(Jan Matalla) Der brutale Überfall auf den derzeit im künstlichen Koma liegenden Deutsch-Äthiopier am vergangenen Sonntag in Potsdam ist nicht so ungewöhnlich, wie manche glauben machen wollen.
Im Jahr 2005 wurden in den neuen Ländern 614 rechtsextremistisch motivierte Körperverletzungen registriert, sagt der Verein »Opferperspektive«. Das ist ein Anstieg um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zugleich hat man in Brandenburg einen leichten Rückgang rassistisch motivierter Gewaltdelikte beobachtet können: Von 137 kam man auf 128 Fälle. In Berlin aber verdoppelte sich die Zahl rechtsextrem motivierter Gewalttaten von 54 auf 104.
Bundesweit muss von einem weiteren Anstieg rechtsextremer Straftaten gesprochen werden. Laut Verfassungsschutzbericht 2004 wurden in den neuen Bundesländern im Durchschnitt dreimal so viele rechtsextreme Gewalttaten registriert wie in den alten. Besonders auffällig ist der massive Zuwachs von verfassungswidrigen Propagandadelikten sowie vermehrten Übergriffen auf Mitglieder links-alternativer Gruppen.
So genannte wenig spektakuläre Übergriffe, die nicht mit schwersten Körperverletzungen oder Tod enden, erscheinen dagegen nur noch sehr selten in den Medien. Die bundesweite Initiative »Exit« für »rechte« Aussteiger warnt nicht ohne Grund vor einem »Gewöhnungseffekt« gegenüber alltäglicher fremdenfeindlicher Gewalt.
Rassismus als Motiv ausgemacht
Trotz der Beteuerung des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm (CDU), man dulden in diesem Lande nicht, »dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder politischen Haltung von Extremisten verfolgt, zusammengeschlagen oder gar ermordet werden«, ist Brandenburg seit Jahren bundesweit unangefochtener Spitzenreiter im Bereich rechtsextremer Gewalttaten. Das Land liegt damit vor Berlin, Thüringen und Sachsen in der Verfassungsschutzstatistik. Nach Darstellung der Bundestagsabgeordneten Petra Pau (Linkspartei), die regelmäßig die erfassten rechtsextremistischen und rassistischen Straftaten von der Bundesregierung »erfragt«, wurden im vergangenen Jahr 12 051 Delikte registriert. Nach Erfahrungen des Vorjahres sind rund drei Viertel der Taten Körperverletzungen. Jeder zweite Übergriff hat rassistische Motive.
Auch wenn die mobile Beratungsstelle »Opferperspektive« von einem leichten Rückgang spezifisch rassistisch motivierter Gewalt in Brandenburg spricht, kann keineswegs von einer Verringerung des rechtradikalen Bedrohungspotenzials ausgegangen werden. Die polizeilichen Statistiken liefern nur verzerrte Blicke auf die Alltagswirklichkeit. Hohe Dunkelziffern durch nicht zur Anzeige gebrachte Übergriffe deuten darauf hin, dass sich das subjektive Bedrohungsgefühl der »Opfergruppen« nicht durch statistische Kennzahlen nachempfinden lässt, wie Kay Wendel von der »Opferperspektive« betont.
Regierung verspricht 19 Millionen
Die Universität Potsdam hat eine Studie unter dem Titel »Jugend in Brandenburg« erarbeitet. Befragt wurden 3379 Heranwachsende im Alter zwischen 12 und 20 Jahren. Die Forscher beobachten zwar eine wachsende Ablehnung gegenüber rechtsextremistischen Motiven und Verhaltensweisen. Doch es gibt weiterhin einen harten Kern mit betont rechtsextremistischer Orientierung. Die Uni-Studie beziffert ihn auf drei Prozent der brandenburgischen Jugendlichen.
Die rot-grüne Bundesregierung stellte für die Bekämpfung von Rechtsextremismus 19 Millionen zur Verfügung. Damit wurden unter anderem Programme wie die Civitas zur Förderung der Zivilgesellschaft unterstützt. Dieses als Hauptgeldgeber für die mobilen Beratungsstellen fungierende Projekt läuft jedoch 2006 aus. Das kann das Ende der mobilen Opferberatungsstellen in den neuen Bundesländern bedeuten.
Angesichts des jüngsten Vorfalls in Potsdam gerät die nun regierende schwarz-rote Bundesregierung unter Druck, im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht nachzulassen. Bei den laufenden Haushaltsberatungen sei darüber zu sprechen, mit welchen Programmen auf das Thema reagiert werden müsse, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg am Mittwoch in Berlin.
Bei den Haushaltsberatungen gehe es um Prävention gegen Rechtsextremismus und Rassismus – also auch um die Fortführung erfolgreicher Programme, sagte Steg. Hier solle ein deutliches Zeichen gesetzt werden. Im Koalitionsvertrag sei vereinbart, die Projekte gegen den gesamten Bereich »Extremismus« auch künftig mit 19 Millionen Euro im Jahr zu fördern.