Ministerpräsident verteidigt die inoffizielle Landeshymne gegen Kritik: Der Text ist doch harmlos
POTSDAM. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, kritisierte gestern die Landesregierung scharf wegen ihrer Verteidigung der inoffiziellen Landeshymne, die selbst der Komponist einst als “Nazilied” bezeichnet hatte. “Mir fehlen die Worte”, sagte Kramer der Berliner Zeitung, “den Verantwortlichen fehlt die Sensibilität im Umgang mit solch historisch brisanten Dingen.”
Das Lied “Märkische Heide” handelt von uralten Eichen, blauen Seen und knorrigen Kiefern. Der Refrain gipfelt in der Zeile “Heil dir, mein Brandenburger Land”. Wie die Berliner Zeitung gestern berichtete, hatte der Komponist Gustav Büchsenschütz sein 1923 geschriebenen Wanderlied im Jahr 1934 selbst als “vielgesungenes Lied der nationalsozialistischen Erhebung” gefeiert, das “beim politischen Gegner verpönt” gewesen sei.
Kramer sagte, in Deutschland sei das Liedgut oft missbraucht worden. “Dieses Lied aber war als Landser- und Nazi-Lied bekannt”, sagte er. “Wenn ich mir vorstelle, dass die DDR-Nationalhymne mit dem Text von Johannes R. Becher im vereinigten Deutschland in die Aktenschränke verdammt wurde, ist es nicht nachvollziehbar, wie das Büchsenschütz-Lied zur inoffiziellen Brandenburg-Hymne werden konnte.” Es verbiete sich von selbst, dass das Lied, das auf Parteitagen der NSDAP und von NS-Schlägertrupps gesungen wurde, etwa 2012 bei der Eröffnung der Neuen Synagoge in Potsdam gespielt werde.
Julius H. Schoeps, Direktor des Potsdamer Zentrums für €päisch-jüdische Studien, sagte: “Ich halte den Text für unproblematisch, er sollte aus der Zeit der Entstehung 1923 gesehen werden.” Dass sich der Autor später den Nazis angedient hat, spreche nicht für ihn, diskreditiere aber nicht sein Werk.
Brandenburgers früherer Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) wehrt sich gegen die Stigmatisierung. “Es ist ein wunderschönes Wanderlied aus den 20er-Jahren und hat uns sehr geholfen, nach der Wende unsere Landesidentität zu finden”, sagte er der Berliner Zeitung. Daran ändere nichts, dass der Komponist “auf die Nazis reingefallen” sei. “Das ist jetzt unser Brandenburg-Lied. Und ich werde es weiter fröhlich singen.”
In Stolpes Regierungszeit wurde es regelmäßig auf SPD-Parteitagen intoniert. Das passiert jetzt nur noch selten. Schon 1994 war die SPD-Fraktion mit der Idee gescheitert, das Lied in den Rang einer offiziellen Hymne zu erheben. Protest kam von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und dem damaligen Regierungspartner FDP. Schließlich wollte auch die rechtsextreme DVU das Lied 2007 zur Hymne erklären lassen, scheiterte aber an SPD, CDU und Linken.
Dessen ungeachtet schmettert Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) mittlerweile die “Märkische Heide” genauso textsicher wie sein Vorgänger Stolpe. Büchsenschütz habe seine Nähe zu den Nazis bedauert, sagte Platzeck gestern. “Der Text ist harmlos und das Lied wird in jedem Dorf gesungen — was soll man da machen?”, fragt er.
Nach offiziellen Angaben wird das Lied weder bei Veranstaltungen des Landtages noch der Regierung regelmäßig gespielt. Es stand aber bei den jüngsten Verleihungen des Landesordens auf dem Programm. Ob das so bleibt, ist offen. “Es gibt keinen festen Ablauf der Feierlichkeiten”, sagte Regierungssprecher Thomas Braune. Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) sieht keinen Handlungsbedarf: “Die Brandenburger denken bei dem Lied eher an die schöne Landschaft.” Auch CDU-Fraktionschef Thomas Lunacek sprach von einer “schönen” Tradition. “Der Text ist völlig unverfänglich. Man muss die Kirche im Dorf lassen.” Linksparteichef Thomas Nord will aber auf das Lied verzichten: “Ich bin für etwas Zeitgemäßeres. Ein Lied, das verdeutlicht: Wir sind ein weltoffenes Land.”