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Geständnisse im Prozess um den Mord von Potzlow


TAGESSPIEGEL

 

Das Entset­zen in Saal 2


In Neu­rup­pin ste­hen drei junge Män­ner vor Gericht: Sie töteten einen Jun­gen so, wie es in einem Film gezeigt wird

 


Es ist diese Stille im Saal 2, die jeden Satz der jun­gen Staat­san­wältin umschließt und den Vor­trag der Anklageschrift unerträglich macht. „Aus Angst vor weit­eren Schlä­gen erk­lärte Mar­i­nus, er sei ein Jude, obwohl dies nicht zutraf“, sagt Eva Hoffmeis­ter. Pause. Nie­mand regt sich im Pub­likum. „Spätestens in dem Moment, als Mar­i­nus gezwun­gen wurde, in die Kante des Schweinet­ro­ges zu beißen, kamen die Angeklagten stillschweigend übere­in, das Opfer umzubrin­gen.“ Schweigen. Nichts raschelt in dem voll beset­zten, lang gestreck­ten Raum. Hoffmeis­ter star­rt in die aufgeklappte Seite. Der Angeklagte Mar­cel S. sei dann mit seinen Springer­stiefeln hochge­sprun­gen „und mit bei­den Beinen mit voller Wucht auf den fix­ierten Hin­terkopf von Mar­i­nus“. Die Staat­san­wältin blät­tert um. „Infolge des Sprungs kippte Mar­i­nus blu­tend und im Gesicht entstellt zur Seite und gab nur noch ein schwach­es Röcheln von sich.“ Würde jet­zt jemand weinen oder gar schreien, es wäre fast eine Erlö­sung. Doch bis auf die Staat­san­wältin bleibt es still in Saal 2.

 

Kaum mehr als zehn Minuten braucht Hoffmeis­ter, dann ist die Anklageschrift ver­lesen. Im Landgericht Neu­rup­pin hat der Pot­zlow-Prozess begonnen. Drei junge Män­ner sind angeklagt. Die Brüder Mar­co und Mar­cel S. und ihr Kumpan Sebas­t­ian F. haben in der Nacht zum 13. Juli 2002 den 16-jähri­gen Mar­i­nus Schöberl über Stun­den hin­weg zu Tode gefoltert. Weil der schwäch­liche, zum Stot­tern neigende Junge, mit blond gefärbten Haaren und weit­en Hiphop­per-Hosen, im recht­sex­tremen Welt­bild des Trios als Unter­men­sch und leicht­es Opfer galt. Jet­zt sitzen die drei da und wirken selb­st schwach.

 

Mar­co S., mit 24 Jahren der Älteste, hat ein Base­cap tief ins Gesicht gezo­gen. Als Rich­terin Ria Bech­er seine per­sön­lichen Dat­en abfragt, bestätigt Mar­co S. die Angaben mit „mmh“ und „richtig“. Sein Brud­er Mar­cel, 18 Jahre alt, trägt auch ein Base­cap, fast über den Augen. Sebas­t­ian F., eben­falls 18, schaut mit großen Augen und herun­terge­zo­ge­nen Mund­winkeln in den Saal. Als könne er selb­st nicht fassen, was jet­zt passiert und was er getan hat. Die Rich­terin liest seine Dat­en vor, F. nickt nur. Dann senkt sich der Kopf, so tief, dass er rechtwin­klig vom Nack­en abste­ht. In dieser Hal­tung, die gefal­teten Hän­den auf dem Tisch, hört F. die Anklageschrift. Mar­co S., der einen Monat nach dem Mord auch noch einen Afrikan­er ver­prügelt hat, senkt den Kopf nur halb. Sein Brud­er Mar­cel sitzt ger­ade, das trotzige Gesicht beina­he aufrecht.

 

Kein­er der drei sieht noch aus wie ein Skin­head. Ordentliche Kurzhaar­frisuren, Sports­wear ohne Auf­fäl­ligkeit­en. Im Juli 2002 liefen sie in szene­typ­is­chem Out­fit herum, kahl rasiert, Bomber­jacke, Stahlkap­pen­schuhe. Sie waren eine Macht im uck­er­märkischen Pot­zlow. Die Stärke hat Mar­i­nus Schöberl offen­bar imponiert. Jeden­falls fühlte er sich zu den drei Glatzköpfen hinge­zo­gen, vor allem zu seinem Kumpel Mar­cel. Der ihn dann am schlimm­sten trak­tierte und ihm in dem Schweinestall den tödlichen „Bor­d­stein­kick“ ins Genick ver­set­zte. So wie es ein Neon­azi im Film „Amer­cian His­to­ry X“ an einem Schwarzen demon­stri­ert. Mar­cel war es auch, der zweimal einen schw­eren Stein auf den Kopf von Mar­i­nus warf, um sicherzuge­hen, dass er tot ist. Und Mar­cel führte im Novem­ber prahlend einen Kumpel zur Jauchegrube, in der sie Mar­i­nus ver­schar­rt hat­ten. Son­st wäre das Mor­dopfer wohl nie ent­deckt worden.

 

Im Gerichtssaal geben die Angeklagten fast nichts von sich. Vielle­icht sind sie auch nicht in der Lage, sich vor größerem Pub­likum zu äußern. Mar­co S. hat nach der 7. Klasse die Schule abge­brochen. Seine krim­inelle Kar­riere ist beachtlich: Mehr als ein Dutzend Vorstrafen, drei Jahre Haft. Mar­co S. war erst neun Tage frei, als der Mord geschah.

 

Der sechs Jahre jün­gere Mar­cel hat den großen Nazi-Brud­er immer bewun­dert. So sehr, dass Mar­cel sich am Tag, bevor Mar­co aus dem Gefäng­nis kam, aus Verehrung eine Glatze scheren ließ. Vorher hat­te Mar­cel zwis­chen den Jugend­szenen gepen­delt: Mal Hiphop­per, dann wieder Neon­azi. Der dritte Angeklagte, Sebas­t­ian F., gab sich durchgängig „mega rechts“. Der ehe­ma­lige Son­der­schüler nahm wie Mar­cel an einem Berufs­förder­lehrgang teil, mit großen Prob­le­men. Als ihn der psy­chi­a­trische Sachver­ständi­ge in der U‑Haft auf­suchte, lehnte sich F. an ihn wie ein Kind.

 

Rich­terin Bech­er möchte, dass die Angeklagten ihre per­sön­lichen Ver­hält­nisse und die Abhängigkeit­en untere­inan­der ohne Hem­mungen dar­legen kön­nen. So wird das Pub­likum aus­geschlossen, gegen Mit­tag aber wieder zuge­lassen. Die Angeklagten schweigen dann wieder, die Anwälte der Brüder S. ver­lesen Teilgeständ­nisse, kom­biniert mit ein paar Sätzen Reue. Mar­co S. gibt zu, er habe Mar­i­nus geschla­gen. Den US-Film mit der Genick­tritt-Szene habe er nie gese­hen, und ihm sei übel gewor­den, nach Marcels Sprung auf Mar­i­nus’ Kopf. Mar­cel lässt seinen Vertei­di­ger sagen, „da kam es bei mir zum Black­out. Ich bin wie im Film auf ihn gesprun­gen.“ Wie sein Brud­er würde er alles geben, „wenn ich die Tat ungeschehen machen könnte“.

 

Der Anwalt von Sebas­t­ian F. über­lässt es der Rich­terin, die „Ein­las­sung“ seines Man­dan­ten vorzule­sen. Mit mech­a­nis­ch­er Stimme sagt sie in die Stille hinein, „ich weiß nicht, warum ich das machte, ich hab’ ein­fach mit­gemacht“. Sebas­t­ian F. behauptet, er habe Angst vor den Brüdern S. gehabt: „zu keinem Zeit­punkt wollte ich Mar­i­nus verletzen“.

 

Nach viere­in­halb Stun­den ist der erste Prozesstag vor­bei. Aus Pot­zlow ist kaum jemand gekom­men, auch nicht die Eltern von Mar­i­nus. Bis Mitte Juni soll die Ver­hand­lung dauern, die seel­is­che Belas­tung ist selb­st für einen Profi wie Staat­san­wältin Hoffmeis­ter nur schw­er zu ertra­gen. „Das ist ein Fall, der sprengt in sein­er Grausigkeit wirk­lich alles, was man ken­nt“, sagt sie. Irgend­wann habe sie ange­fan­gen nachts zu träu­men, „dass ich einen Bor­d­stein­kick bekomme, wie im Film“.

