Im Jahr 1997 sorgte das brandenburgische Dorf für Schlagzeilen, weil es den Zuzug russischer Juden verhinderte. Zukünftig sollen sich im Schloß Jugendliche aus aller Welt treffen. Das Umdenken fällt schwer
Kurz Vor dem Ortseingangsschild verspricht ein NPD-Plakat mehr Geld. Es ist das einzige Wahlplakat, das hier noch unbeschädigt hängt. Von den Laternen der Dorfstraße sind die Pappen der Parteien heruntergeholt, einige Politiker-Gesichter zerschnitten. Dahinter liegen akkurat gepflegte Gärten und hell verputzte Fassaden, nur ein paar schnatternde Gänse stören die Ruhe.
Ein Dorf wie jedes andere, wären da nicht die Meldungen von 1997, die Gollwitz über Nacht zum Inbegriff des Antisemitismus in Brandenburg gemacht hatten.
Jetzt holt die Gemeinde ihre Geschichte wieder ein. Und zwar genau dort, wo sie einst ihren Ausgangspunkt gefunden hatte.
Im Gollwitzer Herrenhaus ist es dunkel, die Elektroleitungen sind noch gekappt, feuchte Tapetenfetzen fallen von den Wänden. Seit zehn Jahren steht das Anwesen leer. Mit verschränkten Armen hören die Dorfbewohner die Ausführungen des neuen Eigentümers ihres Schlosses an. Ausführungen über ein jüdisch-deutsches Begegnungszentrum, das hier entstehen soll, über die Schwierigkeiten etwa, koschere Küche anzubieten.
Die Gollwitzer sind ungeduldig, sie wollen endlich durch die Räume streifen, in denen sie als Kinder an den Schulbänken saßen, in denen einige von ihnen gewohnt oder gearbeitet haben. Das Herrenhaus hat die Dorfgemeinde geprägt, mehr als es ihr lieb ist.
Die Ereignisse des Jahres 1997 werden in der Begrüßungsrede an diesem Sonntag vor der Bundestagswahl nicht erwähnt und doch sind sie der Grund, daß künftig gerade hier jüdische auf nichtjüdische Jugendliche treffen sollen.
Im September 1997 hatten die Vertreter der 400-Seelen-Gemeinde einen folgenschweren Beschluß gefaßt. Die Gollwitzer lehnten es damals ab, 50 jüdische Aussiedler aus Rußland in dem leerstehenden Herrenhaus unterzubringen. Aus Angst vor Kriminalität, sagen sie.
Aus dem Gollwitzer Beschluß entstand ein Flächenbrand. Kamerateams, Fotografen und Journalisten aus dem In- und Ausland zogen durch die unscheinbare Dorfstraße auf der Suche nach dem Fremdenhaß hinter den gepflegten Vorgärten. In Bussen wurden Demonstranten angefahren, die gegen die Gollwitzer Entscheidung protestierten. Niemand wird hier gern an jenen Herbst erinnert.
Mißverstanden fühlen sich viele. Eine rechtsradikale Szene habe es hier nie gegeben, die Gollwitzer seien “ganz normale Leute”, betont Andreas Heldt. Zwölf Jahre war er ehrenamtlicher Bürgermeister des Dorfes, seit August sitzt der 42jährige nun in der Stadtverwaltung von Brandenburg.
“Die Begegnungsstätte soll ein Zeichen der Versöhnung sein”, sagt Heldt. Die Initiative für den Imagewechsel kam aber nicht aus der Dorfgemeinde selbst. Viele hier sagen auch heute noch, daß sie lieber eine Seniorenresidenz in ihrem Schloß gesehen hätten. Doch der politische Druck war groß. Der damalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) persönlich kam nach Gollwitz, um für das Projekt zu werben. Im Jahr 2001 wurde die Stiftung “Begegnungsstätte Schloß Gollwitz” unter Beteiligung der Gemeinde Gollwitz gegründet.
Daß “ihr Schloß”, das nach der Wende dem Landkreis Potsdam Mittelmark zugesprochen wurde, endlich restauriert wird, wollen schließlich alle. Die Idee der Stiftung bleibt in den Köpfen vage.
Marco Schmeckebier ist in der Hausmeisterwohnung des Herrenhauses groß geworden. Er sucht nach seinen Jugendpostern an den Wänden, statt dessen findet er alte Wandzeitungen auf dem Dachboden. Mit der vorgesehenen Nutzung als Begegnungsstätte kann er nicht viel anfangen. “Ein Ferienheim für Kinder aus Deutschland wäre doch auch schön gewesen”, sagt Schmeckebier. Erwin Nowakowski zeigt seinen drei Söhnen, wo er früher zur Schule gegangen ist. “Hauptsache, das Gebäude wird erhalten”, sagt er. Wer hier einzieht, sei ihm eigentlich egal. Daß die Gollwitzer 1997 da anders dachten, findet er nachvollziehbar. “In so einem Nest haben die Leute doch immer Angst um Haus und Hof”, sagt der arbeitslose Handwerker, der inzwischen weggezogen ist.
Die 22jährige Mandy streift skeptisch durch ihre vertrauten Kindergarten-Räume. “Ich glaube kaum, daß die jüdischen Jugendlichen aus Amerika oder Israel Lust haben, ausgerechnet nach Gollwitz zu kommen”, sagt sie. Obwohl die meisten Skinheads, die es natürlich hier auch gibt, “inzwischen die Gegend verlassen” hätten — so wie eigentlich fast alle jungen Leute.
Doch die rechtsextreme DVU hat es in den Brandenburger Kommunalwahlen 2004 mit 6,1 Prozent schon zum zweiten Mal in den Landtag geschafft. Zur Bundestagswahl tritt nur die NPD an, den Wahlkampf jedoch hat die DVU bestritten. Erklärtes Ziel der NPD ist es, auf diese Weise ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl 2002 zu verdreifachen. Damals kam sie nur auf 1,52 Prozent. Die Mitgliederzahl der rechtsradikalen DVU ist in diesem Jahr nach eigenen Angaben von 350 auf 400 gestiegen.
“Die Politiker sind alle Verbrecher”, sagt Franko, der sich an diesem Nachmittag in der kleinen Gaststube “Gollwitzer Perle” ein Bier genehmigt. Verkauft und verraten hätte die Gemeindevertretung das Dorf. Gollwitz wurde im vergangenen Jahr eingemeindet, ist jetzt nur noch Stadtteil von Brandenburg an der Havel. Als Entschädigung gab es eine Kopfprämie für jeden Einwohner, 25 000 Euro davon fließen auch in die Stiftung für das Schloß.
Sein Stammtischnachbar pflichtet ihm bei. “Jetzt geht doch alles wieder von vorne los”, sagt er. Er meint die jüdischen Jugendlichen, die ins Schloß kommen sollen.
Peter-Andreas Brand vom Vorstand der Stiftung bleibt unerschütterlich: Würden brandenburgische Jugendliche hier in zwei Jahren erst einmal mit jüdischen Altersgenossen Fußball spielen, schwinden auch die Vorurteile, davon ist er überzeugt. Allerdings, räumt er ein, werde es nicht immer leicht sein, die Eltern im Ausland davon zu überzeugen, ihre Kinder hierherzuschicken.
Es gebe im Ausland Reiseführer, die ausdrücklich davor warnen, nach Brandenburg zu fahren. Und schon jetzt fährt auch regelmäßig eine Polizeistreife an dem Schloß vorüber. Sicherheitshalber.
Obwohl die Jugendlichen noch lange nicht da sind und das Begegnungszentrum eine Baustelle ist.