Seit vergangener Woche steigt die Zahl der Faxe, die der Opferschutzbeauftragte der Polizei an die Beratungsstelle für Frauen und Mädchen schickt. Auf den Zetteln stehen die Kontaktdaten der Frauen, die Opfer von Gewalt wurden.
Statt der sonstigen drei Faxe pro Monat habe sie in der vergangenen Woche gleich sechs bekommen, so Lydia Sandrock von der Beratungsstelle gestern bei einem Pressegespräch. Nach Meinung der Psychologin und einzigen Mitarbeiterin der Beratungsstelle liegt dieser alljährliche Anstieg der Gewaltstraftaten an der beginnenden Weihnachtszeit: „Jetzt muss es unbedingt schön sein“, erklärt Sandrock, das erhöhe den Stress innerhalb der Familien. Ein Problem, das sich jedes Jahr wiederhole.
Die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen bleibt seit Jahren nahezu gleich, sagte der Opferschutzbeauftragte der Polizei, Olaf Diehl, gestern bei einem Pressegespräch. 2005 seien bis August der Polizei 149 Gewaltstraftaten gegen Frauen bekannt geworden, darunter drei Sexualdelikte.
In 96 dieser Fälle mussten die Polizisten den Frauen vor Ort helfen. Anders als früher erlaubt dabei das seit 2003 gültige Opferschutzgesetz den Beamten eindeutig, sofort Platzverweise zu erteilen oder den Gewalttäter in polizeilichen Gewahrsam zu nehmen. Und davon machen die Beamten immer mehr Gebrauch: Während sie im ersten Jahr nur 27 Platzverweise aussprachen, waren es 2004 schon 40. In diesem Jahr erteilte die Polizei bis August 32 Platzverweise. Früher habe die Handlungsunfähigkeit viele Beamte frustriert, so Diehl. Geändert habe sich auch, dass seit Januar dieses Jahres die Potsdamer Polizei mit der Beratungsstelle, der Opferhilfe und dem Frauenhaus eng zusammenarbeitet:
Werden die Polizisten zu einem Einsatz geholt, können sie den Frauen auch gleich Adressen und Telefonnummern mitgeben, an die sie sich wenden können, so Diehl. Zudem gehe sein Personal sensibler mit Betroffenen um, seit bei den Schulungen, die die Polizisten mit dem Opferschutzgesetz vertraut machen sollen, auch die Mitarbeiterin der Beratungsstelle in der Nansenstraße 5 dabei ist. Dass die Zusammenarbeit gut funktioniert, findet auch Sandrock. Dadurch dass die Polizei ihr per Fax die Daten der Opfer zusende, kann sie Kontakt zu den Frauen aufnehmen, falls diese nicht von selbst den Weg zur Beratung finden. Sandrock gibt ihnen nicht nur psychologische Hilfe, sondern leitet sie an die Opferhilfe weiter, die die Frauen rechtlich berät und während der Gerichtsprozesse begleitet oder aber ins Frauenhaus, in das pro Jahr zwischen 60 und 70 Frauen ziehen.
Über 100 Gewaltopfer hat Sandrock in diesem Jahr bis Oktober beraten, über die Hälfte der Frauen waren Potsdamerinnen. Etwa 20 Prozent aller wurden schon in ihrer Kindheit misshandelt, 50 Prozent erst im Erwachsenenalter. Laut Sandrock sind nahezu alle traumatisiert, leiden oft an Panikattacken, die sie auch im Berufsleben einschränken: „Wie soll jemand der Angst im Dunkeln hat, im Winter früh morgens zur Arbeit gehen?“, erklärte Sandrock. Neun Prozent der Opfer sind von deutschen Ehemännern misshandelte Migrantinnen: „Das grenzt teilweise an Sklavenhaltung“, meint Sandrock.
Dass ein ausländischer Mann seine deutsche Frau schlägt, habe sie erst einmal erlebt. Nach Sandrocks Erfahrung hänge Gewalt nicht vom sozialen Umfeld ab: „Passieren kann das jeder.“