 


 


BERLINER MORGENPOST

 

Geständ­nisse im Prozess um den Mord von Potzlow

 

Die Angeklagten leug­nen nicht die Tat, aber die Absicht zu töten

 


Neu­rup­pin — Er sagt ein­fach irgend­wann: “Ja, ich bin ein Jude.” Zwei
Stunden
schon dauert sein Mar­tyri­um, dann ist der Wider­stand von Marinus
Schöberl,
dem 16-jähri­gen, schmächti­gen Son­der­schüler aus Ger­swalde in
Nordbrandenburg,
gebrochen; geze­ich­net von zahlre­ichen Faustschlä­gen ins Gesicht,
getreten mit
Springer­stiefeln, nass bis auf die Knochen, weil sie auf ihn uriniert
haben,
in der Woh­nung in Pot­zlow in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli
vergangenen
Jahres, in deren Ver­lauf der Junge ster­ben wird.

 

Die Brüder Mar­co Sch. (24) und Mar­cel Sch. (17) sowie Sebas­t­ian F. (18)
sitzen seit gestern vor der Jugend­strafkam­mer des Neuruppiner
Landgerichts und
müssen sich wegen des Ver­brechens verantworten.

 

“Gib endlich zu, dass du ein Jude bist”, hat­ten Mar­co Sch. und
Sebas­t­ian F.
von dem Jun­gen mit den blond gefärbten Haaren und der weiten
Hip-Hop-Hose
immer wieder ver­langt. Bis er es tat. “In ihren Augen war er nun ein
Unter­men­sch, nicht mehr wert zu leben”, sagte Staat­san­wältin Eva
Hoffmeis­ter zum Auftakt
des Mor
dprozess­es gegen die drei mut­maßlichen Neonazis.

 

Was sie vom Mord in dem Schweinestall der still­gelegten LPG in Potzlow
berichtete, der der Tor­tur in der Woh­nung fol­gte, ließ den Zuschauern
im
über­füll­ten Gerichtssaal den Atem stock­en. Das Opfer musste in die
Kante eines
stein­er­nen Schwein­trogs beißen. Dann sprang Mar­cel Sch. mit beiden
Füßen auf den
Hin­terkopf von Mar­i­nus. Durch die Wucht des Stoßes wurde das Gesicht
des
Teenagers zer­schmettert, möglicher­weise starb er dabei.

 

Um “sich­er” zu gehen, nahm Mar­cel Sch. eine 30 mal 30 Zen­time­ter große
Beton­plat­te und ließ sie auf den Kopf des Jun­gen krachen. Zweimal. Dann
ver­schar­rten die Täter den entstell­ten Kör­p­er in der Jauchegrube vor
dem Schweinestall.

 

“Ein Black­out”, ließ der 17-jährige Mar­cel Sch. durch seinen Anwalt
Volkmar
Schöneb­urg gestern erk­lären. “Unbe­grei­flich”, sagte der Anwalt in einer
Pause, “zumal Mar­cel und Mar­i­nus sich gut gekan­nt und sie keine
Probleme
miteinan­der hatten.”

 

Die Brüder räumten die grausame Tat gestern in den Erk­lärun­gen ihrer
Anwälte
ohne Umschweife ein, beton­ten jedoch, nicht vorge­habt zu haben, den
Jungen
zu töten. “Wir woll­ten ihm im Stall noch ein biss­chen Angst einjagen”,
sagten
sie.

 

Das sieht die Staat­san­wältin anders. Sie geht davon aus, dass die drei
Män­ner irgend­wann im Lauf des Abends, der mit dem Trinkge­lage in der
Woh­nung einer
Pot­zlow­er Fam­i­lie begonnen hat­te, übereingekom­men waren, Marinus
umzubrin­gen. Das Motiv ? Laut Staat­san­wältin “Spaß an körperlichen
Mis­shand­lun­gen.” Das
passt kaum zu dem Bild, das gestern Mar­cel Sch. im Gerichtssaal abgab:
Aschfahl und zit­ternd, den Trä­nen nah, saß er auf der Anklage­bank. Sein
Bruder
machte ein gefassteren, aber sehr anges­pan­nten Eindruck.

 

Der dritte Angeklagte, Sebas­t­ian F., ein ein­schlägig vorbestrafter
Neonazi
aus Tem­plin, will nur aus “Angst vor den bei­den Brüdern” dabei
geblieben sein,
als Mar­i­nus umge­bracht wurde. “Ich dachte, ich wäre der näch­ste, wenn
ich
nicht helfe, ihn in der Jauchegrube zu ver­schar­ren”, ließ er gestern in
einer
vor­bre­it­eten Erk­lärung ver­laut­en — eine Ver­sion, die sich nicht mit den
Geständ­nis­sen der bei­den Brüder deckt. Sie bezichtigten den bulligen
Azubi
ihrer­seits, Mar­i­nus eben­falls mehrfach geschla­gen und gequält zu haben,
ihn sog­ar vor
dem tödlichen “Bor­d­stein­kick” am Schweinet­rog auf die Knie gezwun­gen zu
haben. Doch Sebas­t­ian F. blieb gestern dabei: “Ich wollte Mar­i­nus nicht
ernsthaft
ver­let­zen.” Alle drei Angeklagten bekan­nten in ihren Erk­lärun­gen, dass
sie
das Geschehen in jen­er Som­mer­nacht bereuen.

 


 


BERLINER ZEITUNG

 

Die Beschuldigten lassen ihre Anwälte sprechen

 

Drei junge Män­ner ste­hen vor Gericht — sie sollen Mar­i­nus Schöberl
bes­tialisch getötet haben

 


NEURUPPIN. Drei schüchterne junge Män­ner sitzen auf der Anklagebank,
die
Rück­en gebeugt blick­en sie schweigend zu Boden. Ihre Gesichter
ver­steck­en sie im
Schat­ten von Mützen und Kapuzen. Sie sehen nicht aus wie skrupellose
Mörder.
Den­noch: Zur Prozesseröff­nung am Mon­tag vor dem Landgericht Neuruppin
wirft
ihnen die Staat­san­waltschaft einen der schlimm­sten Morde vor, die in
den
ver­gan­genen Jahren in Bran­den­burg verübt wur­den. Sie sollen in der
Nacht zum 13.
Juli 2002 im uck­er­märkischen Pot­zlow den 16-jähri­gen Mar­i­nus Schöberl
auf
bes­tialis­che Weise umge­bracht haben. Weil ihnen sein Äußeres missfiel -
er war
wie ein Hiphop­per gek­lei­det — sollen sie ihn als Juden beschimpft und
in einem
Stall stun­den­lang auf ihn eingeprügelt haben. Schließlich, so der
Vorwurf,
hät­ten sie den Schädel des Schülers an einem stein­er­nen Futtertrog
zertreten
und anschließend seine Leiche verscharrt.
“Es war eine fürchter­liche Tat”, sagt auch Volk­mar Schöneb­urg, der den
zur
Tatzeit 17-jähri­gen Mar­cel Sch. vertei­digt. Die Anklage sieht in Marcel
den
Haupt­täter. Eben­falls angeklagt ist dessen 23-jähriger Brud­er Marco
Sch. Der
gilt als beken­nen­der Neon­azi und sitzt ger­ade im Gefäng­nis, weil er
einen
Afrikan­er zusam­mengeschla­gen hat. Auch der damals 17-jährige Sebastian
F. ist
angeklagt. “In diesem Prozess geht es nicht darum, wer die Täter waren,
das ist
klar”, sagt Matthias Schöneb­urg, der Vertei­di­ger von Mar­co Sch. “Es
geht
darum, wie diese Tat rechtlich bew­ertet wird.”

