Polizei behindert Gegendemonstrationen gegen
antisemitischen NPD-Aufmarsch
(AG Antirassismus, Antifaschistische Aktion Potsdam, AStA der Universität Potsdam, Faninitiative Stehplatz-ermässigt,
Kampagne gegen Wehrpflicht, Progress, 17.9.02)Antirassistische Potsdamer Gruppen kritisieren das Vorgehen der Potsdamer Polizei zur Sicherung der NPD-Demonstration am Bahnhof Pirschheide am vergangenen Samstag. Die Polizei versuchte schon im Vorfeld, Gegendemonstrationen zu verbieten oder zu behindern.
So verlegte die Polizei alle linken Gegenveranstaltungen aus dem Stadtzentrum, Drewitz und Rehbrücke nach Babelsberg. Obwohl die Veranstalter in den Kooperationsgesprächen gemeinsame Demonstrationen abgelehnt hatten, sollten sämtliche Demonstrationen in kurzen zeitlichen Abständen am S‑Bhf. Babelsberg beginnen. Die Polizei versuchte offenbar aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen ohne Rechtsgrundlage einfach mehrere Versammlungen zusammenzulegen.
Entgegen der Zusage, die Auflagen am frühen Nachmittag zuzustellen, übermittelte die Polizei die entsprechenden Bescheide erst nach dem Dienstschluß des Verwaltungsgerichtes in der Nacht vor der Demonstration. Teilweise wurden die Auflagen an völlig falsche Büroadressen gefaxt. Der Leiter der für 9 Uhr am Hauptbahnhof angemeldeten Kundgebung erfuhr erst am Veranstaltungsort daß die Polizei die Kundgebung kurzerhand an den Babelsberger Weberplatz verlegt hatte.
Während die Polizei die Behinderung linker Gegendemonstrationen damit begründete, nur so die Veranstaltungen schützen zu können, hatte ihr Pressesprecher Rudi Sonntag noch 2 Tage vor dem NPD-Aufmarsch in der Presse verkündet, die Polizei habe “in jedem Fall ausreichend Kräfte im Einsatz, um die Gegenveranstaltungen zu schützen”. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Gegenveranstaltungen in Rehbrücke oder Drewitz von 1000 Polizisten wegen 70 am Bahnhof Pirschheide versammelten Neonazis verlegt werden mußten.
Die Auflagen der Polizei sind unzulässige Eingriffe in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Teilweise kamen sie in ihrer Wirkung einem Demonstrationsverbot gleich. Mit einer Mischung aus Verzögerung, Behinderung und Desinformation erschwerte die Polizei das sonst stets medienwirksam eingeforderte Engagement gegen Rechts.
Daß dennoch ca. 500 Personen an linken Gegenveranstaltungen teilnahmen, werten wir als Erfolg.
Derzeit werden rechtliche Schritte gegen die Auflagen und Verbote geprüft.
Grundrechte bei Antinazi-Protesten eingeschränkt
(Rote Hilfe) Am 13.09.2002 meldete die Rote Hilfe unter dem Motto „Solidarität mit den Opfern von Ausländerfeindlichkeit und Sicherheitswahn” eine
Demonstration an. Die geschah in Reaktion auf die skandalöse Aufhebung des Verbotes der NPD-Demo, mit
ihrem offen antisemitischen Motto, „Schluss mit der Masseneinwanderung russischer Juden, Deutschland uns
Deutschen”. Zur Begründung hatten die Richter ausgeführt, dass dieser Aufruf als kritische Meinungsäußerung gegenüber der Zuwanderungspolitik der BRD zu verstehen sei.
Selbst offensichtlich offener, aggressiver Rassismus und Antisemitismus scheint bei der Justiz nicht wahrnehmbar. Dies ist zwar kaum verwunderlich, was uns die Aufarbeitung der jüngeren deutschen Historie ebenso wie der justizielle Umgang mit Neonazis aufzeigt, dennoch hier ausdrücklich zu kritisieren.
Diese, unsere Demo, sollte ganz bewusst den Zusammenhang zwischen der von Verfassungsschutz gesteuerten Neonazipartei und den gleichzeitig rapide ausgebauten Befugnissen von Geheimdiensten und staatlichen
Repressionsorganen, sowie dem widerlichen Problem von Rassismus und Patriotismus aufzeigen. Die Demo sollte am 14.09.2002 um 9.30 Uhr vor dem Bahnhof Charlottenhof starten und gegen 14.30 in der Russischen Kolonie mit einer Abschlusskundgebung enden. Es wurden ca. 200 Teilnehmer erwartet, um friedlich und im Rahmen des deutschen
Versammlungsgesetztes, gegen die von staatlichen Entscheidungsträgern herbeigeführte Situation sowie den Naziaufmarsch zu protestieren.
