpresse, vertieftes Nachdenken darüber aber ist rar. Dazu wollen die Aktionswochen gegen Antisemitismus anstiften, in deren Rahmen sich die Projektpartner zahlreicher Vor-Ort-Initiativen miteinander vernetzen.
Teilnehmerzahl verdoppelt
Im vergangenen Herbst hatten 50 Partnerorganisationen in 20 Städten und Gemeinden Lesungen, Vorträgen, Filmvorführungen, Ausstellungen, Stadtrundgängen, Gedenkveranstaltungen und Diskussionsrunden organisiert. In diesem Jahr sind es doppelt so viele. Sie werden rund um den 9. November Aktionen und Veranstaltungen initiieren, die auf das nach wie vor aktuelle Thema „Antisemitismus” aufmerksam machen werden – das sind Vereine, Initiativen, Studentengruppen, Schulen, Arbeitsgemeinschaften, aber auch Einzelpersonen, die der Pogromnacht vor 68 Jahren gemeinsam mit anderen Menschen und für andere Menschen gedenken möchten, dies in 50 Orten aus den neuen und alten Bundesländern. Einige Beispiele:
— In Bernau, einer Kleinstadt in Brandenburg werden unter dem Titel „Aktionswochen gegen Antisemitismus Bernau” Informationsveranstaltungen, Filmabende, Liederabende und Gedenkstättenfahrten angeboten. Bis in den Januar 2007 hinein reicht das Programm.
— In Bad Langensalza wollen junge Menschen einer Jugendinitiative innerhalb der dortigen „Aktionswoche zur Reichspogromnacht” auf die Aktualität von Antisemitismus aufmerksam machen.
— Seit Oktober und bis in den Dezember hinein laufen in Wurzen die Projektwochen zu Antisemitismus unter dem Titel: „… man wird doch wohl noch sagen dürfen”, koordiniert vom dortigen Netzwerk für demokratische Kultur. Die Ergebnisse des Kunstworkshops „Antisemitismus heute?! Suchen – sammeln – sichtbar machen” können noch bis Mitte November am Domplatz 5 besichtigt werden.
— Ein Zusammenschluss aus der Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände und des Pfadfinderinnen- und Pfadfinderbundes Nord bietet innerhalb der Hamburger Aktionstage „respekt – gegen alltägliche Gleichgültigkeit” fünf themenbezogene Workshops für Menschen jeden Alters an.
— Im November werden auch 12 New Yorker Rabbiner nach Deutschland reisen, um mit Schülern aus vier Berliner Schulen in einen Dialog zu treten. Geplant ist eine Begegnung, welche die gängige Täter – Opfer – Dichotomie zugunsten persönlicher Geschichten vermeidet. Es sollen Lebenslinien ausgetauscht werden, die anhand von persönlichen Gegenständen der Zusammentreffenden von Schicksalen, Wanderungen, Hoffnungen und Ängsten erzählen. LehrerInnen vernetzen Schulen miteinander, Zeitzeugen berichten von ihrem „Leben nach dem Überleben”, Vereine inspirieren sich gegenseitig mit neuen Ideen und Projektvorschlägen.
Zum dritten Mal
Die „Aktionswochen gegen Antisemitismus” finden bereits zum 3. Mal rund um den 9. November statt. Die Amadeu Antonio Stiftung ruft interessierte Initiativen und Vereine vor Ort auf, sich mit vielfältigen Projekten auf lokaler Ebene an den Aktionswochen zu beteiligen. Sie unterstützt die lokalen Initiativen bei der Ideenfindung, Realisierung und Durchführung der Veranstaltungen. Neben Anregungen zum Programm gibt es ein gemeinsames Kampagnenplakat, das bei der Stiftung ausgeliehen oder bestellt werden kann, und auf dem alle Mitveranstalter aufgeführt sind. Ebenfalls entleihbar ist eine Wanderausstellung zum Thema aktueller Antisemitismus.