 

Matthias Schöneb­urg geht davon aus, dass sein Man­dant zur Tatzeit
vermindert
schuld­fähig war und dass die recht­sex­trem­istis­che Ein­stel­lung der
Angeklagten für die Tat nicht entschei­dend war. Das aber sieht
Staat­san­wältin Eva
Hofmeis­ter anders: “Der älteste Angeklagte ist fest in der
recht­sex­tremen Szene
ver­wurzelt. Das Opfer sah er als Unter­men­schen an, den er misshandeln
kann.”
Auch die anderen bei­den hät­ten sich der recht­en Szene zuge­hörig gefühlt
und die
in diesen Kreisen üblichen kurzen Haare getra­gen, dazu Bomber­jack­en und
Springer­stiefel. Die Anklage wirft ihnen vor, nicht nur gemordet,
son­dern Marinus
zuvor stun­den­lang mis­shan­delt zu haben. Gegen seinen Willen sollen sie
ihm
Schnaps einge­flößt haben, bis er sich übergeben musste. Sie hätten
geprügelt.
Sebas­t­ian F. habe gar auf den Kopf seines Opfers uriniert. Mar­i­nus sei
als
Opfer auser­wählt wor­den, weil er stot­terte, weil er blond gefärbte
Haare und
weite Hosen trug. Er sollte sagen, dass er ein Jude sei, obwohl er es
nicht
war. “Sie hat­ten Spaß an der Mis­shand­lung des kör­per­lich und
ver­meintlich auch
geistig unter­lege­nen Opfers”, sagt die Staatsanwältin.

 

Die Angeklagten wollen sich vor Gericht nicht äußern, ihre Anwälte
verlesen
Erk­lärun­gen. Unisono wird darin behauptet, dass die jun­gen Män­ner in
der
Mord­nacht betrunk­en gewe­sen seien, dass sie eigentlich nichts gegen
Mar­i­nus und
kein poli­tis­ches Motiv für die Tat gehabt hät­ten. Sie kön­nten überhaupt
nicht
erk­lären, warum sie ihn umge­bracht haben. Mar­cel wieder­holt, dass er
den so
genan­nten Bor­d­stein­kick allein aus­ge­führt habe. Es sei ein Black-out
gewesen.
Die bei­den anderen seien von seinem Han­deln über­rascht gewe­sen. Das
Opfer
habe nach dem Sprung schreck­lich aus­ge­se­hen. “Ich habe Mar­i­nus dann
zweimal
einen Stein auf den Kopf gewor­fen.” Warum, sagt er nicht. Mar­i­nus sei
ein guter
Kumpel gewe­sen, mit dem er an jen­em Nach­mit­tag noch einen Tra­bi stehlen
wollte. “Wir haben viele Dinger zusam­men gedreht”, heißt es. Marcel
behauptet, er
habe sich anfangs nicht an den Mis­shand­lun­gen und Beschimpfungen
beteiligt. Er
habe ja nicht ein­mal wirk­lich gewusst, was Juden sind. Betrunk­en wie er
war,
habe er sich mitreißen lassen. “Was mich an diesem Tag dazu angetrieben
hat,
weiß ich nicht.”

 

In der Erk­lärung von Sebas­t­ian F. heißt es: “Ich weiß nicht, warum ich
mit­gemacht habe. Ich hat­te nichts gegen Mar­i­nus. Ich kan­nte ihn nicht
mal.” Er
habe ihn an diesem Tag zum ersten Mal gese­hen. Mar­co Sch. lässt
ver­lesen, dass
ihm im Gefäng­nis klar gewor­den sei, dass es eine “ganz schlimme
Straftat” war.

 


 


FRANKFURTER RUNDSCHAU

 

Drei mut­maßliche Recht­sex­trem­is­ten geste­hen Mord

 

Angeklagte bestre­it­en, aus poli­tis­chen Motiv­en 16-Jähri­gen umge­bracht zu haben / Leiche in Jauchegrube versenkt

 


Zu Beginn des Mord­prozess­es um den qualvollen Tod eines 16-jährigen
Schülers
in Bran­den­burg haben sich drei mut­maßliche Recht­sex­trem­is­ten am Montag
zu
der Tat bekan­nt. Vor dem Landgericht Neu­rup­pin bestrit­ten sie jedoch
den
Vor­wurf, aus poli­tis­chen Motiv­en gehan­delt zu haben.

 

NEU
RUPPIN, 26. Mai (ap/dpa). Die Staat­san­waltschaft wirft den
Angeklagten im
Alter zwis­chen 18 und 24 Jahren vor, den 16 Jahre alten Mar­i­nus S. im
Juli
ver­gan­genen Jahres im Dorf Pot­zlow bei Pren­zlau (Kreis Uck­er­mark) nach
einem
gemein­samen Trink­abend grausam gequält und anschließend erschla­gen zu
haben,
um die Mis­shand­lun­gen zu ver­schleiern. Die Angeklagten, zwei zur
Tatzeit 23
und 17 Jahre alte Brüder und ein damals 17 Jahre alter Bekan­nter der
beiden,
seien mit kahl rasierten Schädeln, Bomber­jack­en und Springerstiefeln
aufge­treten und in der recht­en Szene ver­wurzelt gewe­sen. Ihr Opfer,
zunächst ein Kumpel
des jün­geren Brud­ers, hät­ten sie als “nicht lebenswert” ange­se­hen und
den
16-Jähri­gen wegen sein­er HipHop-Hosen und der blondierten Frisur
verachtet.

 

Im Lauf des Trink­abends hat­ten die Beschuldigten laut Anklagebehörde
Marinus
S. mehrmals aufge­fordert, sich zum Juden­tum zu beken­nen. Später hätten
sie
ihm mit Gewalt Schnaps einge­flößt, ihn auf das Gelände ein­er ehemaligen
Land­wirtschaftlichen Pro­duk­tion­sgenossen­schaft (LPG) ver­schleppt und
dort getötet.
Der Anwalt der Eltern von Mar­i­nus S. sagte, das Opfer sei wed­er Jude
noch
poli­tisch aktiv gewe­sen. “Die Angeklagten woll­ten sich ein Feindbild
schaffen”,
sagte er.

 

Die drei mut­maßlichen Täter bestrit­ten in getren­nten Erk­lärun­gen ihrer
Vertei­di­ger, aus recht­sex­trem­istis­chen Motiv­en gehan­delt zu haben. Sie
wüssten
nicht, warum sie Mar­i­nus S. umge­bracht hät­ten. Sie bedauerten die Tat
und fänden
für ihr Ver­hal­ten keine Erk­lärung, sagten sie übere­in­stim­mend. Ein
Vertei­di­ger meinte: “Mich stört die ein­fache Rück­führung auf die rechte
Gesin­nung. Die
Ursachen liegen viel tiefer.”

 

Nach Auf­fas­sung der Staat­san­waltschaft hat der jün­gere der Brüder und
ehe­ma­lige Kumpel von Mar­i­nus S. das Opfer auf dem LPG-Gelände mit einem
Stein
erschla­gen. Danach wurde die Leiche in ein­er Jauchegrube versenkt.
Zuvor hat­te der
zur Tatzeit 17-Jährige laut Anklage Mar­i­nus S. nach dem Vor­bild des
Hol­ly­wood-Spielfilms “Amer­i­can His­to­ry X” gezwun­gen, in die Steinkante
eines
Schweinet­rogs zu beißen. Danach sei er mit seinen Springer­stiefeln auf
den Kopf des
Opfers gesprun­gen. In dem extrem real­is­tisch gehal­te­nen Film aus dem
Jahr 1998
spielt Edward Nor­ton einen weißen Ras­sis­ten mit tätowiertem Hakenkreuz,
der
kalt­blütig Schwarze ermordet.

 

Die Anklage in Neu­rup­pin beruht im Wesentlichen auf der Aus­sage des
jüngeren
Brud­ers. Der zur Tatzeit 17-jährige hat­te Monate nach dem Verschwinden
von
S. mit der Tat geprahlt und Mitschüler zum Tatort geführt. Die
skelettierte
Leiche von S. war im Novem­ber 2002 in der Jauchegrube gefun­den worden.

 

Die Brüder und der dritte Beschuldigte ver­fol­gten die Anklage mit
gesenkten
Köpfen und ohne äußer­liche Regung. Während der Aus­sagen zur Per­son war
die
Öffentlichkeit aus­geschlossen. Der Vertei­di­ger des 24-Jähri­gen sagte,
sein
Man­dant habe einen Intel­li­gen­zquo­tien­ten von unter 60. Ver­mut­lich seien
beide
Brüder ver­min­dert schuld­fähig, unter anderem auf Grund des
Alkoholeinflusses.

