Vor zweieinhalb Jahren hat der Kampf gegen die gewalttätigen Exzesse von Rechtsextremisten einen Schub bekommen. Jetzt müsste nachgelegt werden, damit die Bewegung nicht erlahmt. Ideen sind gefragt. Eine stammt von
denen, die die Probleme hautnah mitbekommen: die Beratungsstellen für Opfer.
Sie fordern ein Bleiberecht für alle Ausländer, die von Rechtsextremisten angegriffen und verletzt werden. Mit gutem Grund. Denn ein solches Recht wäre nicht nur ein deutliches Signal an die Opfer, dass sich dieses
Land um ihr Wohlergehen sorgt. Ein solches Recht wäre zugleich ein klares Zeichen an die Täter, dass Deutschland nicht den Willen von Schlägern vollzieht.
Die rot-grüne Koalition hat sich darauf nicht einigen können. Obwohl die Grünen dafür sind. Und obwohl auch namhafte Politiker der SPD sich dafür stark machen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse etwa hat in Erinnerung an die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen vor zehn Jahren seinen Wunsch nach einem Bleiberecht für Opfer von rechtsradikaler Gewalt benannt. “Dazu ist es nicht gekommen”, sagte Thierse wenige Tage nach den
Koalitionsverhandlungen:
“Das bedaure ich, denn das wäre ein Zeichen von hoher Symbolkraft gewesen.”
Doch niemand verbaut den Regierungsparteien die Möglichkeit, an diesem Punkt nachzubessern.
Für Thierse, der so engagiert wie kaum ein anderer Politiker den Kampf gegen rechtsextremes Denken und Handeln vorantreibt, ist das Thema nicht neu.
Er hat schon vor mehr als einem Jahr mit seinem langjährigen Widersacher Jörg Schönbohm, dem brandenburgischen CDU-Innenminister, über Abschiebungen
gestritten und die Potsdamer Praxis “empörend” genannt. Damals setzte sichThierse dafür ein, dass ein Ägypter bleiben durfte, dessen Imbissstand durch fremdenfeindliche Brandstifter in Schutt und Asche gelegt worden war.
Und er verwandte sich für einen Algerier, der zu den Opfern der rechtsextremen Hetzjagd durch Guben gehörte, bei der sein nordafrikanischer Landsmann Omar Ben Noui ums Leben kam.
Schönbohm widersprach Thierse. Er bezog eine Position, wie sie bei CDU, FDP und SPD verbreitet ist: Es dürfe kein automatisches Bleiberecht für Flüchtlinge geben, denen hier zu Lande Gewalt angetan wurde.
Stattdessen müsse jeder Einzelfall geprüft werden. Bei Rot-Grün setzt man hier auf die in einigen Bundesländern etablierten “Härtefallkommissionen”.
Doch die Entscheidungen in einzelnen Fällen entfalten nicht die Signalwirkung, die von einem demonstrativen Schutz für die Opfer von Fremdenfeinden ausgehen würde. Jeder, der von Rechtsextremisten gehetzt oder verprügelt wurde, ist ein Härtefall. Dazu muss man sich nur die Lebenssituation der Flüchtlinge vor Augen führen. Sie haben in der Regel
wenig Geld, dürfen nicht arbeiten und ihre Gegend wegen der
“Residenzpflicht” von Asylbewerbern nicht verlassen. Wenn sie Opfer von rassistischer Gewalt werden, trifft sie das in einer ohnehin schwierigen Lage. Da würde es enorm helfen, wenn sie sich wenigstens auf ein dauerhaftes
Bleiberecht verlassen könnten.
Im Übrigen ist eine solche kleine Sicherheit auch die Voraussetzung dafür, dass sie ihr Trauma verarbeiten können, wie Psychologen betonen.
Auf der anderen Seite stehen die Täter, die mit roher Gewalt der dumpfen Parole “Ausländer raus!” Nachdruck verleihen. Diese perverse Folgerung könnte durchbrochen werden durch ein automatisches Bleiberecht für die
Opfer. Die Peiniger müssten dann erdulden, wie ihre eigene Tat den Opfern dazu verhilft, in Deutschland bleiben zu können. Dass den Gewaltopfern außerdem ermöglicht werden müsste, in eine andere Stadt umzuziehen, um den Tätern nicht erneut zu begegnen, liegt auf der Hand.
Das automatische Bleiberecht kann nur funktionieren, wenn es an klare Regeln gebunden ist. Es muss vor Missbrauch geschützt werden, damit es nicht diskreditiert wird. Doch das ist möglich: Die Polizei ist durchaus in der Lage, vorgetäuschte Straftaten zu erkennen. Der politische Wille ist entscheidend. Wer die Todesopfer beklagt, müsste auch an die anderen Gepeinigten denken. Hilfe für sie wäre ein starkes Signal, dass Deutschland den Rechtsextremismus energisch bekämpft.