(junge welt) AStA der Uni Potsdam soll VS zuarbeiten. Ziel sind »gewaltgeneigte extremistische Bestrebungen«. Ein Gespräch mit Martin Meyerhoff
* Martin Meyerhoff ist Referent für Partizipation und Öffentlichkeit beim Allgemeinen Studierendenausschuß (AStA) der Universität Potsdam
F: Alle Behörden in Brandenburg müssen jetzt aufgrund eines Landesgesetzes im Interesse der Terrorismusbekämpfung Daten über »gewaltgeneigte extremistische Bestrebungen« an den Verfassungsschutz weiterleiten. Das gilt auch für den AStA der Universität Potsdam – was heißt das konkret?
Wir sollen alles, was uns irgendwie verdächtig vorkommt, über das Rektorat für Personal- und Rechtsangelegenheiten an den Verfassungsschutz weiterleiten.
F: Was für Informationen könnten das im Einzelfall sein?
Das Dezernat hat uns in einem offiziellen Schreiben aufgefordert, zu diesen »Bestrebungen« alle Namen, Wohnanschriften und sonstige Angaben zu melden.
F: Das Wort »Bestrebungen« ist ein sehr unscharfer Begriff. Läuft das nicht darauf hinaus, daß jeder das weitergeben soll, was er persönlich für »extremistisch« und »gewaltgeneigt« hält?
So ist das. Diese Begriffe werden nicht weiter erläutert, die muß jeder für sich selbst interpretieren.
F: Welchem Zweck dient dieses neue Gesetz?
Aus der uns vorliegenden Mitteilung geht hervor, daß es dazu dienen soll, irgendwie den Terrorismus zu bekämpfen, aber auch rechtsextreme Bestrebungen einzudämmen. Mir ist allerdings nicht klar, wie man diese beiden Sachverhalte in einen Topf werfen kann. Und ich kann mir vor allem keinen Reim darauf machen, was es beim Rechtsextremismus bringen soll, personenbezogene Daten verdeckt weiterzugeben. Gerade der Rechtsextremismus ist meiner Ansicht nach ein Problem, das in der offenen, gesellschaftlichen Diskussion behandelt werden muß.
F: Wie soll diese Weitergabe vonstatten gehen?
Die Daten sollen mündlich oder schriftlich – in einem verschlossenen Umschlag – an das Rechtsdezernat weitergegeben werden. Für eventuelle Rückfragen soll auch der Namen des Verfassers mitgeteilt werden. Was dann mit diesen Informationen passiert, kann ich nicht sagen.
F: Das klingt stark nach einer allgemeinen Aufforderung zur Denunziation …
So empfinden wir das auch, und wir sind ziemlich aufgebracht über diese Zumutung. Aber wie ich die Angehörigen des AStA kenne, glaube ich nicht, daß einer aus unseren Reihen Informant des Verfassungsschutzes werden würde. Vielleicht wird das von uns erwartet, aber wir müssen ja auch nicht alle Erwartungen erfüllen …
F: Wie wird der AStA mit dieser Weisung umgehen – zur Kenntnis nehmen und ansonsten ignorieren?
Wir wollen diesen Skandal erst einmal in die Öffentlichkeit bringen. Auf längere Sicht versuchen wir, diese Direktive rückgängig zu machen. Sie zerstört das Vertrauensverhältnis zwischen Studierenden, Professoren, Verwaltungsangestellten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Dozenten. Jeder Studierende erwartet, wenn er in die Sprechstunde eines Dozenten geht, daß Vertrauen und Vertraulichkeit gewährleistet sind. Wenn man sich aber nicht sicher ist, ob persönliche Aussagen an den Verfassungsschutz weitergeleitet werden, dann kann das ernste Konsequenzen für Lehre und Forschung haben. Leute, die Angst haben, arbeiten schlechter.
F: Wie reagieren die Universitätsgremien auf diese Anweisung?