 

Da zwei der Angeklagten zur Tatzeit erst 17 Jahre alt waren, fall­en sie
unter das Jugend­strafrecht. Sie kön­nen wegen Mordes zu höch­stens zehn
Jahren
Gefäng­nis verurteilt wer­den. Dem 24-Jähri­gen, der wegen eines Überfalls
auf einen
Afrikan­er bere­its eine drei­jährige Frei­heitsstrafe ver­büßt, droht
lebenslange Haft.

 

Der Prozess wird am morgi­gen Mittwoch fortgesetzt.

 


 


MAZ

 

Ein­fach ein “Black­out”

 

Pot­zlow-Prozess: Mar­cel Sch. bedauert, dass er Mar­i­nus Schöberl
umbrachte

 


NEURUPPIN Die Tat von Pot­zlow ist am ersten Prozesstag
selb­stver­ständlich so
unerk­lär­lich geblieben wie in den zehn Monat­en zuvor. Wie seit dem 13.
Juli
2002, als Mar­i­nus Schöberl, aus welchen Grün­den auch immer,
hingerichtet
wurde in einem Schweinestall.

 

Auch im Hin­terz­im­mer der Gast­stätte “Zum Alten Fritz” gegenüber dem
Neu­rup­pin­er Landgericht kommt gewiss nicht die ganze Wahrheit zur
Sprache — falls es
sie gibt in dem Fall. Die weni­gen Sätze, die Jugend­klublei­t­erin Petra
Freiberg, oft stock­end, über die Lip­pen kom­men, deuten jedoch an, dass
es noch eine
weit­ere Wahrheit geben könnte.

 

Dass sie mit dem Opfer und dem Täter, der dem 16-Jähri­gen das Genick
zer­trat, beson­ders ver­traut war, wird man nicht behaupten kön­nen. Aber
Petra
Freiberg kan­nte Mar­i­nus Schöberl und Mar­cel S., der 17 Jahre alt war,
als er Marinus
umbrachte. Die Päd­a­gogin weiß auch, was man sich im Dorf über das
schwierige
Ver­hält­nis von Mar­cel zu seinem älteren Brud­er Mar­co erzählt — und was
im
Gerichtssaal so nicht gesagt wird.

 

“Die Jugendlichen bericht­en, Mar­cel habe Angst vor Mar­co gehabt”, sagt
Petra
Freiberg . “Dass Mar­cel kurz vor Mar­cos Haf­tent­las­sung sog­ar überlegt
hatte,
von zu Hause auszureißen”. Möglicher­weise — doch das ist Spekulation -
weil
sich der Jün­gere dem Ein­fluss des Älteren entziehen wollte, der fest in
der
recht­sex­tremen Szene ver­ankert war und es nicht duldete, dass Marcel
sich die
Haare blau färbte, weit geschnit­tene Hosen trug und Dro­gen nahm.

 

Dass die Eltern der bei­den Brüder fähig gewe­sen wären, den 23-jährigen
Marco
in einem Zor­ne­saus­bruch zu stop­pen, ist bei den Familienverhältnissen
kaum
wahrschein­lich. “Was man sät, das ern­tet man”, meint Petra Freiberg.
Niemand
am Tisch im “Alten Fritz” wider­spricht, auch nicht Bürg­er­meis­ter Peter
Feike.
Son­st hat­te sich nie­mand aus Pot­zlow auf den Weg nach Neuruppin
gemacht.

 

Mar­cel sei “kein Rechter” gewe­sen, sagt Petra Freiberg, vielmehr ein
Hiphop­per, ein Mit­glied der­sel­ben Jugend­szene wie Mar­i­nus. Und Marco,
der Neonazi?
Der habe ihr früher ein­mal gesagt, er wolle fort aus Pot­zlow “und sein
Leben
neu ordnen”.

 

Die Ereignisse nah­men einen anderen Lauf: Mar­co ord­nete nichts neu. Und
Mar­cel floh nicht, son­dern blieb daheim und rasierte sich am 2. Juli
2002, dem
Tag vor der Haf­tent­las­sung des Brud­ers, den Schädel. Wohl um dem
Älteren zu
gefallen.

 

Ver­schämt, sollte man sagen: schuld­be­wusst betrat­en gestern um 9.32 Uhr
die
bei­den wegen Mordes angeklagten Brüder Mar­cel und Mar­co S. den
Sitzungssaal
im Neu­rup­pin­er Landgericht. Hände in Ket­ten, den Kopf bedeckt, Mütze
ins
Gesicht gezo­gen. Nur der dritte wegen Mordes Angeklagte, der 18-jährige
Sebastian
F. aus Tem­plin, kam ungeschützt daher, ohne Kappe, ohne Kapuze. Wollte
wohl
demon­stri­eren, dass er nichts ver­ber­gen wollte.

 

Starr blick­ten sie, den Kopf geneigt, meist regungs­los, vor sich auf
die
Anklage­bank. Keine Mimik. Manch­mal linst ein­er kurz her­vor. Nie sucht
Marcel,
der Jün­gere, mit Blick­en Halt beim Brud­er Mar­co, der ihm, heißt es, ein
Vorbild
war. Als das Amts­gericht Pren­zlau 1999 eine 32-monatige Freiheitsstrafe
wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung gegen Mar­co ver­hängte, war Marcel
13 Jahre
alt. In vier Jahren kann sich viel ändern. Kurz vor der Tat von Potzlow
wurde
Mar­co auf einem Dorffest ver­prügelt, und der Ältere wagte sich erst
wieder auf
die Straße, nach­dem der Jün­gere ihm Schutz durch Fre­unde zugesichert
hatte.

 

Über die Tat woll­ten die Angeklagten gestern nicht reden. Mar­co sei zu
aufgeregt, erk­lärte Anwalt Matthias Schöneb­urg, der die Auf­gabe für
seinen
Man­dan­ten über­nahm. Der Brud­er des Pots­damer Vertei­di­gers, Volkmar
Schöneb­urg, trug
anschließend vor, was Mar­cel, Mar­cos Brud­er, zu sagen gehabt hätte:
Marcel
nimmt die Hauptschuld auf
sich. “Umbrin­gen wollte ich Mar­i­nus nicht.”
Er habe
einen “Black­out” gehabt, als er Mar­i­nus mit bei­den Beinen ins Genick
sprang
wie ein Neon­azi im Film “Amer­i­can His­to­ry X”. “Ich wusste nicht, was
ich tat.
Abge­sprochen mit den anderen war das nicht. Die waren über mein Handeln
ziem­lich überrascht.”

 

Dann lässt Mar­cel aus­richt­en, dass die Tat ihn “sehr belastet” habe und
er
“oft nicht schlafen” kon­nte. Vier Monate später habe er deshalb zwei
Bekannte
zu der Jauchegrube geführt, in der Mar­i­nus ver­schar­rt lag. Mar­cel: “Ich
kann
nur sagen, dass ich alles bedauere, auch wenn das für die Eltern kein
Trost
ist. Mehr habe ich nicht zu sagen.”

 

Experte: Gewalt ist Hass gegen Gesellschaft

 

Jugendliche Gewalt ist nach Ansicht des Wis­senschaftlers Rudolf Egg von
der
Krim­i­nol­o­gis­chen Zen­tral­stelle Wies­baden Aus­druck von “extremem Hass
gegen
die Gesellschaft und sich selb­st”. “Ger­ade wenn junge Män­ner ihren
Platz in der
Gesellschaft nicht find­en, ist die Gefahr groß, dass sie in Gewalt
abgleiten
— als Ersatz für ver­passte Chan­cen, aber auch als Protest.”

 

Hohe Bru­tal­isierung ein­er Tat sei ein klares Indiz auf starke innere
Affek­te, so der Wies­baden­er Experte. “Wer selb­st am Rande ste­ht, kann
Befriedigung
darin sehen, einem noch Schwächeren, noch hil­floseren, ärmeren Menschen
Gewalt
anzu­tun.” In dem Fall des ermorde­ten Pot­zlow­er Schülers ging es nach
Ein­schätzung des Psy­cholo­gen auch um Demü­ti­gung. “Um sich selb­st zu
erheben und den
anderen in den Schmutz zu ziehen”, sei das Opfer in die Jauchegrube
geworfen
worden.

