(CLAUDIA BIHLER; MAZ) PRITZWALK Das verlassene Haus an der Dömnitz liegt in leichtem Nebel an diesem Tag. Was heute so unbelebt wirkt, war im frühen Mittelalter das Finanzzentrum der Stadt Pritzwalk — der Judenhof. Ob die jüdische Bevölkerung mit der Ostexpansion und Missionierung der slawischen Gebiete bereits über die Elbe in die Prignitz kam, kann heute nicht mehr mit Sicherheit bestimmt werden. Sicher ist dagegen, dass es jüdische Geldgeber waren, die den frühen Städten in der Region die umfangreichen Investitionen ermöglichten, die zu einer wirtschaftlichen Blütezeit in der Prignitz geführt hatten.
Martin Albrecht, Archäologe aus Berlin, hatte bereits mehrfach im Pritzwalker und auch im Perleberger Stadtgebiet Grabungen durchgeführt. Anhand der Grabungsergebnisse präsentierte er kürzlich im Sudhaus auf Einladung des Stadt- und Brauereimuseums umfangreiche Forschungsergebnisse im Rahmen eines Vortrags.
Festgelegt auf eine Funktion als Geldwechsler und Wucherer waren die Juden im Heiligen römischen Reich deutscher Nation seit dem dritten Laterankonzil 1179: Damals wurde den Juden nicht nur das Zusammenleben mit den Christen verboten und eingeführt, dass sie ihre Kleidung mit einem gelben Element zu kennzeichnen hätten.
Damals wurde auch festgelegt, dass Christen keine Zinsgeschäfte mehr tätigen durften — diese Aufgabe fiel den Juden zu. Demgegenüber war ihnen die Mitgliedschaft in Gilden und Zünften nicht erlaubt. Der Status der jüdischen Bevölkerung in den Städten war der von so genannten “Schutzjuden”, was soviel bedeutete: Sie waren geduldet, aber sie konnten am normalen städtischen Leben nur begrenzt teilnehmen.
Spezielle Bauform der Judenhöfe
Das “getrennte Zusammenleben” und die kapitalgebende Funktion der Juden manifestiert sich für den Archäologen in einer ganz speziellen Bauform der “Judenhöfe”, wie sie in Perleberg und in Pritzwalk gefunden wurde. Meistens lagen ihre Wohnhäuser recht nah an den Wirtschaftsschwerpunkten und Machtzentren einer Stadt: Auch in Pritzwalk ist der Marktplatz nur wenige hundert Meter vom ehemaligen Judenhof am Meyenburger Tor entfernt, die Nikolaikirche liegt ebenfalls nicht weit.
Gleichzeitig waren die Höfe meist so angeordnet, dass ein langer, kurviger Zuweg nicht nur die Innenseite des Hofes vor Blicken von außen abschirmte, sondern auch den Blick nach außen verwehrte.
“Hier konnten zwei unterschiedliche Gemeinschaften in einer Stadt leben, ohne, dass sie mehr als nötig miteinander in Kontakt kamen”, sagt Albrecht. Gemeinsam ist den beiden Hofanlagen in Pritzwalk und Perleberg auch, dass sie einen direkten Zugang zum Wasser hatten. Die jüdische Religion verlangte etwa zu verschiedenen Anlässen rituelle Tauchbäder. Aber auch Brunnen finden sich für die Trinkwasserversorgung auf beiden Geländen.
Vom Schutzjuden bis zur Ausweisung
Das Bürgerrecht konnten Juden in den Städten nicht erwerben, begrenzte Privilegien wurden ihnen vom Landesherren verliehen — gegen die Zahlung von Schutzgeld an die markgräfliche Kammer. Die Bevölkerung brauchte die Juden, so könnte man ihre Funktion ebenso charakterisieren, aber man mochte seine Gläubiger nicht. Das vierte Laterankonzil des Papstes schließlich bot dann den formellen Hintergrund für Hetzkampagnen gegen die jüdische Bevölkerung.
Im römischen Lateranpalast trafen sich 1215 unter Papst Innozenz III. zwei Patriarchen der Ostkirche, Abgeordnete weltlicher Fürsten und über 1200 Bischöfe und Äbte. Unter den 70 Dekreten, die das Konzil erließ, wurde auch das Glaubensbekenntnis formulierte, das zum ersten Mal eine Definition der sogenannten “Transsubstantiation” enthielt. Danach werden die Elemente des christlichen Abendmahls, das Brot und der Wein, durch das Handeln des Priesters in den realen Leib und Blut Christi verwandelt, wobei sie allerdings äußerlich Brot und Wein bleiben.
Fortan hatten sich die Juden mit den Vorwürfen der Hostienschändung, aber unter anderem auch des rituellen Kindsmordes auseinander zu setzen. “Seltsam” waren die Juden den Prignitzern schon zuvor erschienen. Während die Landbevölkerung in weiten Teilen recht ungebildet war, konnten bei der jüdischen Bevölkerung selbst junge Männer bereits lesen und schreiben. Zudem unterhielten die Juden weitläufige Finanz- und Familienbeziehungen auch in ferne Regionen.
Auch in der Prignitz kam es in der Folge von Hass und Misstrauen zu Pogromen, nicht nur einmal sorgten die Landstände dafür, dass alle Juden ausgewiesen wurden, um sich der unliebsamen Gläubiger zu entledigen. Als es im Jahre 1510 in Berlin zur Hinrichtung von 51 Juden wegen eines angeblichen Hostienfrevels kam, ist auch der Pritzwalker Jude Moses dabei.
Jüdisches Hab und Gut wurde beschlagnahmt, so wird etwa der ehemalige Pritzwalker Judenhof zum Hirtenhof — zumindest steht er so in der ältesten Pritzwalker Stadtkarte von 1727 verzeichnet.
Diese Stadtkarte konnten sich die Pritzwalker bei dem Vortrag ebenfalls anschauen. Sie ist die älteste erhaltene kartographische Darstellung der Stadt und hatte, obwohl im Rathaus untergebracht, auch den verheerenden Stadtbrand überlebt. Üblicherweise ist diese Karte unter Verschluss, eine Umzeichnung kann im Museum betrachtet werden.
Mit der Neueinrichtung des Museums im Kulturkomplex der Brauerei konnte das Museum diese Karte restaurieren lassen, die übrigens auch die Ursache für die Diskussionen darüber ist, ob es in Pritzwalk einmal eine Burg gegeben hat, oder nicht. Dort, wo heute der Grüngürtel am Kietz liegt, ist nämlich auf der alten Karte eine so genannte “Rudera einer alten Burg”, also die Ruine einer alten Burg eingezeichnet.
Blickt man in die Gründungsphase der Stadt zurück, waren es Pritzwalker Bürger, die um die Anerkennung als Stadt baten — von einer adligen Gründerfamilie von Pritzwalk ist nichts zu finden. Und doch schließen verschiedene Prignitzer, die sich mit Heimatgeschichte befassen, nicht aus, dass Pritzwalk ursprünglich eine Gründung der Gans Edlen Herrn zu Putlitz war.
Der Pritzwalker Museumschef Rolf Rehberg meint zum Thema “Burg”: “Man kann trefflich darüber spekulieren, ob es hier eine Adelsburg gegeben hat oder nicht. Die Burg könnte auch ein befestigter Platz gewesen sein, auf dem die Pritzwalker bei einer Bedrohung Schutz gesucht hatten.” Letztlich werde man das Rätsel nur mit einer umfangreichen Grabung lösen können. Die sei einerseits zu teuer. Und andererseits “muss ja auch noch das eine oder andere spannende Rätsel erhalten bleiben”.