Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Spremberg und ein dubioses Kriegs-Buch
(LR) Die Empörung über die Kontakte des Spremberger Altbürgermeisters Egon
Wochatz (CDU) zu Veteranen der Waffen-SS, die bei Spremberg gekämpft haben,
hat sich gelegt. Wochatz hatte den Kontakt mit seiner Arbeit im Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge begründet. Im Spremberger Verband der
Kriegsgräberfürsorge ist auch Christian Lucia aktiv. Er hat ein Buch über
die Kämpfe im April 1945 bei Kausche herausgebracht, das Wasser auf die
Mühlen von Rechtsradikalen ist.
Christian Lucia hat ein Ehrenamt und ein Hobby. Der 34-Jährige aus dem
Spree-Neiße-Kreis ist im Spremberger Stadtverband des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge und als ehrenamtlicher Umbetter aktiv. Für diese Arbeit
wurde er bereits ausgezeichnet. In seiner Freizeit beschäftigt er sich seit
Jahren mit der letzten großen Schlacht des zweiten Weltkrieges in der
Region. Zunächst in Spremberg, dann in der Nähe von Kausche standen damals
Infantrieeinheiten zusammen mit der Waffen-SS-Division Frundsberg und der
«Führer-Begleit-Division» in erbitterten Kämpfen der Roten Armee gegenüber.
Darüber hat Lucia ein Buch herausgebracht. Das beeindruckt durch exakte
Schilderung der militärischen Ereignisse und entsetzt durch eine das
Naziregime erschreckend verharmlosende, einseitige Geschichtsdarstellung.
Auf fast 170 Seiten kommen in dem Buch «Von Kausche bis Ressen» umfangreich
ehemalige Angehörige der Waffen-SS-Verbände, die in der Lausitz eingesetzt
waren, mit ihren Schilderungen unkommentiert zu Wort. Der aussichtslose
Kampf, der Tausende das Leben kostete, wird als heldenhaftes Opfer
geschildert, um die Zivilbevölkerung möglichst lange vor den anrückenden
russischen Truppen zu schützen. Von der Roten Armee ist nur in
Anführungszeichen als Befreiern die Rede, russische Gräueltaten an
Zivilisten werden ausführlich geschildert.
Zweifelhafte Quelle
Als häufige Quelle dient dabei «Die Hellebarde» , ein nur für Insider
zugängliches Blatt der «Kameradschaftsvereinigung Suchdienst Frundsberg» ,
einem Veteranenkreis ehemaliger Waffen-SS-Mitglieder. In einem Zitat daraus
werden beispielsweise russische Soldaten als «Iwan» und als «breitgrinsende,
schlitzäugige Bolschewisten» beschrieben.
Im Anhang finden sich Kurzbiografien der an den Kämpfen beteiligten
Generäle, darunter Otto-Ernst Remer, Kommandeur der
«Führer-Begleit-Division» und nach 1945 bis 1997 einer der führenden Köpfe
der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Die Biografie endet jedoch,
wie in einem ähnlichen Buch des Spremberger CDU-Landtagskandidaten Andreas
Kottwitz (die RUNDSCHAU berichtete), im Mai 1945. Während bei Kottwitz
einfach verschwiegen wurde, dass Remer auch an der Niederschlagung des
Offiziersaufstandes vom 20. Juli 1944 beteiligt war, wird das bei Christian
Lucia ausdrücklich erwähnt. Der Aufstand der Männer um Stauffenberg wird
dabei jedoch als das bezeichnet, was er in den Augen vieler Ewiggestriger
heute noch ist, als «Putsch» .
In Neupetershain-Nord, wo sich Lucia um den Soldatenfriedhof kümmert, hatte
sein Buch scharfe Kritik hervorgerufen. Udo Kittan, ein Neupetershainer, der
Lucia Fotos zur Verfügung stellte, war davon entsetzt. Er warf dem Autor
vor, die Ereignisse völlig einseitig dargestellt zu haben. Lucias
Darstellung zeige «heldenmütig deutsche Soldaten, die gegen erbarmungslose
und blutrünstige Russen kämpfen» , so Kittan. Von den Halbwahrheiten des
Buches und dem Geist, der aus den Zeilen spreche, fühle er sich abgestoßen.
«Hier liegen Schuldige und Unschuldige nebeneinander» , sagt Udo Kittan über
die Soldatengräber auf dem Neupetershainer Friedhof: «Gedenken ja, aber zu
ehren gibt es hier nichts.»
Christian Lucia sieht das ganz anders. Die Waffen-SS, die in den Nürnberger
Kriegsverbrecherprozessen zur verbrecherischen Organisation erklärt wurde,
ist für ihn auch heute noch «eine kämpfende Truppe wie jede andere auch» .
Er verteidigt sein Buch, an dem er mehrere Jahre gearbeitet hat: «Das ist
nichts als die Wahrheit.» Die Anregung dazu habe er von einem Bekannten
bekommen, den er bei Umbettungen Gefallener der Kämpfe bei Spremberg und
Kausche kennengelernt habe. Den Namen will er nicht nennen: «Die Leute
wollen ihre Ruhe haben.» Die Herstellungskosten der 1000 Exemplare habe er
selbst aufgebracht, versichert er, die Hälfte der Bücher deutschlandweit
verkauft, die andere Hälfte verschenkt. Lucia beschreibt den Sinn und Zweck
seiner Veröffentlichung als «Versuch einer Aufklärung» .
