Täter aus der rechten Szene verabredeten sich per Telefon und überfielen
mutmaßliche Linke auf offener Straße
RATHENOW Ob aus Wut darüber, dass sie und ihre rechtsgerichteten Kumpane an
einem Augusttag 2001 nicht zum Countryfest in den Saal gelassen wurden, oder
ob sie überhaupt einfach nur einen Anlass zum Prügeln suchten, kann
dahingestellt sein. Nachweisbar ist jedoch, dass eine Gruppe von ihnen an
diesem Sommerabend kräftig beim alkoholischen Umtrunk war. In dieser
feuchtfröhlichen Runde kam ein Anruf, dass es Stress geben wird und “Zecken”
(Linke) unterwegs sind. Danach stürmten sie los zur Aktion.
Was sich daraus entwickelte, führte zur Anklage gegen mehrere Tatbeteiligte
der Gruppe. Über 16 Monate nach dem Vorfall klagte der Staatsanwalt vor
einem Jugendschöffengericht unter Vorsitz der Amtsgerichtsdirektorin
Adelheid van Lessen die Beschuldigten an, gefährliche Körperverletzung
begangen hätten. Auf der Anklagebank saßen der 21-jährige Marcel H., der
16-jährige Thomas F., der 18-jährige Fred S. und der gleichaltrige Sven Ho.
In einer ganztägigen Verhandlung war das Gericht bemüht, den Tatablauf zu
rekonstruieren und die Tatbeteiligung der einzelnen Angeklagten
herauszufinden. Die Beschuldigten schwiegen zur Sache.
So schilderte dann als erster Zeuge der Geschädigte selbst, der 24-jährige
Mirko R., den Überfall. Er sei zusammen mit einem Bekannten, dem 31-jährigen
Mario B., nach dem Besuch einer Gaststätte von der Tankstelle in der
Berliner Straße kommend, auf dem Fußgängerweg in Richtung Stadtzentrum
gelaufen. Er habe ein Fahrrad an der Hand geführt. Plötzlich sei etwa in der
Höhe der Stadtverwaltung ein Auto von hinten auf sie zugefahren. Aus ihm
stiegen mehrere Personen. “Ich fühlte mich plötzlich bedroht”, schilderte
der Zeuge die Situation. Daraufhin sei er auf die andere Straßenseite in
Richtung Sparkasse gerannt. “Aber auch auf dieser Seite kamen immer mehr
Leute entgegen”, führte R. weiter aus. Als er stehen blieb, hagelte es
Faustschläge von Einzelnen aus dieser Gruppe. Er sei dann zu Boden gefallen
und wurde nun mit Fußtritten misshandelt. Dann schlug man ihn noch mit einem
Fahrradständer auf den Kopf. Nach diesem Überfall war er eine Weile
bewusstlos.
Als er wieder zu sich kam, war von den Tätern keiner mehr dort. Aus eigener
Kraft sei er zum Krankenhaus gegangen. Dort wurden die körperlichen Schäden
festgestellt. Es waren mehrere Platzwunden am Kopf, Blutergüsse am linken
Auge, Prellungen im Brustkorb, am linken und rechten Oberschenkel sowie ein
Schädel-Hirn-Trauma. Eine Zeit lang wurde er stationär behandelt.
Sein Mitverfolgter, der 31-jährige B., bestätigte in seiner Zeugenaussage
den geschilderten Tatverlauf. Er ergänzte, dass der Angeklagte Ho. über ihn
hergefallen wäre. Ihm sei es jedoch gelungen, sich von diesem Angreifer zu
befreien. Anschließend sei er geflohen, habe sich versteckt, weil einige der
Anklagten ihn jagten. B. bestätigte, dass nach dem Überfall auf R. die Täter
diesen auf der Straße liegen gelassen hatten. Mit seinem Handy habe er dann
die Polizei informiert.
Von allen Angeklagten hatte nur F. den Mut, zur Sache etwas auszusagen. Er
bestätigte, dass der ganze Überfall durch einen Anruf ausgelöst wurde. Ihnen
sei mitgeteilt worden, dass es Stress gebe. Danach sei die Gruppe
aufgebrochen und in Richtung Sparkasse gelaufen. Hier stießen sie auf die
Zeugen R. und B. Diese wurden von ihnen angegriffen. Er gestand, dass er
mindestens zweimal mit seinen Stiefeln, die mit Stahlkappen beschlagen
waren, auf den Oberkörper von R. getreten habe, als dieser bereits auf dem
Straßenpflaster lag. Die übrigen Angeklagten schwiegen.
Nach weiteren Zeugenvernehmungen schloss die Gerichtsvorsitzende nach fast
siebenstündiger Verhandlung die Beweisaufnahme. In seinem Schlussvortrag
ging der Staatsanwalt davon aus, dass der Prozess bewiesen habe, dass alle
Angeklagten an der Körperverletzung des Zeugen R. beteiligt gewesen wären.
Dafür möge das Gericht für die Angeklagten F. und S. eine Jugendstrafe
zwischen einem und zwei Jahren, beziehungsweise sechs Monate aussprechen.
Der Strafvollzug solle auf Bewährung ausgesetzt werden. Für den Angeklagten
Ho. beantragte er, unter Einbeziehung eines bereits ergangenen Urteils
diesen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ohne
Bewährung zu verurteilen.
Die Verteidiger der Angeklagten S. und Ho. beantragten, ihre Mandanten
freizusprechen. Für F. wurde eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren unter
Einbeziehung eines früheren Urteils vom Verteidiger beantragt. Das Gericht
befand, dass alle Angeklagten schuldig wären, eine gefährliche
Körperverletzung begangen zu haben. Für den mehrfach vorbestraften
Angeklagten Thomas F. hielt das Gericht eine Jugendstrafe von zwei Jahren
für angemessen. Der Vollzug wurde auf Bewährung ausgesetzt. Das gleiche
Strafmaß erhielt der mehrfach Vorbestrafte Sven Ho. Allerdings wird erst
nach sechs Monaten entschieden, ob die Vollstreckung ausgesetzt wird. Ein
Jahr Jugendstrafe auf Bewährung erhielt der Angeklagte Christian S. Mit
diesen Urteilen waren die Angeklagten nicht einverstanden. Sie legten über
ihre Verteidiger Berufung beim Landgericht ein.
Das Urteil über Marcel H. wurde erst nach einem zweiten Gerichtstag
verkündet. Er hatte sich wegen einer weiteren Straftat, einer
Körperverletzung, zu verantworten. Er wurde wegen einer versuchten
gefährlichen Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren
verurteilt. Die Bewährungsentscheidung wurde auch hier für sechs Monate
ausgesetzt.
Siehe auch Onlinebroschüre Rechtsextremismus im Westhavelland — Jahresbericht 2001