Potsdam (dpa) Die Anspannung steht Ermyas M. ins Gesicht geschrieben. Immer wieder beißt er sich auf die Unterlippe und gibt knappe Antworten auf die Fragen, die auf ihn niederprasseln. Dutzende Kameras sind auf ihn gerichtet — auf das Opfer des lebensgefährlichen Übergriffs vor fast zehn Monaten in Potsdam. In wenigen Minuten soll der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Täter beginnen, wegen gefährlicher Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung. Ermyas M. sagt, es gehe ihm “relativ sehr gut”. Und: “Es ist nicht alles wieder wie vorher.”
Vorher, das ist vor dem 16. April 2006, als der dunkelhäutige Deutsch-Äthiopier an einer Potsdamer Haltestelle durch einen Faustschlag ins Koma geprügelt wurde. Entsetzen in der ganzen Republik — wieder eine fremdenfeindliche Attacke im Osten Deutschlands?
Der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm zog die Ermittlungen an sich — wegen Mordversuchs aus Ausländerhass. Das löste einen Streit mit Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) aus, der vor “Hysterie” warnte. Die beiden Verdächtigen waren damals schnell gefasst und kamen in Untersuchungshaft. Aber schon wenig später ruderte Nehm zurück, die Potsdamer Staatsanwaltschaft übernahm wieder die Ermittlungen. Am Mittwoch nun sitzen die beiden Angeklagten — seit längerem wieder auf freiem Fuß — in dem angesichts des Medienspektakels viel zu kleinen Saal 009 des Potsdamer Landgerichts.
Wäre nicht die dramatische Vorgeschichte, wäre es ein Prozess unter vielen — es geht schließlich “nur noch” um gefährliche Körperverletzung, unterlassene Hilfeleistung und Beleidigung. Aber so haben sich Übertragungswagen vor dem Gericht aufgebaut, der Eingang ist abgesperrt, Zuschauer und Presse müssen Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. Nur 15 Journalisten erhielten eine Akkreditierung, nicht wenige müssen draußen bleiben. Drinnen würdigen sich die 29- und 31-jährigen Angeklagten, die jegliche Schuld von sich weisen, kaum eines Blickes. Auch Ermyas M. — seine langen Rasta-Locken sind einer Kurzhaarfrisur gewichen — wird nur flüchtig beachtet.
Erkannt hat der Wasserbauingenieur die Beiden vermutlich nicht. “Mein Mandant kann sich überhaupt nicht an die Tat erinnern”, sagt Opfer-Anwalt Thomas Zippel. Nur “diffuse Bilder” seien da. Während die Staatsanwaltschaft die Anklage verliest, hören die Beschuldigten äußerlich regungslos zu: In der Tatnacht sollen sie sich mit dem Opfer ein Wortgefecht geliefert haben,. Beschimpfungen, darunter auch “Scheiß Nigger”, zeichnete die Handy-Mailbox der Ehefrau auf, die Ermyas M. gerade angerufen hatte.
Als sich die Beschuldigten zunächst entfernten, so die Anklage, versuchte M. den Hauptangeklagten Björn L. ins Gesäß zu treten. Daraufhin habe dieser mit der Faust zugeschlagen. Thomas M. soll dem am Boden liegenden Opfer nicht geholfen haben. Soweit die Anklageschrift, Begriffe wie “fremdenfeindlich” oder “ausländerfeindlich” stehen nicht darin. Dafür kommen sie aber mehrfach in den Erklärungen vor, die die Angeklagten über ihre Anwälte verlesen lassen. So beteuert Björn L.: “Ich habe mit der Verletzung von Ermyas nichts zu tun und bin in keinster Weise ausländerfeindlich”. Zur Tatzeit sei er zu Hause gewesen. Ähnlich äußert sich Thomas M..
Björn L. scheint mehrfach den Tränen nahe zu sein, als es in seiner Erklärung um seinen “irreparablen persönlichen Schaden” durch den Fall geht. Derweil verfolgt Ermyas M. die Verhandlung ruhig und hoch konzentriert. Schon am Freitag soll er in den Zeugenstand gerufen werden. Nach dem etwas mehr als halbstündigen ersten Prozesstag weist er Fragen von Medien zurück: “Ich möchte jetzt nur noch Ruhe.”