 

Arbeit­slosigkeit erk­lärt nach Ansicht von Egg Gewalt nicht, set­ze aber
den
Rah­men. “Je leichter junge Men­schen Ziele wie Beruf und Partnerschaft
real­isieren kön­nen, um so eher sind sie zufrieden mit der Welt und sich
selb­st.” Die
Möglichkeit­en seien aber ger­ade im Osten eingeschränkt. Doch es gehe
nicht um
Recht­fer­ti­gung für Täter. “Wer sich schw­er verge­ht an anderen, muss
hinter
Git­ter”, so Egg. Nach sein­er Erfahrung sei solche Gewalt auch an einen
bes­timmten Lebens­ab­schnitt gebun­den und trete nach dem 25. Lebensjahr
meist nicht
mehr auf.

 

Nach Ansicht des Psy­cholo­gen tut die Gesellschaft zu wenig für
Prävention.
“Das ist eine Frage der Pri­or­ität, Deutsch­land ist kein armes Land”,
sagt Egg
zu dem Argu­ment knap­per Kassen.

 


 


MAZ

 

Geständ­nis im Potzlow-Prozess

 

Motiv der mut­maßlichen Mörder von Mar­i­nus Schöberl bleibt rätselhaft

 


NEURUPPIN — Zehn Monate nach der Hin­rich­tung des 16-jähri­gen Marinus
Schöberl in Pot­zlow (Uck­er­mark) haben die drei Angeklagten gestern die
Tat in
wesentlichen Teilen gestanden.

 

Zum Auf­takt des Mord­prozess­es vor dem Landgericht Neu­rup­pin übernahm
der
18-jährige Mar­cel S. die Hauptver­ant­wor­tung für das Ver­brechen. Er habe
Marinus
am 13. Juli 2002 nach dem Vor­bild ein­er Mord­szene aus dem Film
“Amer­i­can
His­to­ry X” mit einem Sprung ins Genick getötet, ließ Mar­cel S.
verlesen.
“Abge­sprochen mit den anderen war das nicht. Umbrin­gen wollte ich den
Mar­i­nus nicht.”
Die bei­den anderen Angeklagten — Marcels 24-jähriger Brud­er Mar­co sowie
der
18-jährige Sebas­t­ian F. — beteuerten, den Film nicht zu kennen.

 

Die Pots­damer Staat­san­waltschaft hat die drei jun­gen Män­ner wegen
gemein­schaftlichen Mordes aus niederen Beweg­grün­den angeklagt.
Staat­san­wältin Eva
Hoffmeis­ter betonte den ver­muteten recht­sex­tremen Hin­ter­grund. Marinus
habe
ster­ben müssen, weil seine weit­geschnit­te­nen Hosen und die blond
gefärbten Haare
nicht in das Welt­bild der Angeklagten passten. Wegen seiner
Sprach­störung und
der Klei­dung hät­ten sie Mar­i­nus als Unter­men­schen ange­se­hen, den man
beliebig
belei­di­gen und mis­shan­deln könne. Zudem sei Mar­i­nus gezwun­gen worden,
sich
als Jude zu beze­ich­nen. In der Vorstel­lung der Täter habe das Opfer
damit
zugegeben, ein “Ver­räter” und “unwertes Leben” zu sein. Für die
rechtsextremen
Täter sei dies die entschei­dende Recht­fer­ti­gung für die weitere
Peinigung
gewe­sen, so die Staatsanwältin.

 

Die Vertei­di­ger der drei Angeklagten bestre­it­en den rechtsextremen
Hin­ter­grund der Tat. Fest ste­ht jedoch, dass zumin­d­est Mar­co S. sowie
Sebas­t­ian F. der
Neon­azi-Szene eng ver­bun­den sind. Auch Mar­cel S. wurde nach der Tat als
Teil­nehmer ein­er NPD-Demon­stra­tion gesehen.

 

Der Tod von Mar­i­nus Schöberl hat­te im ver­gan­genen Jahr bundesweit
Entsetzen
aus­gelöst. Die Leiche wurde erst vier Monate nach der Tat in einer
Jauchegrube freigelegt. Mar­cel S. selb­st hat­te zwei Bekan­nte zum Tatort
geführt.
Anson­sten wäre das Skelett ver­mut­lich nie gefun­den worden.

 


 


MOZ

 

Geständ­nisse im Prozess um Potzlow-Mord

 


Neu­rup­pin (dpa)- Zehn Monate nach dem bru­tal­en Mord an dem 16-jährigen
Mar­i­nus Schöberl aus Pot­zlow in Bran­den­burg haben die mutmaßlichen
Täter vor
Gericht Geständ­nisse abgelegt. Zwei 18 und 24 Jahre alte Brüder aus dem
uck­er­märkischen Pot­zlow ges­tanden, den Schüler stun­den­lang gequält und
dann in einem
ehe­ma­li­gen Stall getötet zu haben. “Ich weiß, dass dies eine ganz
schlimme
Straftat ist”, schrieb der 24-Jährige Mar­co Sch. in ein­er Erklärung,
die sein
Anwalt vor­las. Wenn er könne, würde er die ganze Sache ungeschehen
machen. Auch
sein eben­falls angeklagter 18-jähriger Brud­er Mar­cel Sch. ließ sein
Geständ­nis verlesen.

 

Der jün­gere Brud­er räumte ein, dass er seinen Kumpel Mar­i­nus – ähnlich
wie
in ein­er Mord-Szene aus dem Film “Amer­i­can His­to­ry X” – in einen
Steintrog
beißen ließ und ihn quälte. Danach habe er einen Beton­stein auf Marinus
gewor­fen. Die Leiche ver­steck­ten die Angeklagten in ein­er Jauchegrube.
Die Leiche
wurde erst vier Monate später gefunden.
Laut Anklage betra­chteten die Angeklagten – der recht­sex­tremen Szene
zugerech­net – Mar­i­nus wegen sein­er Sprach­störung, seinen HipHop-Hosen
und der blond
gefärbten Haare als “Unter­men­schen”.

 

Der Prozess wird mor­gen fort­ge­set­zt. Das Urteil soll früh­estens am 18.
Juni
gesprochen wer­den. Bei Mord dro­hen dem 24-Jähri­gen lebenslange Haft und
den
bei­den zur Tatzeit Jugendlichen jew­eils zehn Jahre Gefängnis.

 


 


MOZ

 

16-Jähriger in Pot­zlow bru­tal umgebracht

 


Prozess eröffnet ‑Angeklagte räu­men Tat ein — 30 Zeu­gen erwartet

 

Neu­rup­pin (ddp-lbg). Unter großem öffentlichen Inter­esse hat am Montag
vor
dem Landgericht in Neu­rup­pin der Prozess um die Ermor­dung eines 16
Jahre alten
Jugendlichen in Pot­zlow im Nor­den Bran­den­burgs begonnen. Angeklagt sind
drei
junge Män­ner aus Pot­zlow und Tem­plin im Alter von 18 und 24 Jahren. Die
Staat­san­waltschaft geht von einem recht­sex­trem­istis­chen Motiv für die
bru­tale Tat
aus. In Hand­schellen wur­den der 24-jährige Mar­co Sch., sein 18-jähriger
Brud­er Mar­cel sowie der gle­ichal­trige Sebas­t­ian F. in den
Verhandlungssaal
geführt. Ohne eine Miene zu verziehen, hörten sie dem Ver­lesen der
Anklageschrift
durch Staat­san­wältin Eva Hoffmeis­ter zu.

 

Mit einem Alko­hol­ge­lage in Strehlow bei Pot­zlow hat­te das Mar­tyri­um für
Mar­i­nus Schöberl am Abend des 12. Juli 2002 begonnen. Der
Staatsanwaltschaft
zufolge wurde er zunächst geschla­gen und als Jude beschimpft, auf
seinen Körper
wurde uriniert. Kurz nach vier Uhr nachts bracht­en ihn die drei
Angeklagten in
einen alten Stall am Dor­frand. Mar­i­nus wurde gezwun­gen, in einen
steinernen
Schweinet­rog zu beißen.

 

Während sich Mar­cel und Sebas­t­ian nach
der Anklage der recht­en Szene
«ange­hörig» fühlen, ist Mar­co Sch. in dieser «ver­wurzelt». Seine
Gewaltbereitschaft
sei auch deshalb so groß gewe­sen, weil Mar­i­nus weite Hiphopper-Hosen
trug und
sich die Haare gefärbt hat­te, betonte Hoffmeis­ter. Gegenüber den
Ermittlern
behauptete Mar­cel, der Kinofilm «Amer­i­can His­to­ry X» habe ihm das
Vor­bild für
seine Tat­en geliefert.

