(MAZ, 19.4.) LEEGEBRUCH Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des Endes einer brutalen Diktatur
gestern Mittag am Mahnmal in Leegebruch. Der Bus mit polnischen und einigen
tschechischen ehemaligen Häftlingen trifft mit Verspätung ein. Unter ihnen
auch der ehemalige Häftling des KZ Sachsenhausen, Georg Motylow aus Gdansk.
Der jetzt 80-Jährige war damals knapp 20 Jahre alt und Zwangsarbeiter in den
Heinkel-Flugzeugwerken. Unter der Häftlingsnummer 48721, die er auch jetzt
an seinem Revers trägt. Er erlebt zum ersten Mal eine Gedenkfeier für
KZ-Häftlinge, die im Außenlager Heinkelwerke in Leegebruch tätig waren.
Motylow gehörte zum ersten Zwangsarbeiter-Tross von 300 Männern, der vom KZ
Sachsenhausen ins Heinkelwerk überführt worden war. Er kann sich noch genau
an alles erinnern. An die Kellerräume mit den Spinds, die Waschräume und die
dreistöckigen Betten, in denen sie geschlafen hatten. Sein Deutsch ist
verständlich, nur ab und zu muss der Dolmetscher nachhelfen. Bürgermeister
Horst Eckert ist sofort mit dem außergewöhnlichen Gast im Gespräch,
interessiert sich für seine Geschichte, die eng mit Leegebruch verbunden
ist. Wie wurde Motylow befreit, kam er mit dem Leben davon? Auch er sei
unter jenen Häftlingen gewesen, die noch kurz vor Kriegsende auf den
Todesmarsch gen Norden ziehen mussten. “Zwölf Tage sind wir gelaufen. Bis
Schwerin”, erzählt er. Dort erst waren die Häftlinge befreit worden.
Bürgermeister Horst Eckert möchte noch nachhaken und sich länger mit dem
Gast unterhalten. Auch Norbert Rohde von der Arbeitsgruppe Heimatgeschichte
im Kulturverein ist am Gespräch des ehemaligen Häftlings interessiert. Doch
der Busfahrer hupt bereits ungeduldig, der Zeitplan des Tages ist ohnehin
mächtig ins Schleudern gekommen. Adresse und Telefonnummer werden schnell
ausgetauscht. Man will sich nicht verlieren.
In den Gedenkreden sprach nicht nur Hans Rentmeister, Generalsekretär des
internationalen Sachsenhausen-Komitees, einen wunden Punkt an: Er forderte
im Namen der einstigen Opfer, dass das Mahnmal nicht einer Beliebigkeit zum
Opfer falle. Es solle so wieder errichtet werden, wie es einst war — mit der
Bekrönung und der Bekennung zur konkreten Geschichte. Dem wird vorerst eine
jetzt aufgestellte Informationstafel gerecht.
MAZ
19.04.05 ohvl
Zu Tode geschuftet
Gedenkfeier für die unzähligen Opfer des Außenlagers “Klinkerwerk”
TIM ACKERMANN
ORANIENBURG “Wenn wir im Lager über das Klinker-Kommando sprachen, packte
uns die Angst”, sagt Pierre Gouffault. “Denn der Tod schien dort auf uns zu
warten.” Gouffault hat das ehemalige Strafkommando und Außenlager
“Klinkerwerk” als Häftling erlebt — und überlebt. Am gestrigen Tag erinnerte
der Präsident des Internationalen Sachsenhausen Komitees bei einer
Gedenkveranstaltung im ehemaligen Klinkerwerk an die unzähligen Toten, die
das Außenlager des KZ von 1938 bis 1945 forderte.
Das Klinkerwerk gehörte zu den schlimmsten Orten des KZ Sachsenhausen: Die
dort eingesetzten Häftlinge schufteten sich teilweise im Wochenrhythmus zu
Tode. Mit den Ziegeln aus dem Klinkerwerk sollte Albert Speers
größenwahnsinniges “Germania”-Projekt, der gigantomanische Ausbau Berlins,
realisiert werden. Ab 1943 wurde das Klinkerwerk teilweise auf die
Rüstungsproduktion umgestellt.
Die grausige Geschichte des Werks lässt sich in der Dokumentation “Steine
für ‚Germania′ — Granaten für den ‚Endsieg′” nachempfinden, die bei der
gestrigen Gedenkveranstaltung wiedereröffnet wurde. Die Veranstaltung
markierte zudem das offizielle Ende der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag
der KZ-Befreiung in Oranienburg.
Noch einmal waren zahlreiche Holocaust-Überlebende anwesend, um auf dem
Klinkerwerk-Gelände ihrer ermordeten Kameraden zu gedenken. “Es fällt mir
nicht leicht, diesen Ort zu besuchen, an dem die Stimmen der Toten zu uns
sprechen”, sagte Ilan Mor, der Gesandte des Staates Israel. Anschließend
wurden auf einem Sockel aus Ziegelsteinen Kränze für die ermordeten
Häftlinge niedergelegt.
Auch Guy Chataigné aus Bordeaux gedachte mit einem Blumenkranz seiner
Kameraden. Chataigné — dem ein eigenes Kapitel in der Dokumentation gewidmet
ist — erzählte von den schrecklichen Begebenheiten im Klinkerwerk. Er wurde
1943 von den Deutschen wegen seiner Widerstandstätigkeit nach Sachsenhausen
verschleppt. Ab 1944 arbeitete er im Klinkerwerk als Taschenträger für die
Granatengießerei. Eine gefährliche Arbeit, denn das heiße Metall konnte aus
den Taschen spritzen und sich dann in die Haut brennen. Aus seinem Leid
befreit, wurde der heute 81-Jährige erst am Ende des Todesmarsches.
“Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft”, sagte Chataigné, als er sich
von seinen Zuhörern verabschiedete. Dass es eine Zukunft ohne Faschismus
sein möge, das war wohl allen Gästen der Gedenkveranstaltung ein
Herzenswunsch.