Wieder einmal wollen Neonazis die Toten auf dem Soldatenfriedhof in Halbe für ihre revanchistischen Ziele missbrauchen. Als einer, der bei der Kesselschlacht von Halbe dabei war, möchte ich darüber berichten, wie es zu diesem großen Massengrab kam.
1944 begann für mich als damals Sechzehnjährigen wie für die meisten meines Jahrgangs mit sechs Wochen militärischer Vorausbildung in einem so genannten Wehrertüchtigungslager bei Wangerin (Pommern). Im August erfolgte die Einberufung zum Reichsarbeitsdienst (RAD) nach Südostpreußen bei Mielau. Von morgens bis abends galt es zu marschieren, Schießübungen zu veranstalten, Stellungen zu bauen und Schikanen zu ertragen. Der Dienst für uns Sechzehn- und Siebzehnjährige war sehr hart. Wir unterschieden uns kaum von Pioniereinheiten der rückwärtigen Fronttruppe. Bei klarem Wetter konnte man in der Ferne die Artillerie der immer näher rückenden Front vernehmen.
Mitte November wurden wir plötzlich als RAD-Lager aufgelöst und in die Heimatorte entlassen. Die Meldung beim Wehrkreiskommando war Pflicht. Die Front im Osten wie im Westen rückte immer näher in Richtung Berlin. Ich möchte erzählen von einer der schlimmsten Schlachten auf deutschem Boden, die ich als siebzehnjähriger Soldat (eingezogen am 15.12.1944 nach Dresden) erleben musste.
Mitte Januar erfolgte der Zusammenbruch der Ostfront. Am 12. Januar 1945 — wir waren als Soldaten bei der sog. Putz- und Flickstunde — bekam ich von zu Hause ein Paket. Mit großer Freude wurden die Leckereien von meinen Eltern in Empfang genommen. Im selben Moment, als ich das Paket noch in der Hand hielt, kam ein Durchruf: “Alles fertig machen zum Fronteinsatz!” In großer Eile verteilte ich den Inhalt an alle Kameraden. Wir wurden neu eingekleidet, mit Waffen und Munition versehen, und ab ging es in Richtung Bobersberg, Sommerfeld, Christianstadt (Niederschlesien).
Die deutsche Front wurde von der vordringenden Roten Armee immer mehr zurückgedrängt, und wir kamen in die ersten Kampfhandlungen. Wir kamen in den Fronteinsatz und erlebten die ersten Verluste. Für uns junge Menschen war das der Beginn einer großen Tragödie. Die Truppeneinheiten wurden zurückgeschlagen.
Wir waren verlaust, verdreckt, viele hatten die Krätze, darunter auch ich. In einer Kampfpause meldete ich mich daher von meiner Einheit ab, um das Lazarett aufzusuchen. Aber es gab so viele Verwundete, dass eine Behandlung nicht möglich war. Ich bekam daher auch nicht die übliche Bestätigung, dass ich tatsächlich im Lazarett gewesen war.
Bevor ich zu meiner Truppe zurückkehren konnte, setzten wieder heftige Kämpfe ein. Kompanien, ja ganze Regimenter gingen in den blutigen Kämpfen zugrunde bzw. wurden in alle Himmelsrichtungen versprengt. Jeder versuchte, in Autos, Pferdewagen usw. unterzukommen, um der anrückenden Roten Armee zu entkommen. Auch meine Kompanie war nicht mehr auffindbar. Im Dorf Steinsdorf (Oder) erfuhr ich schließlich, dass Reste der aufgelösten Kompanie sowie der Regimentsstab sich im nächsten Dorf befanden.
Ein verwundeter Soldat, dem ich mich angeschlossen hatte, ging in Richtung dieses Dorfes. Der Weg wurde unterbrochen, indem eine Wagenkolonne uns entgegenkam und hielt. Im zweiten, einem offenen Wagen, saß ein General mit seinem Stab und fragte, was wir hier auf der Chaussee zu suchen hätten. Der andere Soldat, der einen Armschuss bekommen hatte und im Lazarett medizinisch versorgt worden war, konnte seine Bestätigung vorweisen, ich jedoch nicht. Der General packte mich und zog mich in sein Auto, fuhr mit mir in ein Haus in Steinsdorf, wo ein Divisionsstab lag und wo er unbedingt mit der Front telefonieren musste.
Dieser General war der Kommandierende General der 9. Armee, Theodor Busse, wie ich von seinem Adjutanten erfuhr. Nachdem ich ihm die Zusammenhänge der Kämpfe und mein Entfernen von diesem Chaos, das zur Auflösung der Einheiten führte, geschildert hatte, antwortete er, dies sei nicht stichhaltig, ich wäre geflüchtet. Der General ging in eine Besprechung, kam wieder raus, sah mich und sagte: “Ich werde Sie erschießen.” Er ging zurück in sein Zimmer und telefonierte mit einigen Befehlshabern. Durch sein lautes Organ erfuhr ich den Zustand der Front. Sie war erbärmlich. Der General schilderte Generaloberst Heinrici die Lage der Front als in Auflösung begriffen, mit schweren Verlusten, nicht mehr imstande, größere Kampfhandlungen zu führen, und es drohe eine Einschließung der Armee.