Laut Art. 8 GG haben alle Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dazu ist lediglich eine Anmeldung gemäß § 14 Versammlungsgesetz
erforderlich. Nur bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit können Auflagen erteilt werden. Leider hat sich die Polizei es seit einiger Zeit zur Angewohnheit gemacht, sämtliche Versammlungen mit Auflagen zu belegen. Obwohl ihre Aufgabe vom Gesetzgeber her ursprünglich lediglich
dahingehend gedacht ist, dass die Polizei Aufzüge und Versammlungen von Behinderungen durch bspw. den Verkehr freizuhalten hat. Es gab am 13.09.2002 ein Koordinierungsgespräch. Alle gegen die Nazis
mobilisierenden Gruppen, die an verschiedenen Standorten in Potsdam Demonstrationen angemeldet hatten, wurden gemeinsam zu um 10.00 Uhr zum Gespräch geladen. Eine grundrechtlich mehr als bedenkliche Maßnahme.
Darüber hinaus wurde versucht, die einzelnen Veranstalter dazu zu bewegen, eine gemeinsame Demo abzuhalten. Jeder hat das Recht auf eine eigene Versammlung mit den jeder Gruppierung immanenten Zielsetzungen. Schon hier versuchte die Staatsgewalt massiv auf die grundgesetzlich
garantierten Freiheiten in unlauterer Weise einzuwirken. Der Anmelder der Demonstration der Roten Hilfe wurde nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass dieses Koordinierungsgespräch beim Polizeipräsidium Potsdam
stattfinden sollte. Er hatte in seiner Anmeldung die Postadresse des Vereins der Roten Hilfe e.V. OG Potsdam angegeben. Tatsächlich wurde ein Fax mit dieser Information an die “Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär” versandt. Natürlich erfuhr der Verein von
diesem Termin zu spät und auch nur zufällig. Diese unglaubliche und durchsichtige Maßname der Polizei sollte den Zweck haben, schon im Vorfeld, die Versammlungsfreiheit der Roten Hilfe einzuschränken. Nicht nur der Missbrauch des Koordinationsgespräches gegen die eigentlichen
Interessen von Demoanmeldern sondern auch die scheinbar absolute Unkenntnis der Bedeutung von Postadressen sind hier herauszuheben. Dem Veranstalter ist aber vor der Einschränkung seiner grundgesetzlich verbrieften Rechte, gemäß § 28 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des
Landes Brandenburgs (Bbg VwVfG), die Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Das wurde mit Erfolg verhindert.
Um 16.30 wurde von Seiten der Roten Hilfe versucht, beim zuständigen Sachbearbeiter der Polizei anzurufen, um über eventuelle Auflagen informiert zu werden. Es war aber niemand erreichbar, so dass davon ausgegangen wurde, dass die Demo wie angemeldet durchgeführt werden
könnte. Am 13.09.2002 versuchte dann jedoch die Polizei gegen 22.30 Uhr der Roten Hilfe ein Schriftstück zuzustellen. Obwohl von den überbringenden Beamten Mitglieder der Roten Hilfe angetroffen wurden,
die sich als solche zweifelsfrei zu erkennen gaben, wurde darauf bestanden, dieses dem Anmelder selbst zuzustellen. So holte dieser, hochkooperativ, gegen 23.00 Uhr das Schriftstück beim Polizeipräsidium Potsdam ab. Dieses enthielt eine achtseitige Verfügung. Nunmehr sollte
die Demonstration in der Zeit von 12.00 — 14.00 in Babelsberg stattfinden. Die Route sollte am S‑Bahnhof Babelsberg starten und über die Babelsberger Strasse über die Lange Brücke über die Engels- Strasse
dorthin zurückführen. Es wurden uns mehrere Zwischenkundgebungen und eine Abschlusskundgebung zugebilligt. Die von der Polizei vorgese
hnene
Strecke wäre in dieser Zeit nicht zu bewältigen. Die sogenannten Auflagen stellen faktisch ein Verbot der Demo der Roten Hilfe dar. Begründet wurde dies lapidar mit dem Hinweis, die Demonstration nicht schützen zu können.
Wovor ist hier die Frage, etwa vor dem zu regelnden Verkehr?
Einige Tage vorher hatte sich die Polizei noch in der Öffentlichkeit gebrüstet, genügend Kräfte zu haben, um alle Demonstrationen, die NPD wie die Gegendemos, schützen zu können.
Diese stereotype Begründung erhielten neben der Roten Hilfe auch alle anderen Veranstalter von Aktivitäten gegen die VS-NPD Hetzveranstaltung gegen Jüdische Mitmenschen. Es wurde wohl nur ein Formular ausgefüllt, um uns unserer verfassungsgarantierten Rechte zu beschneiden.
