Gezielte Stiefeltritte zertrümmern den Kopf von Klaus Dieter Lehmann
Bundesweit sind seit Oktober 2001 sieben Tötungsdelikte aktenkundig geworden, bei denen die Tatumstände auf rechtsextreme Motive hinweisen
In sieben neuen Fällen sehen Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel
gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass Gewalttaten mit tödlichem Ausgang
einer
rechtsextremem Gesinnung zuzurechnen sind. In der Liste vom Oktober
2001
hatten die Zeitungen bereits neun solcher “Verdachtsfälle” genannt. In
den
meisten Fällen, die hier nicht erneut aufgeführt werden können, bleibt
der
Verdacht bestehen. In zwei Fällen stellt sich die Sache nach Urteilen
anders
dar.
Den Mord an Frank Hackert vom Juli 2001 in Witten wertete das
Landgericht Bochum plausibel als wahnhafte Tat eines Satanistenpaares.
Bei
der Tötung von Fred Blanke in Grimmen im März 2001 schloss das
Landgericht
Stralsund einen rechtsextremen Hintergrund aus, obwohl beide Täter der
Szene
zugeordnet wurden. Als Motiv nannte das Gericht räuberische Erpressung.
Am 27. Januar 2003 stirbt in Erfurt der 48-jährige Hartmut Balzke nach
einer
Auseinandersetzung zwischen Punks und polizeibekannten Rechten. Balzke
hatte
seinen Sohn zwei Tage zuvor zu einer Punker-Party nach Erfurt
begleitet.
Dort wird er, als er mit Punks auf der Straße steht, überraschend von
einer
größeren Gruppe Rechtsextremer angegriffen. Zeugen finden Hartmut
Balzke und
einen 26-jährigen Punk blutüberströmt und mit schweren Kopfverletzungen
auf
der Straße. Die Obduktion ergibt, dass die tödlichen Verletzungen Folge
eines Sturzes waren. Vertreter der Nebenklage verweisen darauf, dass
der
Sturz eine Folge der Schläge war und warnen vor “Bagatellisierung”.
Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt wegen Körperverletzung mit
Todesfolge gegen fünf Tatverdächtige im Alter zwischen 19 und 49
Jahren.
Einer der Verdächtigen ist wegen rechtsextremer Delikte vorbestraft.
“Ein
politischer Hintergrund wird nicht ausgeschlossen”, sagt Michael Heß,
Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt.
Am Abend des 9. August 2002 versetzt ein Rechtsextremist auf einem
Volksfest
in Sulzbach (Saarland) dem Türken Ahmet Sarlak mindestens sechs
Messerstiche
in Bauch und Brust. Das 19 Jahre alte Opfer erliegt tags darauf seinen
Verletzungen. Bei der Durchsuchung der Wohnung des 25-jährigen,
deutsch-kroatischen Täters findet die Polizei Fahnen mit Hakenkreuzen
und
SS-Runen. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken nimmt zunächst an, der
Messerstecher habe aus Fremdenfeindlichkeit gehandelt.
Generalbundesanwalt
Kay Nehm prüft, ob er den Fall an sich ziehen soll, sieht aber keine
ausreichenden Hinweise für ein fremdenfeindliches Motiv. Die
Staatsanwaltschaft Saarbrücken klagt den Täter nur wegen Totschlags an.
Im
Januar 2003 verurteilt das Landgericht Saarbrücken den Täter zu sechs
Jahren
Haft. “Was den Angeklagten zu seiner Tat veranlasst hat, weiß nur er
selbst”, heißt es in der Begründung. Der Anwalt der Eltern des Opfers
beantragt Revision.
Der Dachdecker Ronald Masch (29) wird in der Nacht zum 1. Juni 2002 auf
einem Feld in der Nähe des brandenburgischen Ortes Neu Mahlisch von
vier
Rechtsextremisten zusammengeschlagen. Einer der Täter sticht dem Opfer
etwa
40 Mal in Nieren, Brustkorb und Hals. Erst am 12. Juli findet der
Fahrer
eines Mähdreschers die Leiche. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder)
klagt
zwei Täter wegen Mordes an: einen von ihnen, den die
Sicherheitsbehörden den
“Leitwolf der rechten Szene in Fürstenwalde” nennen, wegen Anstiftung
zum
Mord, den anderen wegen Beihilfe. Die Täter hätten den betrunkenen
Dachdecker ausrauben wollen, sagt die Anklagebehörde. Ein rechtes Motiv
gebe
es nicht. Allerdings sei die extreme Brutalität der Täter ohne ihre
menschenverachtende Gesinnung nicht vorstellbar, heißt es in
brandenburgischen Sicherheitskreisen. Die Angeklagten hätten bei den
Verhören durch die Polizei die Menschheit in “Kameraden” und einen
minderwertigen Rest unterteilt.
Der 19-jährige Klaus Dieter Lehmann stirbt am 15. Mai 2002 in
Neubrandenburg
infolge gezielter Stiefeltritte ins Gesicht. “Es sah so aus, als wäre
mit
dem Kopf Fußball gespielt worden”, sagt Oberstaatsanwalt Rainer Moser
aus
Neubrandenburg. Der körperlich und geistig behinderte Teenager lebte in
einer betreuten Wohngemeinschaft. Außenstehende hätten Lehmann, der
schon
früh in “Fantasiewelten und ‑identitäten” lebte, oft “Trottel” genannt,
sagt
eine Betreuerin. Er lädt zwei alkoholisierte Naziskins, den zur Tatzeit
17-jährigen Jens D. und den 20-jährigen Andreas L., in sein Zimmer ein.
