Warnung vor neuer Fremdenfeindlichkeit
Um das geplante Zuwanderungsgesetz im Bundestag durchzusetzen, ist die rot-grüne Bundesregierung auf die Zustimmung Brandenburgs angewiesen. Ministerpräsident Manfred Stolpe nennt im MAZ-Interview seine Bedenken gegen den aktuellen Entwurf und erläutert die Bedingungen für ein Ja. Das Gespräch führte MAZ-Redakteur Joachim Riecker.
Herr Ministerpräsident, Brandenburg wird beim geplanten Zuwanderungsgesetz im Bundesrat vermutlich eine Schlüsselrolle spielen. Halten Sie ein solches Gesetz überhaupt für notwendig?
Stolpe: Ein Zuwanderungsgesetz ist überfällig. Wir brauchen Klarheit für Menschen, die — aus welchen Gründen auch immer — zu uns nach Deutschland kommen wollen. Und wir brauchen auch Klarheit im Inland. Ein solches Gesetz ist für mich ein Bekenntnis dazu, dass wir hier nicht allein im eigenen Saft schmoren, sondern Menschen von außen brauchen. Sie sollen Deutschland helfen, wirtschaftlich und von der Bevölkerungszahl her stabil zu bleiben. Es gibt über dieses Ziel glücklicherweise einen Grundkonsens zwischen allen Parteien — der Streit liegt nur im Detail.
Kurz vor Weihnachten haben Sie in Abstimmung mit Jörg Schönbohm im Bundesrat vier Bedingungen genannt, unter denen Brandenburg einem Zuwanderungsgesetz zustimmen kann. Warum?
Stolpe: Weil ich eine Zuwanderungsregelung für so wichtig halte, habe ich mir überlegt, was an dem Entwurf von Otto Schily noch geändert werden müsste, um für das Gesetz im Bundesrat doch noch eine Mehrheit zu errreichen. Es wäre ein Schaden für unser Land, wenn sich ein Zuwanderungsgesetz nur wegen der Bundestagswahl am 22. September um ein ganzes Jahr verzögern würde.
Gehen wir Ihre Forderungen doch einmal im Einzelnen durch. Zunächst haben Sie verlangt, dass die “Zielrichtung” des Gesetzes klarer zum Ausdruck kommen soll. Was meinen Sie damit?
Stolpe: Es müsste in einem eigenen Paragraphen festgelegt werden, dass wir mit dem Gesetz eine geordnete Zuwanderung anstreben und es keinen kaum noch zu regulierenden Zustrom geben darf. Ein solcher Zustrom von Zuwanderern wäre für Deutschland nicht zu verkraften.
Als Nächstes verlangen Sie, die Auswahlverfahren für ausländische Arbeitnehmer “stärker am Bedarf” zu orientieren.
Stolpe: Ich bin in dieser Frage nicht engherzig. Doch man muss berücksichtigen, dass wir in diesem Jahr kaum weniger als vier Millionen Arbeitslose in Deutschland haben werden. Wir müssen deutlich machen, dass es zwischen Massenarbeitslosigkeit und Zuwanderungsbedarf einen Zusammenhang gibt. Das ist auch eine psychologische Frage. Das Zuwanderungsgesetz muss sich stärker an den Realitäten des Arbeitsmarktes orientieren. Ansonsten könnte dieser Punkt zum Anlass genommen werden, gegen Fremde zu hetzen.
Außerdem forderen Sie, nichtstaatliche Verfolgung auch weiterhin nicht als Asylgrund anzuerkennen.
Stolpe: Ich habe die Sorge, dass nichtstaatliche Verfolgung ein Begriff ist, der angesichts der schwierigen Lage in vielen Länder der Welt kaum zu definieren ist. Wenn wir nichtstaatliche Verfolgung als Asylgrund anerkennen, könnte es für viele Menschen einen zusätzlichen Anreiz geben, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen. Daraus würden bei uns Diskussionen entstehen, die am Ende wieder zu mehr Fremdenfeindlichkeit führen könnten. Das möchte ich vermeiden.
Die Grünen wenden ein, dass nichtstaatliche Verfolgung oft ebenso schlimm ist wie die Verfolgung durch Regierungen.
Stolpe: Man kann für solche Fälle sicher weiterhin humanitäre Lösungen finden, wie das auch jetzt schon geschieht. Ich lehne es jedoch ab, aus nichtstaatlicher Verfolgung einen regulären Zuwanderungsgrund zu machen.
Als vierten Punkt nannten Sie die Senkung des Höchstalters für den Familienzuzug von jetzt 14 auf höchstens zwölf Jahre. Warum gerade diese Altersgrenze?
Stolpe: Es gibt ja noch sehr viel strengere Forderungen. Ich denke, dass die Integrationschancen bei Menschen unter zwölf Jahren deutlich größer sind als bei älteren Kindern und Jugendlichen. Gerade im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren finden wichtige Entwicklungen statt. Wenn wir die Zuwanderung neu regeln, müssen wir vor allem die Integrationsmöglichkeiten verbessern.
Ihre Forderungen entsprechen weitgehend den Vorstellungen der CDU-Zuwanderungskommission. Warum vertreten Sie als SPD-Ministerpräsident solche Positionen?
Stolpe: Ich möchte, dass wir bald ein Zuwanderungsgesetz bekommen, und dafür brauchen wir nun einmal die Zustimmung des Bundesrates. Außerdem geht es mir als brandenburgischer Ministerpräsident um die Akzeptanz eines solchen Gesetzes in den Bevölkerung, die ich für sehr wichtig halte. Sowohl ich als auch Jörg Schönbohm hielten übrigens den ersten Gesetzesentwurf von Innenminister Otto Schily für überzeugend, den er dann nach den Verhandlungen mit den Grünen gändert hat.
Haben Sie die Zusage von Jörg Schönbohm, dass es bei den vier Forderungen Brandenburgs bleibt und er nicht unter dem Druck von CDU und CSU neue Nachbesserungen verlangt?
Stolpe: Herr Schönbohm ist ein tapferer Mann. Und er ist ein Mann, der an Positionen festhält, wenn er sie für sich als richtig erkannt hat. Nach meiner über zweijährigen Regierungserfahrung mit ihm habe ich die sichere Gewissheit, dass er diese Positionen durchhalten wird. Ich weiß allerdings auch, dass er als Mitglied des CDU-Präsidiums in dieser Frage keinen leichten Stand hat. Ich kann nur hoffen, dass seine Parteifreunde die Brandenburger Position respektieren.
Sind Sie bereit, über die von Ihnen genannten Bedingungen noch zu verhandeln, sei es mit den Grünen oder mit der CDU?
Stolpe: Brandenburg muss berechenbar bleiben. Meine Forderungen an das Zuwanderungsgesetz sind deshalb keine Handelsware. Ich denke, unsere Position ist ein Kompromiss, der sowohl für die Union als auch für die Grünen noch gerade so akzeptabel sein könnte. Mir geht es vor allem um ein Ziel: Wir müssen noch vor der Bundestagswahl im Herbst eine Mehrheit für ein Zuwanderungsgesetz bekommen.