 

Marcels Sch. Anwalt Volk­mar Schöneb­urg warnte davor, die Tat alleine
auf die
recht­sradikale Gesin­nung der jun­gen Män­ner zurück­zuführen. Die Ursachen
dafür lägen tiefer. Sowohl er als auch der Anwalt von Mar­co Sch.,
Matthias
Schöneb­urg, deuteten an, dass sie auf «ver­min­derte Schuldfähigkeit»
ihrer Mandaten
plädieren wür­den. Alko­hol spiele «mit Sicher­heit» noch eine Rolle.

 

Laut sein­er Stel­lung­nahme blieb Mar­cel an den ersten Über­grif­f­en gegen
Mar­i­nus in Strehlow zwar unbeteiligt, ließ sich später jedoch immer
stärker
mitreißen. Den Tritt mit den Springer­stiefeln auf den Schädel des
Opfers beschrieb
Mar­cel als «Black-Out», das «nicht abge­sprochen» gewe­sen sei. Ebenfalls
gab
er zu, den Stein auf den Kopf von Mar­i­nus gewor­fen zu haben. Im
Nachhinein
ver­ste­he er die Beweg­gründe für seine Tat nicht mehr, ließ Mar­cel über
seinen
Anwalt ver­laut­en. Er bedauerte die Tat, die er gerne ungeschehen machen
würde.

 

Mar­co Sch. gab über seinen Rechtsvertreter zu, beim Zechen gegenüber
Marinus
gewalt­tätig gewor­den zu sein. Später im Stall habe Mar­cel «plöt­zlich»
auf
den Kopf von Mar­i­nus getreten. Dass sein Brud­er anschließend den Stein
geworfen
habe, habe er selb­st nicht mit­bekom­men. Das habe ihm Sebas­t­ian F.
berichtet.
Dieser gab den Brüdern die Hauptschuld am Gewal­taus­bruch. Er habe aber
mit­gemacht, ohne zu wis­sen, warum. Er ver­sicherte: «Zu keinem Zeitpunkt
wollte ich
Mar­i­nus ver­let­zen». «Mar­cel drehte ein­fach durch», sagte Sebas­t­ian F.
weiter.

 

Dem 24-jähri­gen Mar­co Sch. dro­ht eine lebenslange Haft. Die beiden
anderen
fall­en unter das Jugend­strafrecht. Sie kann eine Höch­st­strafe von zehn
Jahren
tre­f­fen. Der Prozess geht am Mittwoch weit­er. Er ist auf zehn
Ver­hand­lungstage anber­aumt. Ins­ge­samt sollen über 30 Zeu­gen gehört
wer­den. Am 18. Juni wird
das Urteil erwartet.

 


 


TAZ

 

“Sag, dass du ein Jude bist!”

 


In Neu­rup­pin begann gestern der Prozess gegen drei junge Män­ner, die im
Juli
2001 einen Bekan­nten grausam umbracht­en. Die Polizei wurde erst nach
Monaten
geholt
NEURUPPIN taz Die Brüder haben ihre Base­ballmützen tief in die Stirn
gezo­gen, als die Beamten sie in den Gerichtssaal führen. Ein Mord wird
den drei
jun­gen Män­nern vorge­wor­fen, den bei­den Brüdern und ihrem Fre­und. Seit
gestern
sitzen sie im Landgericht Neu­rup­pin auf der Anklage­bank. Eine
schweigende Wand. 

 

Man kann nicht sehen, was hin­ter den Gesichtern vorge­ht. Auch als die
Brüder
ihre Mützen abnehmen, man kann nicht sagen, ob sie das Grausame, was
sie
getan haben, bereuen. Den Mord am 16-jähri­gen Mar­i­nus Sch. Wegen einer
falschen
Hose und ein­er falschen Frisur. 

 

Man weiß nur, dass der jün­gere Brud­er, der heute 18-jährige Marcel
Sch., im
Novem­ber ver­gan­genen Jahres noch geprahlt hat mit sein­er Tat. Er war
betrunk­en, und er hat ein paar Kumpels hinge­führt auf das Gelände der
stillgelegten
LPG am Dor­frand von Pot­zlow, dem kleinen Ort in der Uck­er­mark, wo sie
alle
herkom­men. Mar­cel hat in der Jauchegrube gestochert und hat den anderen
sein
totes Opfer gezeigt. Den Leich­nam von Mar­i­nus Sch. 

 

Es war in der Nacht zum 13. Juli 2001 passiert. Mar­i­nus war 16 Jahre
alt
damals. Ein Junge, der Anschluss suchte bei den Starken im Dorf, weil
er selbst
ein Schwach­er war. Am Tag vorher hat­te es ein Dorffest gegeben. Jetzt
saßen
sie alle zusam­men und tranken. Die Starken waren Mar­cel Sch., sein
Bruder
Mar­co Sch., 23 Jahre alt, und Sebas­t­ian F., 17 Jahre alt. Sie saßen
zusam­men wie
Fre­unde. Plöt­zlich störten sich die anderen an der weit­en Hose, die
Marinus
trug, an den blond gefärbten Haaren, seinem Sprach­fehler. Sie selbst
hatten
Bomber­jack­en und Springer­stiefel, die Haare waren kurz geschoren. Sie
riefen:
“Ein anständi­ger Deutsch­er trägt so was nicht. Sag, dass du ein Jude
bist.”
Sie schlu­gen Mar­i­nus ins Gesicht, flößten ihm Bier und Schnaps ein.
Erst spät
ließen sie von ihm ab und schleppten ihn auf das Gelände der alten LPG.
Dort
trat­en sie weit­er zu. Es kam zu ein­er stillschweigen­den Übereinkunft,
Marinus
zu töten, sagt die Staat­san­waltschaft jet­zt. Als der Puls nicht mehr
schlug,
versenk­ten sie den leblosen Kör­p­er des Opfers in der Jauchegrube. 

 

Es hat vier Stun­den gedauert, bis Mar­i­nus tot war an jen­em Abend.
Danach
passiert vier Monate lang nichts in Pot­zlow. Kein­er der drei hat etwas
erzählt.
Einige Wochen später schlug der ältere Brud­er, Mar­co Sch., in Prenzlau
einen
Asyl­be­wer­ber aus Sier­ra Leone zusam­men. Er wurde zu drei Jahren Haft
verurteilt. Über den toten Mar­i­nus in der Jauchegrube kein Ton. 

 

Erst viel später, im Novem­ber, ver­ri­et sein jün­ger­er Brud­er den anderen
Fre­un­den das Geheim­nis der alten LPG. Er war betrunk­en an dem Tag.
Kein­er hat die
Polizei gerufen danach. Aber es hat sich rumge­sprochen. Und weil es
herumging unter den Jun­gen im Ort, haben Kinder auf dem Gelände
ange­fan­gen, selb­st zu
graben. Als sie auf die Leiche stießen, hat ein­er doch die Polizei
angerufen, anonym. 

 

Gestern hat nun also der Prozess gegen die bei­den Brüder Mar­co und
Marcel
Sch. sowie ihren Fre­und Sebas­t­ian F. begonnen. Laut Staatsanwaltschaft
ist die
Zuge­hörigkeit aller drei zur recht­en Szene “sehr deut­lich” zu erkennen.
Die
Angeklagten schweigen, die Anwälte ver­lesen ihre Erk­lärun­gen. Demnach
wollte
kein­er der drei Mar­i­nus Sch. umbrin­gen. Mar­cel Sch. sagt, er hätte
einen
Black­out gehabt. Sein Fre­und Sebas­t­ian F. meint, die Brüder seien die
treibende
Kraft gewe­sen. Er hätte aus Angst vor ihnen nur mit­gemacht. Die Anwälte
werden
auf ver­min­derte Schuld­fähigkeit plädieren. Wegen des Alko­hols, der im
Spiel
war. Eine Frau hin­ten im Gerichtssaal weint. Mor­gen wird der Prozess
fortgesetzt. 

