Potsdam — Knapp zehn Monate nach dem Überfall auf den Deutsch-Äthiopier Ermyas M. hat am Mittwoch vor dem Landgericht in Potsdam der Prozeß gegen die mutmaßlichen Täter begonnen.
Nach den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft hatten der 29jährige L. und der 31jährige M. in der Nacht des 16. April 2006 gegen vier Uhr morgens an einer Haltestelle in Potsdam-Charlottenhof ihr Opfer zunächst beschimpft, so etwa als »Scheiß Nigger«. Beide hätten sich, so trug es Staatsanwältin Juliane Heil vor, nach der verbalen Auseinandersetzung etwa 50 Meter entfernt, als ihnen Ermyas M. nachgelaufen sei und versucht haben soll, Björn L. in den Hintern zu treten. L. habe, so die Staatsanwältin weiter, die fehlgeschlagene Attacke bemerkt, sich sofort umgedreht und dem 38jährigen aus Äthiopien stammenden Wasserbauingenieur einen derart heftigen Faustschlag versetzt, daß dieser, lebensgefährlich verletzt das Bewußtsein verlor und zu Boden ging. Nach dem brutalen Angriff sollen sich die beiden Angeklagten vom Tatort entfernt und dabei ihr Opfer blutend liegen gelassen haben.
Björn L. ließ erklären, ihm tue aufrichtig leid, was dem Opfer widerfahren sei. Er sei jedoch weder am Tatort noch an diesem Tag mit dem Mitangeklagten zusammen gewesen. Sein Verteidiger sprach von einem Indizienprozeß mit aus seiner Sicht ausgesprochen dünner Beweislage. Er werde deshalb auf Freispruch plädieren.
Polizei und Staatsanwaltschaft standen vor komplizierten Ermittlungen, weil es wegen der morgendlichen Tatzeit kaum Zeugen gibt. Lediglich die zufällige Aufzeichnung der Beschimpfungen auf dem Handy von Ermyas M. brachte etwas Licht ins Dunkel. In den von der Polizei veröffentlichten Mitschnitten waren Schimpfworte wie »Nigger«, »oller Nigger« und »Scheißnigger« deutlich zu hören.
Dies hatte damals Generalbundesanwalt Kay Nehm veranlaßt, die Ermittlungen an sich zu ziehen, weil die Behörden von einem rassistisch motivierten Mordversuch ausgingen. Vier Tage nach der Tat hatte die Polizei die beiden Angeklagten festgenommen. Als sich der Anfangsverdacht nicht mehr halten ließ, gab Nehm die Ermittlungen an die Potsdamer Staatsanwaltschaft zurück, und die beiden Tatverdächtigen kamen wieder frei. Björn L. wurde später noch zweimal verhaftet, befindet sich aber seit September 2006 auf freiem Fuß. Im Falle einer Verurteilung müssen beide Angeklagte mit Haftstrafen rechnen. Für Björn L. kann sie bis zu zehn, für Thomas M. bis zu zwei Jahre dauern.
Ermyas M., der nach der Tat aufgrund seiner schweren Verletzungen wochenlang im künstlichen Koma gelegen hatte, erklärte am Mittwoch vor Journalisten, er wisse im Grunde nicht, ob es sich bei den Angeklagten um die Täter handele. Er wolle an dem Prozeß als Zuhörer teilnehmen, um den Überfall zu verarbeiten. Sein Anwalt sagte, sein Mandant verfüge über keine konkrete Erinnerung an die Tat, es gebe in seinem Kopf davon nur »diffuse Bilder«. »Mir geht’s relativ sehr gut, wirklich«, so Ermyas M. am Mittwoch. Das Opfer soll am Freitag als erster Zeuge vom Gericht befragt werden. Neben Ermyas M. sind weitere 59 Zeugen und sechs Sachverständige geladen. Mit einem Urteil wird nicht vor Ende April gerechnet.
Das Potsdamer Landgericht gab sich zum Verhandlungsauftakt alle Mühe, die Öffentlichkeit weitgehend auszusperren. Obwohl seit Monaten klar war, daß es sich um einen Strafprozeß von bundesweitem Interesse handelt, hatte die Pressestelle des Landgerichts ganze zehn (!) Akkreditierungen vergeben. Für die restlichen rund 50 Pressevertreter standen noch knapp 20 Zuschauerplätze zur Verfügung.