Dass von ihm zu den Ursachen des Zweiten Weltkrieges und zu den Verbrechen
der Deutschen in den überfallenen Ländern kein Wort gesagt wird, dass er
nicht auf die Rolle Remers als unbelehrbarer Neonazi nach 1945 eingeht,
verteidigt der 34-jährige Lausitzer mit einem schlichten Argument: «Das war
nicht mein Thema, ich wollte nur die Ereignisse hier in der Gegend
schildern» . Sein Buch sei «Heimatgeschichte» , mehr nicht.
In der DDR sei immer nur die russische Seite beleuchtet worden, jetzt habe
er das Blatt gewendet. So einfach ist das für Lucia. Dokumentarfilme über
die Nazizeit, wie sie das ZDF-Team um Guido Knop produzierte, lehnt er ab:
«Da werden die Sachen immer so gedreht, dass die deutschen Soldaten schuldig
sind.» Dann fügt er hinzu, Befehle seien nun mal dazu da, ausgeführt zu
werden. Mit Rechtsradikalen habe er nichts zu tun, er sei auch nicht
«politisch» .
Im Spree-Neiße-Kreisverband des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge
will man sich nun auf Grund der RUNDSCHAU-Nachfrage das Buch von Christian
Lucia, das bereits im Jahr 2000 erschienen ist, genauer anschauen. Auf der
nächsten Vorstandssitzung, die allerdings erst im Oktober stattfindet, werde
man sich mit Lucia, der auch im Vorstand sitzt, darüber unterhalten, kündigt
Kreisgeschäftsführer Bernd Hahn an. Mit rechtsradikalem Gedankengut oder
«Heldengedenken» wolle man nichts zu tun haben, so Hahn. Die Gefahr einer
rechten Unterwanderung des Volksbundes sei vorhanden, sagt er: «Die Leute
kommen ja sicher aus sehr unterschiedlichen Motiven zu uns.»
Der Kreisverband hat insgesamt etwa 250 Mitglieder, ein Drittel davon in
Spremberg, wo Egon Wochatz langjähriger Bürgermeister war und bis heute
neben Christian Lucia aktives Volksbundmitglied ist. Die Spremberger haben
deshalb sogar den einzigen eigenen Stadtverband des Volksbundes in der
Region. Nach RUNDSCHAU-Information hat Lucia sein Buch auch unter
Volksbundmitgliedern verteilt. Neben Wochatz soll auch die Spremberger
Geschäftsführerin des Volksbundes, Ruth Barnasch, ein Exemplar bekommen
haben. Wochatz ist zurzeit im Urlaub und deshalb für eine Einschätzung des
Textes nicht zu erreichen. Ruth Barnasch beendet eine telefonische Nachfrage
zu dem Buch, indem sie den Hörer auflegt.
Neuauflage in Planung
Christian Lucia will in Kürze eine zweite, überarbeitete Auflage seines
Buches «Von Kausche bis Ressen» herausbringen. Wesentliche Änderungen seien
nicht vorgesehen. Die gute Nachfrage nach den ersten 1000 Exemplaren habe
ihn dazu ermutigt. Diesmal will er den Vertrieb jedoch nicht selbst in die
Hand nehmen: «Ich suche noch einen Verlag.»
Dass es für so ein Buch Absatz gibt, ist für Ulrich Freese, Spremberger
Landtagsabgeordneter der SPD, erschreckend. «Es gibt hier offenbar eine
ganze
Reihe von Leuten, die versuchen, das Gedenken an die Waffen-SS und
ihre “Heldentaten” hochzuhalten, statt über die Schandtaten zu berichten,
die in den letzten Kriegstagen noch geschehen sind» , sagt Freese. Soldaten
und Volkssturmleute seien in Spremberg vielfach zum sinnlosen Kämpfen
gezwungen worden, indem man ihnen die Handgranate in die Hand drückte. Viele
davon seien ums Leben gekommen. «Das sind die Geschichten, die man
aufschreiben sollte» , so Freese. Damit gerade Jugendlichen in der Region
nicht ein völlig geklittertes Geschichtsbild vermittelt wird, sei es höchste
Zeit, dass dazu parteiübergreifend mal ein klares Wort gesagt wird.
Stichwort Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
(LR) Der Volksbund ist ein 1919 gegründeter Verein, der Kriegsgräber im In- und
Ausland erhält. Er veranlasst die Umbettung von Kriegsopfern, die gefunden
werden. Er arbeitet im Auftrag der Bundesregierung und betreut etwa zwei
Millionen Kriegsgräber auf mehr als 842 Friedhöfen.
Der Volksbund veranstaltet Jugendcamps und unterhält auch
Jugendbegegnungsstätten im Ausland. Sein Motto ist «Versöhnung über den
Gräbern — Arbeit für den Frieden» .
Vom Volksbund betreute Friedhöfe, auf denen auch Angehörige der Waffen-SS
bestattet sind, werden immer wieder zu Aufmarschplätzen von Rechtsradikalen
und Ort ihres «Heldengedenkens» . Ein bekanntes Beispiel dafür ist der
Soldatenfriedhof in Halbe nördlich von Lübben, wo jahrelang mit einem
Großaufgebot an Polizei rechtsradikale Demonstrationen zum Volkstrauertag
verhindert wurden.