Angesichts der anhaltenden Diskussionen darüber, wann eine Gewalttat
politisch rechts oder rassistisch motiviert ist, erklären fünf
Beratungsprojekte für Opfer rechter Gewalt in Berlin, Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt:
Es ist eine politische Frage des Wahrnehmen-Wollens oder des
Verharmlosen-Wollens, rechte Gewalt beim Namen zu nennen. Denn seit dem
Jahr 2001 ist auch bundesweit einheitlich geregelt, in welchen Fällen
eine Gewalttat als „politisch rechts motiviert“ einzuordnen ist:
Der politisch rechts motivierten Kriminalität werden Straf- und
Gewalttaten zugeordnet,„wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des
Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person
gerichtet sind wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität,
Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft
oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer
sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status und die
Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem
Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.“
(Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2002, H. 5,
S.325–340)
Aus der Sprache der Sicherheitsbehörden in den Alltag übersetzt, heißt
das: Wenn ein Obdachloser von einer Jugendclique als “Scheiß-Assi”
bezeichnet und geschlagen wird, wenn ein Punk von Rechten als “Zecke”
beschimpft und angegriffen wird, oder wenn ein Afrodeutscher als
„Nigger“ beleidigt und dann zusammengeschlagen wird, gelten diese
Gewalttaten als politisch rechts motiviert. Mit der Reform, die von
allen Innenministern – auch von Brandenburgs Innenminister Jörg
Schönbohm –gemeinsam beschlossen wurde, sollte den Defiziten in der
staatlichen Wahrnehmung rechter und rassistischer Gewalt in den 1990er
Jahren Rechnung getragen werden. Das Ziel war es, die Wirklichkeit in
den alten und neuen Bundesländern erfassen zu können.
Die Realität ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass
Afrodeutsche, Flüchtlinge und MigrantInnen auf offener Straße oder in
öffentlichen Verkehrsmitteln zusammengeschlagen werden. Die Täterinnen
und Täter fühlen sich durch rassistische, minderheitenfeindliche
Diskurse legitimiert, als “Vollstrecker des Volksempfindens”
zuzuschlagen. Die wenigsten Täter und Täterinnen sind Mitglieder der NPD
oder einer neonazistischen Organisation. Auch die Annahme, dass alle
Täter Jugendliche seien, ist falsch. Sie sprechen ihren Opfern mit
Gewalt die Menschenwürde und das Recht auf körperliche Unversehrtheit
ab, allein weil diese vermeintlich oder tatsächlich nichtdeutscher
Herkunft sind oder weil sie ihnen nach sozialdarwinistischen Kriterien
als „unwert“ gelten.
Rechte Gewalt hat in den vergangenen 15 Jahren tiefe Spuren
hinterlassen. Die Traumatisierung der Hinterbliebenen und Freunde der
Getöteten; viele für ihr Leben beeinträchtigte und verletzte Menschen;
Ehepartner, die ihre Lieben nicht vor rassistischer Diskriminierung und
Gewalt bewahren können; Eltern, die ohnmächtig mit ansehen müssen, wie
ihre Kinder auf der Straße und in der Schule von neonazistischen
Schlägern bedroht werden – Die Zahl derer, die von rechter Gewalt
betroffen sind, geht weit über die Statistiken hinaus. Die fatalen
Konsequenzen der Verharmlosung rechter Gewalt sind tagtäglich spürbar.
Diese Verharmlosung stützt die Täter und lässt die Betroffenen schutzlos
zurück. Die Beratungsprojekte für Betroffene rechter Gewalt setzen sich
dafür ein, dass die Perspektive der Opfer in der gesellschaftlichen
Diskussion wahrgenommen wird und die Solidarisierung mit den Betroffenen
an die Stelle von Imagepflege und Kompetenzgerangel tritt.
AMAL – Hilfe für Betroffene rechter Gewalt e.V. (Sachsen)
www.amal-sachsen.de
LOBBI e.V. (Mecklenburg-Vorpommern)
www.lobbi-mv.de
Opferperspektive e.V. (Brandenburg),
www.opferperspektive.de
Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt bei
Miteinander e.V. (Sachsen-Anhalt), www.mobile-opferberatung.de
ReachOut
(Berlin) www.reachoutberlin.de