(MAZ, 24.9.04) Der Präsident des Landgerichts Frankfurt (Oder), Christian Gaude, hat
die CDU-Landtagsabgeordneten Sven Petke und Ingo Senftleben wegen
Beleidigung angezeigt — ein Novum in der märkischen Rechtsgeschichte.
Damit reagierte Gaude auf eine Pressemitteilung der Parlamentarier vom
Juli 2004, in der sie die Amtsenthebung des Bernauer Amtsrichters
Andreas Müller wegen angeblicher Rechtsbeugung mit den Worten forderten:
“Eine solche Person gehört auf keinen Richterstuhl, sie gehört weg.”
Brandenburgs Richterbundsvorsitzender Wolf Kahl hatte unmittelbar nach
dieser Schelte die richterliche Unabhängigkeit verteidigt.
Petke und Senftleben hatten die Amtsenthebung verlangt, weil Müller in
einem Cannabis-Prozess umfangreiche Gutachten einholen ließ und vor dem
Urteil eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten
wollte. Die Freiheit gefährlicher Drogendealer sei Müller wohl wichtiger
als die Anwendung von Recht und Gesetz, schlussfolgerte daraufhin Petke.
“Wenn Herr Müller nicht in der Lage oder gewillt ist, in seinem Amt die
strengen Maßstäbe des Rechtsstaats anzulegen und ihn sogar der
Lächerlichkeit preisgibt, ist er nicht mehr tragbar.”
Befriedigt reagierte gestern der rechtspolitische Sprecher der
PDS-Landtagsfraktion, Stefan Sarrach, auf die Anzeige: “Das ist ein
absolut überfälliger und notwendiger Schritt, um Politiker dieses
Kalibers, die keine Ahnung von Gewaltenteilung haben, in die Schranken
zu weisen.” Unverständlich ist für Sarrach jedoch, wieso sich das
Justizministerium bisher nicht öffentlich vor Amtsrichter Müller
gestellt und die richterliche Unabhängigkeit verteidigt hat, wie es
seine Aufgabe wäre.
CDU-Abgeordnete nach Richterschelte angezeigt
Vizepräsident des
Landgerichts wirft Sven Petke und Ingo Senftleben “Beleidigung und üble
Nachrede” vor
(Tagesspiegel, 24.9.04) Frankfurt (Oder) – Der Vizepräsident des Landgerichts Frankfurt (Oder),
Matthias Fuchs, hat Strafanzeige “wegen Beleidigung und übler Nachrede”
gegen zwei CDU-Politiker gestellt. Er wirft dem Vizeparteichef der
märkischen Union, Sven Petke, und dem Landtagsabgeordneten Ingo
Senftleben vor, den Bernauer Amtsrichter Andreas Müller in
unverantwortlicher Weise kritisiert zu haben, sagte ein Sprecher des
Frankfurter Landgerichts dem Tagesspiegel.
Sven Petke hatte im Juli dieses Jahres auf der CDU-Homepage unter
anderem Müllers Amtsenthebung wegen “Rechtsbeugung” gefordert.
Senftleben sprach davon, der Richter sei “nicht tragbar und müsse weg”.
Richter Müller war in der Vergangenheit immer wieder wegen seiner milden
Urteile in Prozessen gegen Cannabis-Konsumenten und Dealer aufgefallen.
Er leitete im Juli dieses Jahres eine Verhandlung, in der sich ein
21-Jähriger verantworten musste, der den Verkauf von 450 Gramm Haschisch
arrangiert haben soll. Müller ließ vier Gutachter kommen, um zu klären,
ob das mutmaßliche Vergehen strafrechtlich relevant sei.
Schon im Sommer 2001 hatte Andreas Müller das Verfahren gegen einen
20-Jährigen ausgesetzt, der mit fünf Gramm Cannabis erwischt worden war.