Dort
reißen sie Poster afroamerikanischer Hip-Hop-Sänger ab. Gegen 23 Uhr
gehen
sie mit Klaus Dieter Lehmann zu einem See. Später sagen sie, er habe
“genervt”. Nachdem sie ihn zu Boden geschlagen haben, zertrümmert Jens
D.
durch mindestens zehn Tritte mit den Stahlkappen seiner Springerstiefel
den
Kopf des Opfers. Passanten finden Lehmann. Er stirbt auf dem Weg zur
Klinik
an Hirnquetschungen.
Das Landgericht Neubrandenburg verurteilt beide Täter am 16. Dezember
2002
zu Jugendstrafen von dreieinhalb Jahren sowie sechs Jahren und neun
Monaten.
Es meint, Lehmanns Behinderung komme als Tatauslöser nicht in Betracht,
das
Opfer habe normal gewirkt. Anklage und Verteidigung legen Revision ein.
Der aus Kasachstan stammende Aussiedler Kajrat Batesov wird am 4. Mai
2002
in Wittstock von mehreren jungen Männern verprügelt. Nach massiven
Schlägen
und Tritten der Gruppe wirft einer der Angreifer einen fast 18
Kilogramm
schweren Feldstein auf Batesov. Knapp drei Wochen danach stirbt er im
Krankenhaus Pritzwalk. Die Schläger attackieren auch den Begleiter
Batesovs,
ebenfalls ein Aussiedler, der die Misshandlung überlebt. Der Anlass für
die
Schlägerei lässt sich am Landgericht Neuruppin nicht genau klären. Die
Strafkammer verweist auf “diffuse Fremdenfeindlichkeit”, kann aber kein
rassistisches Motiv erkennen. Der Haupttäter wird zu zehn Jahren Haft
wegen
Totschlags verurteilt, die vier Mitangeklagten erhalten Strafen
zwischen
sieben Jahren und einem Jahr auf Bewährung. Die Anwältinnen von
Batesovs
Mutter und seines Begleiters bezeichnen die Tat als Mord, begangen aus
Fremdenhass.
In den späten Abendstunden des 5. November 2001 traktieren drei
angetrunkene
Rechtsextremisten in einer Berliner Wohnung den herzkranken Ingo B.
(36) mit
Schlägen und Tritten. Der Mann wird auch gewürgt. Am nächsten Tag
erleidet
er einen Infarkt und stirbt. Die Angreifer wollten angeblich 40 Mark
Schulden bei Ingo B. eintreiben, der mit der Mutter von zwei der drei
Täter
zusammenlebte. Das Landgericht Berlin verurteilt das Trio zu
Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und sechseinhalb Jahren. Der
Gewaltexzess wird nur als Körperverletzung mit Todesfolge gewertet. In
welchem Maße die menschenverachtende Gesinnung der Täter ihr Motiv und
ihre
Brutalität beeinflusst haben könnte, thematisiert das Landgericht nicht
-
obwohl einer der Täter wegen einer weiteren, einschlägigen Tat
verurteilt
wird. Der Rechtsextremist hatte im Januar 2001 einen Jugendlichen
gefragt,
ob er Ausländer sei, und dann zugetreten.
Der 52-jährige Obdachlose Bernd Schmidt stirbt am 31. Januar 2000 im
sächsischen Weißwasser an seinen Kopfverletzungen. Der stadtbekannte
arbeitslose Glasdesigner war von zwei rechten Jugendlichen über einen
Zeitraum von drei Tagen in seiner Baracke zu Tode geprügelt worden. Die
beiden 15-jährigen Haupttäter hatten den alkoholk
ranken Mann am 28.
Januar
2000 gemeinsam mit einem 16-Jährigen geschlagen und misshandelt. Vor
Gericht
geben sie an, sie hätten 900 Mark für ein Moped erpressen wollen.
Als Bernd Schmidt das Geld nicht zahlen kann, zerschlagen und zertreten
die
beiden 15-Jährigen sämtliche Habseligkeiten des Obdachlosen, urinieren
laut
Gerichtsurteil “als Ausdruck ihrer Geringschätzung” in den Raum,
schlagen
ihr Opfer zu Boden und treten ihm mehrfach ins Gesicht. Bernd Schmidt
stirbt
an Hirnblutungen und einer Lungenentzündung, die er sich durch Einatmen
von
Blut zugezogen hat. Die Polizei geht zunächst davon aus, der Obdachlose
sei
betrunken gestürzt. Erst als Jugendliche, die Schmidt kannten, Anzeige
erstatten, ermittelt die Justiz. Im Urteil vom 10. Juli 2000 stellt die
Jugendkammer des Landgerichts Görlitz fest, einer der Täter besitze
“die
bisher unkorrigierte Fehlhaltung, dass Obdachlose, sozial Schwache und
Ausländer wenig wert sind und kein Recht auf Unversehrtheit haben”.
Gegenüber den Ermittlern hatte der 15-Jährige angegeben, “solche Leute”
seien als “menschlicher Schrott” anzusehen. Die Haupttäter werden zu
Jugendstrafen von sieben und viereinhalb Jahren verurteilt, der
16-Jährige
erhält eine Bewährungsstrafe von einem Jahr.