(MAZ, 10.12., Frank Schauka) POTSDAM Im Streit mit der Landesregierung um die Einsichtnahme in Akten des
Verfassungsschutzes hat die PDS gestern vor dem Landesverfassungsgericht
einen Erfolg errungen. Die offiziell für erledigt erklärte Affäre um einen
kriminellen V‑Mann des Verfassungsschutzes aus der Neonazi-Szene kann nach
diesem Urteil möglicherweise neu aufgerollt werden. Ungereimtheiten zur
Rolle der Geheimen in der Angelegenheit gibt es nach wie vor.
Mit 5:4‑Mehrheit entschieden Brandenburgs oberste Richter, dass die
rot-schwarze Regierung die Landesverfassung verletzt hatte, als sie im
November 2003 den Antrag der PDS-Landtagsabgeordneten Kerstin Kaiser-Nicht
ablehnte. Die Politikerin, die der Parlamentarischen Kontrollkommission
(PKK) zur Überwachung des Geheimdienstes angehört, hatte die Akten des
enttarnten V‑Manns Toni S. einsehen wollen, um die massive Kritik des
Berliner Landgerichts an den Potsdamer Verfassungsschützern zu überprüfen.
In ihrem Urteil gegen Toni S. hatten die Berliner Richter den Geheimen
vorgeworfen, der V‑Mann habe “mit Wissen und Billigung” der Behörde tausende
CDs mit Nazi-Hassmusik produziert und vertrieben.
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und der Verfassungsschutz hatten die
Vorwürfe stets zurückgewiesen und in mehreren PKK-Sitzungen Auskünfte
erteilt. Die aus zwei SPD-Mitgliedern und einem CDU-Mitglied bestehende
PKK-Mehrheit hatte keinerlei Zweifel an diesen Angaben und erklärte die
Angelegenheit für erledigt — unter Verzicht auf das der PKK zustehenden
Akteneinsichtsrechts und trotz weiterer Bedenken des PKK-Mitglieds
Kaiser-Nicht.
Nach dem — möglicherweise wegweisenden — Urteil der Brandenburger
Verfassungsrichter steht nicht nur der PKK als Gesamtgremium bei
entsprechendem Mehrheitsbeschluss das Recht der Akteneinsicht zu, sondern -
zumindest potenziell — auch jedem einzelnen PKK-Mitglied. Dieses der
Landesverfassung immanente Recht hatten SPD und CDU bisher in Abrede
gestellt und Akteneinsichtsanträge abgelehnt. So verfuhren nicht nur die
rot-schwarze Landesregierung, sondern auch die SPD/CDU-Mehrheiten im
Parlament und der PKK.
Aus dem Urteil der Verfassungsrichter ergibt sich für Kaiser-Nicht jedoch
nicht zwangsläufig das Recht, die Verfassungsschutz-Akte Toni S. einsehen zu
dürfen. Das Innenministerium ist nach dem Richterspruch allerdings
verpflichtet, den Antrag erneut und insbesondere eingehender zu prüfen, als
dies bisher geschehen ist. Innenminister Schönbohm kündigte schon gestern
eine neuerliche Prüfung des Antrags an.
Kaiser-Nicht ist optimistisch. “Das Urteil ist ein wichtiger Sieg des
Parlaments und insbesondere der Opposition”, erklärte sie nach der
Urteilsverkündung durch Verfassungsgerichtspräsidentin Monika
Weisberg-Schwarz. Kaiser-Nicht geht davon aus, dass ihr die Akteneinsicht
nach der Begründung des Gerichts nicht länger verweigert werden kann.
Tatsächlich haben die Verfassungsrichter darauf hingewiesen, dass die
Ablehnung des Akteneinsichtsantrags bei einem PKK-Mitglied, das im Gegensatz
zu anderen Abgeordneten zu besonderer Geheimhaltung verpflichtet ist,
besonders kompliziert ist.
CDU-Generalsekretär Sven Petke forderte die PDS bereits auf, Kaiser-Nicht
aus der PKK abzuziehen. Es wäre unerträglich, wenn — wie im Fall
Kaiser-Nicht — eine ehemalige Stasi-Informantin Einsicht in Akten des
Verfassungsschutzes erhalten würde.
PDS erreicht Einsicht in V‑Mann-Akten
Verfassungsgericht gibt PKK-Mitglied recht
(LR, 10.12.) Das Potsdamer Innenministerium hat mit einem verfassungswidrigen Bescheid
der PDS-Abgeordneten Kerstin Kaiser-Nicht die Einsicht in
Verfassungsschutzakten in einer V‑Mann-Affäre verweigert. Das befand das
Landesverfassungsgericht Brandenburg gestern in seinem Urteil zu einer Klage
des Mitglieds der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK).
Die Richter hätten aber nicht darüber entschieden, ob ihr die Akteneinsicht
hätte gewährt werden müssen, heißt es in der Mitteilung. Eine Klage des
Nicht-PKK-Mitglieds und Parlamentarischen Geschäftsführers der PDS-Fraktion,
Heinz Vietze, wurde dagegen aus Geheimschutzgründen abgelehnt. Der
Innenminister hatte im November 2003 die Anträge der PDS-Abgeordneten
Kaiser-Nicht und Heinz Vietze auf Akteneinsicht unter Hinweis darauf
abgelehnt, dass die Geheimhaltungsbedürftigkeit des Akteninhalts einer
Einsichtnahme in die Vorgänge um den V‑Mann des Verfassungsschutzes Toni S.
entgegenstehe (siehe Hintergrund).
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) bezeichnete das Urteil als “tragfähige
Grundlage für parlamentarische Kontrolle”, da es kein allgemeines
Akteneinsichtsrecht in Verfassungsschutzangelegenheiten ermögliche. Die PKK
hätte damals erklärt, die Akteneinsicht sei ausschließlich ein Recht der
Kommission als Ganzes. An dieses Votum habe sich der Innenminister gebunden
gesehen. Nach dem Urteil des Gerichtes ist die Landesregierung bei ihrer
Ablehnung jedoch nicht der Verpflichtung nachgekommen, die “widerstreitenden
Gesichtspunkte zu ermitteln, abzuwägen und die tragende Begründung der
ablehnenden Entscheidung der Abgeordneten mitzuteilen”. So sei die besondere
Verschwiegenheitspflicht Kaiser-Nichts unberücksichtigt geblieben.
Nach Ansicht von Kaiser-Nicht ermöglicht das Urteil die “künftige Kontrolle
des Verfassungsschutzes durch die Opposition”. Der Organstreit von Vietze,
der kein Mitglied der PKK ist, blieb hingegen nach Gerichtsangaben ohne
Erfolg.
Hintergrund Der Fall Toni S.
Der rechtsradikale Toni S. war im Juli 2002 von der Berliner Polizei als
V‑Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes enttarnt worden. Das Berliner
Landgericht verurteilte S. wegen Volksverhetzung , Gewaltdarstellung und
Verwendung von Nazi-Symbolen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Das Gericht
befand zudem, Verfassungsschützer hätten dem V‑Mann bei seinen rechten
Umtrieben teils tatkräftig zur Seite gestanden. So soll S. vor einer
Polizei-Razzia gewarnt worden sein.