Er rief das Bundesverfassungsgericht an, das klären sollte, ob das
Verbot von Cannabisprodukten wie Haschisch und Marihuana nicht gegen das
Grundgesetz verstoße. Die Verfassungsrichter entschieden im Juli dieses
Jahres: Der Besitz von Haschisch bleibt auch in geringen Mengen verboten
(der Tagesspiegel berichtete).
Der Bernauer Richter verurteilte daraufhin jenen 21-Jährigen, der den
Verkauf von 450 Gramm Haschisch vermittelt haben soll, zu einer
Geldstrafe von 100 Euro. Und die brandenburgische CDU-Landtagsfraktion
verlangte Aufklärung über die “von Müller verursachten Verfahrenskosten”.
Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Oder) muss nun klären, ob sie
Anklage gegen die beiden CDU-Politiker erheben wird. Im Falle einer
Verurteilung droht ihnen eine Geldstrafe. Sandra Dassler
Richter zeigen Abgeordnete der CDU an
Vorwurf der üblen Nachrede
beschäftigt Staatsanwalt
(Berliner Zeitung, 24.9.04) FRANKFURT (ODER). Im Land Brandenburg bahnt sich ein neuer Konflikt
zwischen Justiz und Politik an: Der Vizepräsident des Landgerichts
Frankfurt (Oder), Matthias Fuchs, hat die beiden
CDU-Landtagsabgeordneten Sven Petke und Ingo Senftleben wegen übler
Nachrede angezeigt. Das bestätigte der Sprecher der Frankfurter
Staatsanwaltschaft, Ulrich Scherding, am Donnerstag der Berliner
Zeitung. Zudem ist auch noch eine Anzeige des Bernauer Amtsrichters
Andreas Müller gegen die beiden CDU-Parlamentarier eingegangen,
ebenfalls wegen übler Nachrede. Scherding: “Wir schauen uns das jetzt
ganz genau an.”
Hintergrund ist die harsche Kritik der beiden Abgeordneten an der
Prozessführung von Richter Müller. Der Bernauer Jugendrichter Müller,
der für die Legalisierung von Cannabis eintritt, hatte im Juni eine
Gerichtsverhandlung: Ein 21-Jähriger musste sich verantworten, weil er
den Verkauf von 450 Gramm Haschisch arrangiert haben soll. Müller
beabsichtigte, den jungen Mann freizusprechen und ließ mehrere Gutachter
ins Bernauer Amtsgericht kommen, die klären sollten, ob Cannabis-Konsum
überhaupt strafrechtlich zu belangen sei.
Petke, der stellvertretende Landeschef der CDU, hatte damals gesagt, der
Richter verhindere die Verfolgung schlimmer Drogendelikte. Und
CDU-Politiker Senftleben hatte für die CDU-Fraktion eine
Pressemitteilung verfasst (“Drogen-Richter Müller ist Gefahr für unsere
Kinder”). Dort erklärte Senftleben: “Eine solche Person gehört auf
keinen Richterstuhl, sie gehört weg.”
Richter Müller sagte am Donnerstag, er fühle sich durch “jene
Schmähkritik” in seiner Ehre verletzt. Er ziehe zudem auch eine
Schmerzensgeld-Klage in Betracht. Müller: “Öffentliche Verunglimpfungen
von Richtern durch Personen der Legislative nehmen zu.” Müllers
Dienstvorgesetzter im Landgericht Frankurt (Oder) begründete die Anzeige
auch damit, dass sich die an der Gerichtsverhandlung im Juni beteiligten
Schöffen ebenfalls von den Politiker-Vorwürfen getroffen fühlten.
Senftleben sagte am Donnerstag, er habe, was Drogen angehe, nun mal eine
völlig andere Auffassung als der Richter. Der PDS-Rechtspolitiker Stefan
Sarrach nannte die Kritik der CDU-Politiker dagegen “einen
unerträglichen Angriff von politischen Dummköpfen auf die Unabhängigkeit
der Justiz”.