(MAZ, 9.5.) NASSENHEIDE “Ich erinnere mich genau an das Trippeln und das eintönige
Gesumme. Dann gab es einen peitschenden Knall, ein Häftling ist erschossen
worden”, erzählt Erika Rose. Als Elfjährige hatte sie den Zug der
KZ-Häftlinge Ende April 1945 auf dem so genannten Todesmarsch durch ihren
Ort Nassenheide miterlebt. Auch Otto Handwerg, ein neunjähriger Bub damals,
der am Ortseingang von Nassenheide wohnte, hat noch das Geklapper der
Holzschuhe im Ohr, als die Kolonnen der Häftlinge vom KZ Sachsenhausen nach
Norden zogen. “Es hat kein Ende genommen. Meine Mutter ist mit uns Kindern
auch bis nach Netzeband geflohen. Da haben wir überall in den Straßengräben
Tote gesehen”, berichtet der Nassenheider.
Mehrere Zeitzeugen, 1945 waren sie Kinder, und engagierte Bürger trafen sich
am Sonnabend zu einer Gedenkveranstaltung im Ort, organisiert vom Verein
“Pro Nassenheide”. Carmen Lange, Leiterin des “Museums des Todesmarsches im
Belower Wald”, erinnerte in einem Vortrag an die letzten schrecklichen Tage
vor 60 Jahren, als am 21. April 1945 etwa 30 000 Häftlinge das KZ
Sachsenhausen verlassen mussten. Der Marsch führte durch Nassenheide über
Löwenberg, Lindow und Rheinsberg nach Wittstock. Eine andere Strecke bog
nach Herzberg ab. Auf den Friedhöfen der Dörfer und kleinen Gemeinden wurden
die erschossenen und durch Entkräftung gestorbenen Häftlinge, die einfach an
der Straße liegen gelassen wurden, dann von der Bevölkerung begraben. Auch
auf dem Friedhof von Nassenheide liegen elf unbekannte KZ-Opfer aus dem
Lager Sachsenhausen. “Die historischen Dokumente dazu sind lückenhaft. Es
ist an der Zeit, alle Friedhöfe an den Streckenverläufen der Todesmärsche zu
erfassen und Aussagen von Zeitzeugen festzuhalten”, sagt Carmen Lange. Nach
neuesten Erkenntnissen hätten etwa 500 bis 1500 KZ-Häftlinge die
Todesmärsche kurz vor Kriegsende nicht überlebt. Zu DDR-Zeiten war von 6000
Opfern die Rede gewesen.
Blumen wurden am Sonnabend auf dem Friedhof von Bürgern und im Namen des
Ortsbeirates auf dem unbekannten Grab mit der Aufschrift “Den unsterblichen
Opfern des Faschismus — April 1945” abgelegt. Anschließend ging es zum
Kirchvorplatz, wo ein neues Todesmarsch-Schild aufgestellt worden ist. Das
bisherige sei verwittert und schlecht platziert gewesen, so Kerstin
Spieckermann, Vereinsvorsitzende von “Pro Nassenheide”. Zum Glück hatte das
Belower Museum noch ein Schild und stellte es den Nassenheidern zur
Verfügung. Die 19-jährige Sina Schulze las die Worte, die ihre Großmutter
1961 einst zur Einweihung des Gedenksteines im ehemaligen KZ Sachenhausen
gesagt hatte: Zur Mahnung und Verpflichtung, dass so etwas nie wieder
passieren darf.