 

 


LAUSITZER RUNDSCHAU 

 

Mord nach Drehbuch: Geständ­nisse im Potzlow-Prozess 

 

Anklage sieht recht­sex­trem­istis­ches Motiv für grausame Tat 

 


Die Angeklagten sagten kein Wort und den­noch scheint der Prozess zu dem
bru­tal­en Tod an dem 16-jähri­gen Mar­i­nus aus Pot­zlow (Uck­er­mark) schon
so gut wie
gelaufen zu sein. Zehn Monate nach der Tat legten die drei mutmaßlichen
Täter, die laut Anklage zur recht­en Szene gehören, gestern vor dem
Landgericht
Neu­rup­pin schriftliche Geständ­nisse ab. Zwei 18 und 24 Jahre alte
Brüder räumten
ein, den Schüler am Mor­gen des 13. Juli 2002 stun­den­lang gequält und
dann in
einem Stall getötet zu haben. 

 

Die entschei­dende, grausame Szene habe sich der 18-Jährige in einem
Film –
“Amer­i­can His­to­ry X” – abgeguckt, las sein Vertei­di­ger vor. Der dritte,
eben­falls 18 Jahre alte Angeklagte gab nur zu, geschla­gen zu haben.
Alle drei
zeigten zumin­d­est äußer­lich Reue.
Sein­erzeit trank das Trio zunächst bei Bekan­nten, wie aus den
Erklärungen
her­vorge­ht. Dann sei Mar­i­nus, der früher in Pot­zlow wohnte und es
ein­mal wieder
besuchte, beschimpft wor­den. “Sag, dass Du ein Jude bist”, forderten
die
Angeklagten ihn auf. Irgend­wann bejahte der 16-Jährige das, woraufhin
alle
drei
auf ihn ein­schlu­gen. In der Mor­gendäm­merung fuhren die Angreifer nach
Hause,
kehrten jedoch zurück, um Mar­i­nus abzuholen.
Auf der Rück­fahrt kamen sie an einem leer ste­hen­den Stall vor­bei, wo
die
Auseinan­der­set­zung schließlich eskalierte. Der jün­gere der Brüder
räumte ein,
dass er seinen Kumpel Mar­i­nus wie im Film “Amer­i­can His­to­ry X” in einen
Stein
beißen ließ und “im Black­out” auf seinen Kopf sprang. Danach habe er
zwei Mal
einen Beton­stein auf Mar­i­nus gewor­fen. Die Leiche ver­steck­ten die
Angeklagten
in ein­er Jauchegrube. Der Vor­fall wurde vier Monate später bekannt.
“Die Tat hat mich sehr belastet, ich kon­nte nachts nicht schlafen”,
heißt es
in der Erk­lärung des jün­geren der Brüder. Deshalb habe er schließlich
einige
Mitschüler zu der Grube geführt.
Laut Anklage betra­chteten Mar­i­nus Peiniger ihn wegen einer
Sprachstörung,
seinen Hip-Hop-Hosen und der blond gefärbten Haare als “Unter­men­schen”.
“Ich
war selb­st mal wie ein Hip-Hop­per gek­lei­det. Was sich an dem Abend
ereignet
hat, ver­ste­he ich selb­st nicht”, sagt der jün­gere der Brüder heute.
Laut
Anklage, die den Beschuldigten ein recht­sex­trem­istis­ches Motiv
unter­stellt, hatten
alle drei Angeklagten damals kahl rasierte Köpfe, trugen
Springer­stiefel und
Bomber­jack­en. Vor Gericht erschienen die jun­gen Män­ner jet­zt ohne
dieses
Outfit.
Für die Vertei­di­ger der angeklagten Brüder ist das Ver­brechen nicht
ein­deutig recht­sradikal motiviert. “Das ist ein kompliziertes
Beziehungsgemenge”,
meint Anwalt Matthias Schöneb­urg. Sein 24-jähriger Man­dant hat den
Abschluss der
siebten Klasse, der 18-jährige Brud­er die achte Klasse geschafft. “Der
Jün­gere und der Mar­i­nus waren oft zusam­men, bastel­ten an Mope­ds und
haben noch am
Abend zuvor gemein­sam ver­sucht, ein Auto zu stehlen”, verdeutlicht
Anwalt
Volk­mar Schöneb­urg, die Vertei­di­ger sind Brüder.
Bei­de hal­ten die Anklage für “sehr ober­fläch­lich”. Den Alko­hol, das
schwierige Ver­hält­nis der Brüder und das Hinzukom­men des anderen
18-Jähri­gen – der
die Grup­pen­dy­namik störte – hal­ten sie bei der Motivlage für
entscheidender.
“Ger­ade das ambiva­lente Ver­hält­nis der Brüder bedarf umfassender
Aufklärung”,
merkt auch Rich­terin Ria Bech­er an.
Der Prozess wird mor­gen fort­ge­set­zt. Bei Mord dro­hen dem 24-Jährigen
lebenslange Haft und den bei­den zur Tatzeit Jugendlichen jew­eils zehn
Jahre
Gefängnis. 

 

Hin­ter­grund Der Film “Amer­i­can His­to­ry X” 

 

Der Film “Amer­i­can His­to­ry X” des britis­chen Film­regis­seurs Tony Kaye
diente
den wegen Mordes angeklagten Brüdern im Pot­zlow-Prozess laut
Staat­san­waltschaft als Vor­bild. Er kam 1999 in die deutschen Kinos. Der
Streifen beschreibt
Rassen­hass, Gewalt und Anti­semitismus in den USA. Edward Nor­ton spielt
den
weißen Ras­sis­ten Derek Vin­yard, der seine Ein­stel­lung offen auf die
Brust
tätowiert hat: ein schwarzes, großes Hak­enkreuz. Derek lebt mit seiner
Fam­i­lie in
ärm­lichen Ver­hält­nis­sen. Als drei Schwarze sein Auto stehlen wollen,
mordet
er kalt­blütig vor den Augen seines jün­geren Brud­ers. Die Blut­tat bringt
dem
has­ser­füll­ten Kahlrasierten nicht nur Ehre unter seinen
Skin­head-Fre­un­den ein,
son­dern auch drei Jahre Gefäng­nis. Dort muss er ler­nen, dass sich die
Rollen
ver­tauschen. “Hier drin bist du der Nig­ger, nicht ich”, belehrt ihn
sein
schwarz­er Mitin­sasse Lam­ont (Guy Tor­ry). Nach der Ent­las­sung hat
Vin­yard nur noch
ein Ziel: seinen kleinen Brud­er, der sich eben­falls den Skinheads
angeschlossen hat, von diesem Weg abzubringen. 

Rup­pin­er Anzeiger 

„Pot­zlow“: Angeklagte gestehen 

Staat­san­walt: Täter aus rechter Szene 


NEURUPPIN Im gestern vor dem Neu­rup­pin­er Landgericht eröffneten Prozess um den bes­tialis­chen Mord an dem 16-jähri­gen Mar­i­nus Sch., der im Juli 2002 in Pot­zlow geschah, haben die drei Angeklagten weit reichende Geständ­nisse abgelegt. 

Nach ihren Ein­las­sun­gen hat der damals 17-jährige Mar­cel Sch. Mit seinen Springer­stiefeln und einem Gas­be­ton­stein auf seinen ein­sti­gen Fre­und einge­treten und eingeschla­gen. Anschließend wurde der tote Junge in ein­er Jauchegrube versenkt. 

Über die voraus­ge­gan­genen Stun­den der Folter, die für Mar­i­nus mit dem Tod ende­ten, woll­ten die Brüder Mar­co und Mar­cel Sch. aus Pot­zlow (Uck­er­mark) und Sebas­t­ian F. aus Tem­plin nicht sprechen. Ihre Anwälte und das Gericht ver­lasen die Geständnisse. 

Die Staat­san­waltschaft geht davon aus, dass sich das Trio gemein­schaftlich der Nöti­gung, der gefährlichen Kör­per­ver­let­zung, des ver­sucht­en Mordes und des Mordes schuldig gemacht hat. Die Anklage ist überzeugt: Die drei Män­ner haben aus Stiller Übereinkun­ft her­aus „grausam und aus niedri­gen Beweg­grün­den“ Mar­i­nus Sch. getötet und dabei Spaß emp­fun­den. Das zur recht­en Szene zäh­lende Trio habe sein Opfer als min­der­w­er­tig angesehen. 

 

 


„Weiß gar nicht, was Juden sind“ 

Weil drei Män­ner in Mar­i­nus Sch. einen Unmen­schen sahen, musste der 16-jährige bes­tialisch sterben 


NEURUPPIN Die Vor­sitzende Rich­terin Ria Bech­er schaute zu den Angeklagten. Für mehrere Sekun­den scheint sie keine Worte zu find­en. Als denke auch sie: Was ger­ade im Saal zwei des Neu­rup­pin­er Landgerichts zu hören war, darf nicht passiert sein. So per­vers kann kein Men­sch handeln. 

