(Berliner Morgenpost, M. Lukaschewitsch)
Zeugen von brutalen Verbrechen schweigen oft aus Angst, manchmal aus
Gleichgültigkeit und gelegentlich, um Täter zu schützen. Jetzt müssen sie
damit rechnen, dafür bestraft zu werden.
Potsdam/Neuruppin — Wegschauen bei rassistisch motivierten Übergriffen,
Untätigbleiben, wenn ein Schüler wegen seiner Haarfarbe stundenlang
drangsaliert und zum Schluss bestialisch ermordet wird: Das soll nach dem
Willen der Brandenburger Ermittlungsbehörden — und speziell der Neuruppiner
Staatsanwaltschaft — bald der Vergangenheit angehören: Mitwisser und Zeugen
von Gewaltverbrechen dürfen bei Ermittlungen und vor Gericht nicht mehr auf
Gnade hoffen.
«Die Menschen sollten wissen, dass Schweigen und Lügen bei Strafverfahren
keine Kavaliersdelikte sind», sagte gestern Petra Marx, Sprecherin von
Justizministerin Barbara Richstein (CDU). «Wenn sich bei den Ermittlungen
schon herausstellt, dass ein Großteil von Zeugen die Unwahrheit sagt, dann
ist unsere Marschroute ganz klar: Dann werden wir im Prozess den Rahmen des
Strafrechts bis auf das Äußerste ausreizen», machte Gerd Schnittcher,
Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin, gestern deutlich.
Zu spüren bekommen haben die härtere Gangart jetzt schon vier Zeugen im
Prozess um den Tod des Russlanddeutschen Karjat Batesov, für den sich vor
dem Landgericht in Neuruppin derzeit fünf junge Männer im Alter zwischen 20
und 22 Jahren verantworten müssen. Vier zunächst als Zeugen geladene junge
Männer, die in der Tatnacht am 4. Mai vergangenen Jahres dabei waren, als
Karjat Batesov zusammengeschlagen und dann mit einem 17 Kilogramm schweren
Feldstein getötet wurde, schickte Staatsanwalt Kai Clement wegen
Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Und prompt zeigten sie wenig
später Gesprächsbereitschaft. Die Gedächtnislücken füllten sich mit
Erinnerungen. «Wir müssen die Mauer des Schweigens durchbrechen», sagte
Oberstaatsanwalt Schnittcher. Mindestens 30 Menschen standen vor der Disko,
als die Schlägerei begann. «Es kann nicht sein, dass keiner gesehen haben
will, was genau passiert ist.»
Augen verschließen schützt vor Strafe nicht: Wie auch im Fall des ermordeten
Sonderschülers Marinus Schöberl, der in Potzlow von drei Rechtsradikalen
wegen seiner gefärbten Haare und seinem Hip-Hop-Outfit ermordet worden war.
Drei Zeugen müssen sich nun wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten.
Sie hätten nach Überzeugung der Staatsabwaltschaft den Tod des Jungen
verhindern können, weil sie mitbekommen hatten, dass das Trio den Jungen im
Visier hatten. Das Mittel ist nicht neu: Im Fall Dolgenbrodt 1992 kamen die
Mitwisser erst zur Räson, nachdem Strafverfahren gegen sie eingeleitet
worden waren.