Potsdam — “Wann ist der Hitlergruß ein Hitlergruß?” Jonas Grutzpalk hat
mit dieser Frage wohl nicht gerechnet und muss erst überlegen: Es müsse
ein Bekenntnis damit verbunden sein, sagt er schließlich. “Wenn jemand
nur den Arm zur Seite reckt, ist das noch kein Hitlergruß.” Die 15
Schüler der elften Klasse des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder
wollen viel wissen in dieser besonderen Unterrichtsstunde. Denn der
Lehrer da vorne an der Tafel ist Verfassungsschützer. Der Unterricht
findet nicht an ihrer Schule statt, sondern im Potsdamer Sitz des
Geheimdienstes, einem mit Schultafel und Monitor hergerichteten
Klassenzimmer.
Unter dem Motto “Verfassungsschutz macht Schule” soll hier künftig jeden
Tag unterrichtet werden. “Wir reagieren damit auf die neue Dimension
rechtsextremistischer Jugendkultur”, erläutert Helmut Müller-Enberg, der
beim Verfassungsschutz für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Für
den Unterricht sei extra ein Soziologe eingestellt worden. Zwar habe man
auch bisher schon manchmal Vorträge in Schulen gehalten. Doch zeige
sich, dass das nicht ausreiche. Die Anfragen von Lehrern würden
zunehmen. “Die Lehrer sind unsicher, sie wissen oft nicht, was sie
Schülern antworten sollen”, sagt Müller-Enberg. Und das, obwohl die
Aufklärung über den Rechtsextremismus seit Jahren für das
Bildungsministerium, für das dort angesiedelte Aktionsbündnis gegen
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit Priorität hat.
In Schulen und Elternhäusern passiert zu wenig, klagt Innenminister Jörg
Schönbohm (CDU) und verweist auf einen krassen Fall: Die Polizei hob
kürzlich in Nauen eine rechtsextreme Jugendclique aus, die Anschläge auf
Asia-Imbisse verübt hatte. Der Generalstaatsanwalt ermittelt erstmals
wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Der Anführer ist ein
Gymnasiast. Bei den jüngsten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen
haben vor allem junge Leute rechtsextreme Parteien gewählt. Man müsse
reagieren, sagt der Verfassungsschützer.
In der ersten Unterrichtsstunde beim Verfassungsschutz geht es auf
Wunsch der Gymnasiasten vor allem um rechtsradikale Musik: Aus den
Lautsprechern dröhnen harte Bässe, die Schüler sollen herausfinden,
welche Botschaften transportiert werden. “Ein Europa für die weiße
Rasse”, das “alte Reich zurück”, zählen sie auf . Ein Mädchen sagt, dass
sie solche Musik schon gehört hat. Einige nicken. “Die Musik dient als
Einstiegsdroge”, sagt Verfassungsschützer Jonas Grutzpalk. Die
Jugendlichen wollen aber auch wissen, wer den Verfassungsschutz
kontrolliert. Wann ist jemand Extremist? Dürfen V‑Leute mitprügeln?
Nein, sagt Grutzpalk. “Aber dann fliegen sie ja auf”, sagt ein Schüler.