Das fiel besonders bei uns auf, da darauf hingewiesen wurde, dass man ja im Koordinierungsgespräch versucht hätte, eine Einigung der einzelnen Gruppen zu erreichen, wir dem aber nicht gewollt waren beizuwohnen. Nun war der Anmelder der Roten Hilfe, wie oben ausführlich hergeleitet, weder eingeladen noch entspricht ein solches Koordinierungsgespräch dem Regelfall des Versammlungsgesetztes.
Dass dies nichts mehr mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit zu tun hat, ist offensichtlich. Weder Strecke noch Zeit waren nur annähernd identisch. Die Begründung bestand aus der Wiederholung des
Gesetzestextes und nicht einer konkreten Erklärung, wie es das Rechtsstaatsprinzip gebietet. Dieses Verbot, als Auflage bezeichnet, wurde für sofort vollziehbar
erklärt. Was wiederum bedeutet, dass ein eingelegter Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, also das Verbot zu beachten ist, um sich nicht strafbar zu machen. Der in diesem Lande aber immer noch übliche Rechtsschutz war nur noch vor dem Verwaltungsgericht in Form
eines Eilantrages zu erreichen.
Aber auch das ist in Potsdam, einer deutschen Landeshauptstadt, nicht möglich. Gegen 7.30 Uhr wurde ein entsprechender Antrag an das Gericht gefaxt.
Dem Rechtsstaat nicht blind vertrauend, wurde einer Richterin, die um 9.20 Uhr am Gericht erschien, der Antrag nochmals übergeben. Diese erklärte, der “Eildienst” sei erst ab 10.00 Uhr im Dienst. Es wurde auf die Dringlichkeit des Antrages hingewiesen, und deutlich gemacht, dass die betroffene Demonstration bereits um 09:30 Uhr
beginnen sollte. Jetzt wurde geschäftig getan und zugesagt, bis 10.30 Uhr eine Entscheidung in der Angelegenheit herbeizuführen. Man wollte diese dann telefonisch bekannt geben. Zu dieser Zeit hatte sich bereits
eine Spontandemonstration gebildet und zog in Richtung Bahnhof Charlottenhof. Kurz dahinter wurde der Zug gestoppt, es kam zu mehreren Einkesselungen der friedlich verlaufenden Demonstration. Die Polizei beachtete erneut nicht das Versammlungsgesetz. Ohne die Demo aufzulösen
oder Auflagen zu erteilen, ging sie brutal gegen protestierende Menschen vor. Es wurde mindestens eine Person rechtswidrig festgenommen, einige
weitere Teilnehmer wurden verletzt. Gegen 10.30 Uhr änderte sich das Bild. Die bereits bis zum Bahnhof abgedrängte Demo wurde nun hinhaltend behandelt. Es wurde mehrfach der Anmelder der Roten Hilfe ausgerufen. Ein vom Demoanmelder autorisiertes Mitglied der Roten Hilfe wartete seit
10.15 Uhr vor dem Verwaltungsgericht, um die Entscheidung in
schriftlicher Form entgegen zu nehmen. Diese erging aber trotz Zusage erst um 11.20 Uhr und sah folgendermaßen aus:
Der Richter erklärte, dass die Versammlungsbehörde nun die Auflagen der Polizei zurücknehme. Wieso er, als Organ der Rechtspflege und nicht der Behördenleiter dies tat, lässt folgende Vermutung zu: Es wurde eine Absprache zwischen Justiz und Verwaltung getroffen. Die Entscheidung über den wohl begründeten Eilantrag sollte solange zurück
gehalten werden, bis die Polizei grünes Licht
dafür gibt, sprich, bis die VS-Schützlinge oder auch Neo-Nazis sicher aus der Stadt sind. Eine Absage an die Gewaltenteilung!
Das Gericht hat eine Entscheidung getroffen und entgegen seiner Pflicht zurückgehalten. Offenbar war dem Gericht die behördliche Nähe zur Polizei ein höheres Gut als die in Art. 20 GG definierte Pflicht, sich an Recht und Gesetz
zu halten, dem Bürgern und demokratischen Organisationen dieses Landes zu ihrem Recht zu verhelfen.
Zusammenfassend kann nur resümiert werden, dass mit allen Mitteln Demonstrationen von Neonazis durchgesetzt werden. AntifaschistInnen hingegen bleiben unerwünscht und werden fantasievoll und mit fragenwürdigen, keineswegs rechtsstaatlichen Methoden bekämpft. In dieser Demokratie scheint es beim Thema Demonstrationsrecht und
Versammlungsfreiheit längst keine Gleichbehandlung mehr zu geben. Letztendlich können wir nur feststellen, dass mit Verboten, die dem Gesetz widersprechen und von der willfährigen Justiz unterstützt werden, der Rechtsstaat eine Utopie in der Bundesrepublik Deutschland ist und
wohl auch bleiben wird.
Marek Winter
(Inforiot) Alle Infos zu den Ereignissen am 14.9. in Potsdam sind hier nachzulesen.