Nach diesem Gespräch eilte der General wie ein Wahnsinniger wieder durch mehrere Zimmer, sah mich und sprach zum Adjutanten, sie sollten mich abführen. Über nacht war ich in einer Scheune untergebracht. Morgens wurde ich von der Feldgendarmerie, drei Kettenhunden, wie sie genannt wurden — das waren teilweise fliegende Feldgerichte, Zubringer für Todesurteile — zu meinem Regimentsstab geführt, der im nächsten Dorf lag. Der Befehl lautete: das kriegsgerichtliche Verfahren sollte zwar eingestellt werden, ich aber sofort zum Bewährungsbataillon im vordersten Fronteinsatz gebracht werden. Vorher sollte ich 20 Stockhiebe wegen angeblicher Entfernung vom Truppenteil erhalten. Dies unterblieb zwar, weil der Adjutant, der mir den Befehl zeigte, das unter den Tisch fallen ließ.
So begann der große Marsch über Guben, Mülrose in Richtung Teupitz. Inzwischen war die 9. Armee eingeschlossen. Wir wurden von der Luftflotte der Roten Armee mit Bomben belegt. Zu bemerken ist dabei, dass sich dem Treck der Armee Zehntausende von Flüchtlingen angeschlossen hatten: Frauen und Kinder, alte Leute. Wir erfuhren, dass es Aufgabe war, einen Durchbruch zu machen, und wurden dann informiert, dass Berlin fast eingeschlossen wäre und wir zusammen mit der 12. Armee von General Wenck Berlin entlasten sollten. Von dieser Armee hörten wir dann aber nichts mehr. Wir fanden uns wieder im Waldgelände und erlebten eine Kanonade nach der anderen. Wir verloren immer mehr die Orientierung.
Von Befehlen galt nur einer: Wir müssen durch. Wir haben die Aufgabe, Berlin zu entlasten. Wir müssen aber erst den Kessel aufsprengen, in dem wir uns befanden. Das war der große Kessel, wo sich die 9. Armee befand, Teupitz, Halbe, Märkisch-Buchholz. Ich befand mich hinter den Panzern dieser Armeetruppe. Es hieß auf einmal: Alles Stopp! Parlamentär nach vorn!
Es war ein Oberstleutnant, der ausersehen war, Verhandlungen mit dem Stab der Roten Armee zu führen. Die Russen boten uns an, zu kapitulieren und das Leben der Menschen zu schonen. Wir erfuhren das aus einem Gespräch mit einem Begleiter des Parlamentärs.
Nach kurzer Zeit erfolgte die Ablehnung von General Busse, und der Feuerzauber begann erneut. Tausende von Menschen wurden sinnlos geopfert. Soldaten, Frauen und Kinder starben in dieser Feuerhölle. SS-Einheiten mit Vierlingsflakgeschützen trieben uns zum Sturmangriff mit der Androhung, uns bei Nichtbefolgung niederzuschießen. General Busse selbst mit überschweren Tigerpanzern — so wie ich das in Erinnerung habe, sechs an der Zahl — durchbrach die Panzersperre bei Halbe. Halbe ist ein kleine Ortschaft im Märkischen, nicht mal ein Dorf. Der einzige Betrieb in diesem Ort, ein Sägewerk, brannte lichterloh. Busses Panzer durchbrachen die Straße, die voll gestopft war mit Menschen und Fahrzeugen aller Art. Menschen wurden wie Briefmarken plattgewalzt. Menschenleiber wurden durch Granaten zerrissen und in die Luft gewirbelt. Busse konnte seine überschweren Panzer zu den amerikanischen Linien durchstoßen und sich dort ergeben. Die Reste dieser Armee gingen jämmerlich in dieser Schlacht zugrunde.
20 000 deutsche
Soldaten sind auf dem Friedhof in Halbe begraben worden. Davon sind viele in Massengräbern beigesetzt, Menschen, die nicht mehr identifiziert werden konnten. Die Gesamtverluste betrugen weit über 40000.
Und dieser Durchhaltegeneral, der 1956 die Bundeswehr mit aus der Taufe gehoben hat, wurde 1966 mit dem Bundesverdienstkreuz vom damaligen Bundespräsidenten Lübke, dem bekannten KZ-Baumeister, ausgezeichnet. Welch ein Hohn angesichts dieses Massenmordes, untermauert durch Befehle, die nur den Krieg und das Elend um Stunden verlängern konnten, aber nicht mehr die endgültige Niederlage des faschistischen Deutschland aufhalten konnten.
Diese meine Darlegungen sollen Mahnung und Verpflichtung sein, nie wieder von deutschem Boden einen Krieg ausgehen zu lassen. Darum sind revanchistisch-militaristische Aufmärsche zur Verherrlichung der Schlachten des verbrecherischen Hitler-Krieges generell zu verbieten. Alle Antifaschisten sind aufgefordert, diesem Unwesen ein Ende zu setzen.
Heinz Maether