Senftenberg: Hartz IV spaltet Senftenberger in zwei Lager. Furcht vor Radikalisierung der Proteste / Organisator verweist auf wirtschaftliche Lage der Bürger und will Widerstand fortsetzen
(MAZ, Günter Brüggemann) Die junge Frau beim Bäcker in der Senftenberger Innenstadt macht aus
ihrem Herzen keine Mördergrube: “80 Prozent der Montagsdemonstranten
gegen Hartz IV würden doch sowieso nicht arbeiten gehen”, ärgert sie
sich über die Protestierenden. Die Montagsdemos in Brandenburg begannen
in der Lausitz-Stadt und gingen dann auf viele Städte im Land über.
Senftenberg sei inzwischen auf dem besten Weg zur “Krawallhochburg”, so
die Frau.
Bei einer Wahlkundgebung von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD)
war es Ende August zu heftigen Störungen gekommen und ein Ei in Richtung
Regierungschef flog. Stadt, Kirchen und Wirtschaftsverbände äußerten
zwar Verständnis für die Sorgen der Teilnehmer, befürchten aber eine
Radikalisierung der Proteste.
Den Hauptorganisator der Montagsdemonstrationen, Rainer Roth, fechten
diese Bedenken nicht an. In Senftenberg mit einer Arbeitslosigkeit von
fast 27 Prozent herrsche in erster Linie ein Klima der “Verzweiflung und
Hoffnungslosigkeit. Die meisten Demo-Teilnehmer seien aus Furcht vor dem
weiteren “sozialen Absinken” und aus Politikverdrossenheit in
“Bereitschaft zur Gegenwehr”. Deren Formen blieben jedoch “legal”.
Roth, Mitglied der Anti-Globalisierungs-Vereinigung Attac, ist
allerdings sicher, dass sich der Protest ab Januar 2005 verschärfen
wird. Dann wird das Arbeitslosengeld II — Hauptbestandteil des
“Hartz-IV”-Gesetzes — ausgezahlt. Hans-Jürgen Neumann ist einer von den
Geschäftsleuten, auf die “Hartz-IV”-Kritiker Roth gerne verweist, wenn
er über die Zustimmung in der Stadt erzählt. Der Kopierladen-Besitzer
hat Demo-Flugblätter kostenlos vervielfältigt, weil er die Reformen
insgesamt für sozial unausgewogen hält. “Hartz IV” im Speziellen
befürwortet Neumann allerdings. Die Demonstrationen meidet er daher.
Die Leiterin der Geschäftsstelle Oberspreewald-Lausitz des
Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Gudrun Thieme-Schmidt, fasst
die Einstellung vieler Unternehmer zusammen. Die meisten seien
“erschrocken über diese Aggressivität und unterschwellige Wut”, die im
Protest in Senftenberg zum Ausdruck kommen. Roth, gelernter Dreher und
seit längerem arbeitslos, will den “Hartz-IV”-Protest in Senftenberg auf
eine breitere Basis stellen und für die “Wahlalternative Arbeit und
Soziale Gerechtigkeit” eine Ortsgruppe bilden.
Daher hat der 46-Jährige auch den Pfarrer der evangelischen
Kirchengemeinde, Manfred Schwarz, als Demo-Redner eingeladen. Schwarz
steht dem aber skeptisch gegenüber. Die Leute würden “aufgeputscht”.
Schwarz erwägt, der befürchteten Radikalisierung mit Friedensgebeten
entgegenzusteuern.
Bürgermeister Klaus-Jürgen Graßhoff (CDU) lehnt eine Teilnahme an den
Montagsdemonstrationen ebenfalls ab. Als Begründung führt er zwar an,
dass er als Wahlbeamter die Gesetze zu achten hat. Er fügt aber hinzu,
es bedrücke ihn schon, wenn er bei den Kundgebungen “Leute von der DVU”
entdeckt.