Das Schreiben kam in den Semesterferien an, zu einer Zeit also, in der kaum Leute in der Uni sind. Wir nehmen jetzt Kontakt zu den Gremien auf; mal abwarten, was da herauskommt.
F: Gibt es ähnliches in anderen Bundesländern?
Ich glaube nicht. Eine solche Anweisung ist so ungeheuerlich, daß ich bestimmt schon davon gehört hätte, wenn es sie in vergleichbarer Form an anderer Stelle gäbe. Kurz nach den Attentaten vom 11. September 2001 gab es in Brandenburg eine ähnliche Initiative – damals wurde von den Behörden an der Universität die Rasterfahndung eingesetzt. Die Anweisung des Rechtsdezernats hat verglichen damit allerdings eine neue Qualität. Damals hat die Uni anhand bestimmter Verdachtsmerkmale eine Liste von Studierenden erstellt, die Betroffenen wurden dann vom Verfassungsschutz verhört. Heute soll jedermann potentieller Spitzel sein.
Professoren im Dienst des Verfassungsschutzes
Mitarbeiter der Universität Potsdam sind aufgefordert, Terror- oder Extremismusverdacht zu melden
(Andreas Fritsche, Neues Deutschland) Islamische Terroristen und Neonazis sollen gemeldet werden, aber auch »gewaltgeneigte« Linksextremisten – mit Name, Adresse und möglichst noch mit Zeit und Ort entsprechender Aktivitäten. Das fordert das Referat für Personal- und Rechtsangelegenheiten der Universität Potsdam von allen Mitarbeitern der Hochschule. Ein entsprechendes Rundschreiben von Dezernatsleiter Hans Kurlemann, das ND vorliegt, ist am 4. August beim Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AStA) eingegangen.
Martin Meyerhoff, AStA-Referent für Öffentlichkeitsarbeit, ist empört: »Wir wollen ein Vertrauensverhältnis zu unserem Professor aufbauen und nicht Angst haben, dass er uns verdächtigt.« Der AStA verurteilt »derartige Eingriffe« in »die Meinungsfreiheit an der Universität«. Die vagen Formulierungen des Schreibens könnten allzu leicht benutzt werden, um Studierende unter Terrorismusverdacht und damit ins gesellschaftliche Abseits zu stellen. Durch den Vermutungen gegen muslimische Mitbürger werden rechtes Gedankengut und Vorurteile geschürt, heißt es.
Dezernatsleiter Kurlemann verweist darauf, ein Schreiben des Potsdamer Innenministeriums erhalten zu haben. Das Ministerium habe auf eine Änderung des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes im Mai 2005 hingewiesen. Nach §14 sind Behörden, Betriebe und Einrichtungen des Landes nun verpflichtet, den Verfassungsschutz »von sich aus« über Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung sowie über geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht zu unterrichten. Entsprechend informiert worden sind nicht nur die Hochschulen, sondern alle, auf die die Novelle zutrifft. Die Anweisung des Ministeriums habe er nicht ignorieren können, argumentiert Kurlemann. Bisher sei niemand gemeldet worden. Er glaube oder hoffe zumindest, dass der Hinweis des Ministeriums an der Universität »ins Leere greift«, weil es hier solche Bestrebungen nicht gebe.
Das Schreiben des Dezernats sei juristisch einwandfrei, erklärt Lena Schraut, Sprecherin der Brandenburgischen Datenschutzbeauftragten Dagmar Hartge. Auch die Kopie an den AStA sei zulässig. Bei der Studentenvertretung handele es sich um eine öffentliche Stelle. Deshalb sei auch der AStA verpflichtet, an den Verfassungsschutz zu melden. Ausgenommen von dieser Verpflichtung seien nur Sozialstellen wie Wohnungs- oder Jugendamt.
Das Gesetz zwinge allerdings niemanden, Verdacht zu schöpfen, erläutert Schraut. So müssen die AStA-Referenten sich nicht vor der Justiz fürchten, nur weil sie entschlossen sind, dem Geheimdienst keinen Dienst zu erweisen.