(WSWS, 8. November 2003) Wir veröffentlichen im Folgenden eine Zuschrift von Dr. Heinrich Hannover zu den Angriffen des Verfassungsschutzes gegen die World Socialist Web Site und einen Artikel von LenaSokoll, der am 24. Februar 2001 auf der WSWS veröffentlicht wurde. Der Verfassungsschutz Brandenburg wirft dem Artikel “Abschiebepolitik und Grenzregime — Die tödlichen Folgen deutscher Flüchtlingspolitik” die geistige Urheberschaft für eine Gewalttat vor, die am 16. September 2003 von Unbekannten gegen die Ausländerbehörde in Frankfurt/Oder verübt wurde.
Der 1925 geborene Heinrich Hannover ist bekannt für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt und Autor.Über vier Jahrzehnte wirkte er als Strafverteidiger in vorwiegend politischen Prozessen und zählte u.a. Günter Walraff, Ulrike Meinhof, Peter-Paul Zahl, Daniel Cohn-Bendit und Hans Modrow zu seinen Mandanten. In seiner juristischen Auseinandersetzung mit der NS-Justiz führte er u.a. einen Prozess zur Aufklärung des Mordes an Ernst Thälmann und bemühte sich in einem Wiederaufnahmeverfahren darum, Carl von Ossietzky vom Vorwurf des Landesverrats freizusprechen.
Heinrich Hannover veröffentlichte zudem zahlreiche Bücher und Aufsätze. Gemeinsam mit Elisabeth Hannover-Drück verfasste er die Dokumentation “Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht” und das Buch “Politische Justiz 1918–1933”, das zu einem Standardwerk wurde. Seine unter dem Titel “Die Republik vor Gericht” erschienenen Erinnerungen als Anwalt stellen eine kritische Auseinandersetzung mit der bundesrepublikanischen Geschichte und eine wertvolle, spannende Lektüre für jeden politisch und historisch Interessierten dar.
Sehr geehrte Frau Sokoll,
Ihr vom Verfassungsschutz inkriminierter Artikel ist sehr verdienstvoll. Die von Ihnen kritisierte Abschiebepraxis ist skandalös und müßte eigentlich in einer demokratisch und freiheitlich gesinnten Bevölkerung breiteste Proteste auslösen.
Im Weser-Kurier vom 30. Oktober (S.3) ist gerade wieder ein besonders empörender Fall veröffentlicht worden, in dem es um das Schicksal einer kurdisch-libanesischen Frau geht, die mit ihren in Deutschland aufgewachsenen Kindern in die Türkei abgeschoben wurde und dort furchtbarem Elend ausgesetzt ist. Aber obwohl über solche und ähnliche Fälle immer wieder berichtet wird, rührt sich in der Öffentlichkeit kaum etwas, und die Beamten, die für solche staatlichen Gewaltakte verantwortlich sind, amtieren ungehindert weiter.
In meinen Augen ist das schleichender Faschismus, der sich immer mehr als Normalität einnistet. Eine Verfassungsschutzbehörde, die diese Praxis billigt, zeigt damit, wes Geistes Kind sie ist. Die Anwürfe gegen Sie und Ihren kritischen Artikel entsprechen ebenfalls dieser Geisteshaltung.
Mit guten Wünschen für Ihre weitere Arbeit und freundlichen Grüßen
Dr. Heinrich Hannover