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Holocaust und Bombenkrieg sind nicht vergleichbar”

Wie viel Leid soll und wie viel Leid darf man Lesern zumuten? Jörg Friedrichs aktueller Bild­band “Brand­stät­ten” (Propy­läen, 25 Euro) hat diese Frage aufge­wor­fen, denn der Berlin­er Pub­lizist veröf­fentlicht Grauen erre­gende Fotos von deutschen Opfern des Luftkrieges. Ähn­liche Bilder ken­nt man bish­er vor allem aus KZs. In ersten Reak­tio­nen wird Friedrich deshalb oft vorge­wor­fen, sein Buch rel­a­tiviere den Holo­caust. Darüber sprach Sven Felix Keller­hoff mit Julius H. Schoeps, Direk­tor des Moses-Mendel­sohn-Zen­trums in Potsdam. 

DIE WELT: Ist der Band von Jörg Friedrich ein Tabu-Bruch?

Julius H. Schoeps: Es ist nicht ganz ein­fach, dazu eine Posi­tion zu beziehen. Ursache und Wirkung wer­den in “Brand­stät­ten” näm­lich aus­ge­blendet. Das Lei­den der Bevölkerung während des Bombenkrieges wird doku­men­tiert; ich halte das für legit­im. Allerd­ings ver­misse ich die Ein­bet­tung in den his­torischen Kontext. 

Ist das Buch eher aufk­lärerisch oder verharmlosend?

Schoeps: Ver­harm­losend würde ich nicht sagen, weil die Bilder für sich sprechen. Aber aufk­lärerisch auch nicht, denn es erk­lärt nichts. Das irri­tiert mich. 

Kann man Fotos über deutsche Lei­den und deutsche Opfer des Zweit­en Weltkrieges zeigen, ohne deutsche Ver­brechen zu relativieren?

Schoeps: Man kann die deutschen Bombenopfer und das, was geschehen ist, zeigen. Aber man muss ihr Schick­sal in Zusam­men­hänge stellen, son­st ver­ste­ht man nichts. Ein Ver­brechen ste­ht nie allein. Und natür­lich wurde auch der Bombenkrieg gegen die Deutschen von den Betrof­fe­nen als ein gegen sie gerichteter Ter­ror begriffen. 

In den Fün­fzigern und Sechzigern war in Deutsch­land das Gefühl, man selb­st sei Opfer des Krieges, weit ver­bre­it­et. Sehen Sie in der gegen­wär­ti­gen Debat­te ähn­liche Ent­las­tungsstrate­gien? Oder kann man heute über deutsche Ver­brechen und über deutsche Opfer sprechen, ohne aufzurechnen?

Schoeps: Die zweite oder dritte Gen­er­a­tion, die heute das öffentliche Leben bes­timmt, hat selb­stver­ständlich das Recht zu fra­gen, was eigentlich geschehen ist — die betrof­fene Gen­er­a­tion hat­te damit natür­lich Prob­leme. Das gilt für die Debat­te um den Bombenkrieg eben­so wie für die Debat­te um die Vertrei­bun­gen. Ich glaube, es ist ein berechtigtes Inter­esse vorhan­den, Fra­gen zu stellen, aber man muss sie in den his­torischen Kon­text stellen. 

Soll man also neben Bildern aus Buchen­wald oder Bergen-Belsen die Bilder von zivilen Opfern des Bombenkrieges zeigen?

Schoeps: Das kön­nte sehr leicht zu ein­er noch viel weit­erge­hen­den Rel­a­tivierung führen, deshalb würde ich davor entsch­ieden war­nen. Deutsche Ver­brechen und deutsche Lei­den haben miteinan­der zu tun, sie kön­nen aber nicht gle­ichge­set­zt werden. 

Aber darf man sie vergleichen?

Schoeps: Nein, ich halte Holo­caust und Bombenkrieg auch nicht für ver­gle­ich­bar, weil es sich um Ereignisse auf unter­schiedlichen Ebe­nen han­delt. Man muss sich mit bei­den The­men beschäfti­gen. An Jörg Friedrichs Buch miss­fällt mir vor allem, dass man nicht ver­ste­ht, was es sein soll: Ist es die Illus­tra­tion zu “Der Brand”? Dann kön­nte ich das akzep­tieren. Als eigen­ständi­ges Buch dage­gen halte ich es für nicht sehr gelungen. 

Warum?

Schoeps: Wegen der Bilder, die zum Teil sehr prob­lema­tisch sind. Die Zusam­men­stel­lung spitzt ihre Wirkung noch mehr zu. Doch man erfährt viel zu wenig über die gezeigten Dinge. Wann genau wur­den die Fotos aufgenom­men? Von wem? Han­delt es sich um Ama­teur-Schnapp­schüsse oder um Pro­pa­gand­abilder? Was genau zeigen sie? Wie wur­den sie über­liefert? All das fehlt. Jörg Friedrichs Lit­er­aturz­i­tate und Kurz­erk­lärun­gen reichen über­haupt nicht aus. Ein zweites: Mich wun­dert sehr die Hal­tung des Ver­lages in der Nachbe­merkung. Es geht ja darum, ob man bes­timmte Fotos von zer­störten men­schlichen Kör­pern zeigen darf. Das ist aber gar nicht die Frage: Wenn die Bilder näm­lich stim­men, wenn es keine Fakes sind, wenn sie nicht aus ihrem eigentlichen Zusam­men­hang geris­sen oder nachgestellt wur­den, dann kann und dann soll man sie zeigen. Denkt man die Argu­men­ta­tion des Ver­lags weit­er, würde sie ja bedeuten: Bilder ermorde­ter Juden darf man zeigen, Bilder getöteter Deutsch­er aber nicht. Das kann wohl nie­mand ern­sthaft sagen wollen. 

Welchen Erken­nt­niswert haben Fotos von grausam zugerichteten Leibern?

Schoeps: Bilder bes­tim­men das Bewusst­sein, Bilder bes­tim­men unsere Sicht der Dinge. Bilder allein ver­mit­teln allerd­ings keine ser­iöse Aus­sage, wenn sie nicht mit einem Text erläutert werden. 

Bilder emo­tion­al­isieren. Darf man ein The­ma wie deutsche Ver­brechen und Lei­den emotionalisieren?

Schoeps: Es gibt kein The­ma, das man aus­blenden darf und soll. Man muss über alles reden kön­nen. Der His­torik­er weiß: Je größer der zeitliche Abstand, desto ein­fach­er kann man das tun. In den Fün­fzigern und Sechzigern wurde die Ver­gan­gen­heit beschwiegen. Heute ist das anders, und dazu tra­gen Büch­er wie das von Jörg Friedrich bei. Ästhetisch ist “Brand­stät­ten” dur­chaus inter­es­sant, der Erken­nt­niswert allerd­ings ist eher gering. 

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