Doch die drei angeklagten Mar­co Sch.(24), Mar­cel Sch.(17) und Sebas­t­ian F. (17), wer­den einige Stun­den später in groben Zügen bestäti­gen, was ihnen die Anklage vor­wirft. Und was keinem Zuhör­er in den Kopf gehen will. 

Ein ganz nor­males Dorf in der Uck­er­mark. Ein Nach­mit­tag, an dem bere­its gesof­fen wird. Zur Unter­hal­tung dienen Musikkas­set­ten „mit DVU-Zeug und Frank Ren­necke“, so Mar­cel Sch. Ren­necke, ein­er der Größen im recht­sex­tremen Lie­der­ma­ch­er-Spek­trum. Es fol­gt ein Abend, an dem die Män­ner weit­er saufen. An dem ein­er, der eher zufäl­lig in die Runde ger­at­en scheint, zum Außen­seit­er stil­isiert wird. Mar­i­nus Sch.: der mit den weit­en Hosen und blond gefärbten Haaren, der Stot­ter­er. Das passt nicht ins Bild jenes Trios, das sich einig ist, wie ein deutsch­er Mann aufzutreten hat. „Kahl rasiert­er Schädel, Stahlkap­pen­schuhe, Springer­stiefel, Bomber­jacke“, so beschre­it Staat­san­wältin Eva Hoffmeis­ter das Äußere der drei Män­ner. Vor Gericht bemühen sie sich um zivil­isiertes Ausse­hen. Auf den Köpfen wach­sen wieder Haare, die Klei­dung ver­rät nichts von recht­sex­tremer Gesinnung. 

Was sie von ihrem Opfer Mar­i­nus in jen­er Nacht hal­ten beschreibt die Anklägerin: „Den haben sie als Unter­men­schen ange­se­hen.“ Für die Brüder Mar­co und Mar­cel sowie Marcels Fre­und Sebas­t­ian ist Unter­men­sch gle­ich zu set­zen mit Jude. „Sag, dass du ein Jude bist!“, soll Mar­i­nus wieder­holt gefordert wor­den sein. In der Sprache von Mar­co Sch. heißt das: „Wir haben ihn alle gehänselt.“ Und sein Brud­er Mar­cel erk­lärt: „ich weiß gar nicht richtig was Juden sind.“ Ein Detail dieser Hor­ror­nacht vom 12 auf den 13. Juli 2002 bestand darin, dass auf den am Boden liegen­den Mar­i­nus gepinkelt wurde. Laut Mar­cel Sch. soll der Geschun­dene gebeten haben, damit aufzuhören. Sebas­t­ian F. soll daraufhin, so erin­nert sich Mar­cel Sch. gesagt haben: „Juden saufen doch gern Pisse!“ 

Bei den ersten Schlä­gen, die Mar­i­nus auf der Veran­da ver­passt wer­den, sind noch Zeu­gen zuge­gen. Die rat­en dem Opfer lediglich zusagen, dass er Jude sei. Dann habe er vielle­icht Ruhe. Die Polizei alarmieren sie nicht. Den let­zten Schlag auf der Veran­da verabre­icht Sebas­t­ian F. der Fausthieb ist so heftig, dass Mar­i­nus mit dem Stuhl umkippt. In der Ein­las­sung des 17-jähri­gen hei&szl
ig;t es: „Irgend­wann machte ich mit. Ich weiß nicht warum, ich hat­te nichts gegen ihn.“ 

Nach diese bere­its end­los erscheinen­den Mix­tur per­vers­er Quälereien aus Zwangssaufen, Urinieren, Belei­di­gun­gen und Faustschlä­gen ver­schwinden die Täter. Doch auf dem Weg ins Nach­bar­dorf Pot­zlow über­legen sie es sich anders. „In der Nähe der Schweineställe hat­ten wir die Idee, ihm weit­er Angst einzu­ja­gen“, lässt Mar­co Sch. seinen Anwalt ver­lesen. Sie radel­ten zurück, holen Mar­i­nus und lassen die Gewalt voll eskalieren. 

Vor eini­gen Jahren entset­zte ein amerikanis­ch­er Kinofilm die Zuschauer. Darin lässt ein Neon­azi einen schwarzen in den Bor­d­stein beißen, fordert ihn auf: „Jet­zt sag gute Nacht!“ und ver­set­zt ihm tödliche Tritte auf den Schädel. Mar­co und Sebas­t­ian behaupten, diesen Film nie gese­hen zu haben. Allein Mar­cel äußert sich nicht dazu. 

Die Aus­sagen von Mar­co Sch. und Sebas­t­ian F. wider­sprechen sich, wer es schließlich war, der das Opfer auf­forderte, in den Beton des Schweinet­rogs zubeißen. Klar ist nur, dass es ab diesem Moment Mar­cel Sch. ist, der sich als bru­tal­ster beweisen will. Zwar ist sein Kumpel Sebas­t­ian, der Mar­i­nus auf die Knie zwingt und in die Betonkante beißen lässt. Doch dann kommt das, was Mar­cel Sch. als „mein Black­out“ beze­ich­net. Auch die schriftlichen Ein­las­sun­gen kön­nen nicht ver­mit­teln, was in solch einem Gehirn vorge­ht, wenn dieser 17-jährige laut Staat­san­waltschaft „Mit seinen schwarzen Springer­stiefeln hochspringt und mit voller Wucht auf den fix­ierten Hin­terkopf des Opfers trifft“. Aus Ohren, Nase und Mund fließt das Blut, das Gesicht ist entstellt. „Er sah furcht­bar aus“, so Mar­co Sch. Das Opfer soll noch geröchelt haben. Da gibt Mar­cel Sch. seinem ein­sti­gen Fre­und, mit dem er zusam­men Mope­ds gebastelt hat, den Todesstoß. Er holt einen weißen Gas­be­ton­stein und schmettert ihn mehrfach auf den wehrlosen, vielle­icht gar schon toten Jun­gen. Anschließend schmeißen die drei Täter ihr Opfer in eine Jauchegrube, die sie mit Erde zu schütten. 

Es dauert vier Monate, ehe die Ermit­tlungs­be­hör­den den grausamen Fund machen. Im Mai 2003 will Mar­cel nichts mehr davon wis­sen, dass er sich ange­blich im Suff verquatscht hat und schließlich darauf wet­tete, den Beweis dafür liefern zu kön­nen, einen Men­schen auf dem Gewis­sen zu haben. Jet­zt ließt sich das so: „Die Tat hat mich sehr belastet. Ich kon­nte oft nicht schlafen.“ Auf Papi­er drückt er – wie auch sein Brud­er – Bedauern aus. „Ich würde alles auf der Welt tun, die Tat ungeschehen zu machen. Aber davon wird Mar­i­nus nicht lebendig. Ich bedauere alles, auch wenn das für die Eltern kein Trost ist. Mehr habe ich nicht zu sagen.“ 

Gestern hat­te er erst gar nichts zu sagen. Alle drei Angeklagten wollen nach ihrer derzeit­i­gen Bekun­den den Prozess schweigend ver­fol­gen. Sebas­t­ian F. weigert sich sog­ar, Angaben zur eige­nen Per­son zu machen – obwohl die Rich­terin für diese Zeit ver­fügt, die Öffentlichkeit von der Ver­hand­lung auszuschließen. So wird hin­ter ver­schlossen­er Tür darüber ver­han­delt, in welch­er Beziehung die Brüder zueinan­der verhandeln. 

In den ver­gan­genen Monat­en war immer wieder die Rede davon, dass Mar­cel eine zwieges­pal­tene Per­sön­lichkeit sei. Ist er mit seinem Brud­er zusam­men, gebe er den Recht­sradikalen. Ist dieser im Knast, sei Mar­cel wie aus­gewech­selt und gebe rein äußer­lich ein Bild ab, dass eher auf einen Anhänger der linksalter­na­tiv­en Szene schließen lasse. 

Der auf zehn Ver­hand­lungstage ange­set­zte Prozess wird mor­gen mit der Vernehmung mehrerer Zeu­gen fortgesetzt.

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