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Horrortrips im Osten

In den Inter­net­foren der Fan­seit­en ost­deutsch­er Vere­ine wie Energie Cot­tbus, Dynamo Dres­den, Hansa Ros­tock, Hallesch­er FC, Chem­nitzer FC ist es in den let­zten zwei Jahren fast schon zu einem Rit­u­al gewor­den: Vor jedem Der­by untere­inan­der oder vor Spie­len gegen das Trio Infer­nale aus Berlin (Hertha BSC, 1.FC Union und BFC Dynamo) bran­det die Diskus­sion darüber auf, ob der DFB nach den Auss­chre­itun­gen oder anti­semi­tis­chen bzw. ras­sis­tis­chen Gesän­gen und Chore­o­gra­phien beim vorheri­gen Aufeinan­dertr­e­f­fen ein so genan­ntes Geis­ter­spiel vorschreiben wird – also eines unter Auss­chluss des Stadionpublikums. 

Die Zustände bei den genan­nten und anderen ost­deutschen Vere­inen haben sich in let­zter Zeit keineswegs ver­schlim­mert. Alles, was da passiert, vor allem die nation­al­sozial­is­tis­che Selb­st­stil­isierung großer Zuschauer­grup­pen, ist seit 1989 Usus. Eben­falls seit 1989 aber haben sich der DFB und der bis 2001 für die Region­al- und Oberli­gen Ost­deutsch­lands zuständi­ge Nor­dost­deutsche Fußbal­lver­band (NOFV) über ein Jahrzehnt lang so blind und taub gestellt wie einst Bran­den­burgs Min­is­ter­präsi­dent Man­fred Stolpe im »Sta­dion der Fre­und­schaft« in Cot­tbus. Während Stolpe näm­lich in einem Fernse­hin­ter­view, das er auf der Tribüne gab, behauptete, »keine aus­län­der­feindlichen Sprüche« gehört zu haben, waren genau diese im Hin­ter­grund deut­lich zu vernehmen. 

Die Bun­desli­gen aber erre­ichte diese Stim­mung damals nur in Cot­tbus oder Ros­tock. Und dann traf es eher dem DFB missliebige Vere­ine wie den FC St. Pauli oder Ten­nis Borus­sia Berlin. Bewarf man deren Fans und Mannschafts­busse mit voll­gepis­sten Bier­bech­ern und Pflaster­steinen (wie beim Bun­desli­gaspiel Hansa Ros­tock gegen St. Pauli 1995), wurde das so schnell wie möglich bagatel­lisiert und unter den Tep­pich gekehrt. 

Dass die Vor­läuferin der heute zweiglei­sigen Oberli­ga Nor­dost, die Region­al­li­ga Nord-Ost, welche exakt das Staats­ge­bi­et der ehe­ma­li­gen DDR plus West­ber­lin umfasste, für die West­ber­lin­er Vere­ine (Ten­nis Borus­sia, Reinick­endor­fer Füchse, Türkiyem­spor) und ihre Anhänger der reine Hor­ror­trip war, wurde sowohl von Ver­bän­den wie Medi­en kom­plett ignori­ert, während die Ver­ant­wortlichen der Ost-Clubs dieses Nicht-Ver­hal­ten zu ein­er bis heute beliebten Strate­gie nutzten: erst leug­nen, und wenn das nicht mehr geht, auf Teufel komm’ raus bagatel­lisieren. Hätte man die Maßstäbe, die Schied­srichter Michael Wein­er dankenswert­er­weise jüngst in Aachen mit sein­er Dro­hung set­zte, wegen ras­sis­tis­ch­er Gesänge das Spiel abzubrechen, damals in dieser Liga angelegt, wäre wohl kein einziges Spiel außer den West-Der­bys ord­nungs­gemäß been­det worden. 

Dieses Schweigen wurde sehr sel­ten gebrochen, so wie beispiel­sweise 1998 durch die Ansage des schwarzen Deutschen Otto Addo, er werde wegen des Ver­hal­tens der Cot­tbusser Zuschauer der deutschen Nationalelf niemals zur Ver­fü­gung ste­hen. Addo erin­nert sich daran noch sehr deut­lich: »Vor allen in meinen Zweitligazeit­en bei Han­nover 96 war es schlimm. Als Ge­rald Asamoah und ich 1998 bei Energie Cot­tbus zu einem entschei­den­den Auf­stiegs­du­ell antrat­en, haben die Cot­tbusser Fans 90 Minuten lang Urwaldgeräusche wie ›uh, uh, uh‹ gemacht und uns mit Bana­nen beschmis­sen. Dazu kamen noch ›Neger-raus‹-Sprechchöre! Das war ein ganz schlimmes Erleb­nis, das ich nie vergessen werde.« 

Asamoah (heute bei Schalke 04) machte am 9. Sep­tem­ber dieses Jahres die Erfahrung, dass im Osten alles beim alten geblieben ist. Beim DFB-Pokalmatch von Schalke in Ros­tock gegen die in der Oberli­ga Nor­dost spie­lende Reserve­mannschaft des Zweit­ligisten FC Hansa wurde er aus dem Pulk der Hansa-Fans während des gesamten Spiels mit Urwald­laut­en bedacht – ein ganz bit­teres Erwachen aus seinem per­sön­lichen »Som­mer­märchen«, näm­lich dem von der Zivil­isierung des Fußballs in ganz Deutschland. 

Nur in der alten Bun­desre­pub­lik wur­den die so genan­nten Prob­lem­clubs im Zuge der generellen Verän­derung des Fußbal­lkon­sums durch die Erschließung neuer Fan-Schicht­en zur absoluten Aus­nahme. In der ehe­ma­li­gen DDR hinge­gen beste­ht eine Art Freilicht­mu­se­um, in dem zwei Kon­ti­nu­itäten bestaunt wer­den kön­nen: generell, wie die Deutschen sich ohne erfol­gte Ver­west­lichung auf­führen wür­den, und speziell, wie es dem Fußball ergan­gen wäre, hät­ten nicht Ende der achtziger Jahre über­all Fan-Ini­tia­tiv­en – teil­weise Hand in Hand mit den Ver­mark­tern der Clubs – die Über­nahme des Fußballs durch schlägernde Män­ner­bünde verhindert. 

Als Ale­man­nia Aachen, ein in diesem Sinne für West-Ver­hält­nisse »zurück­ge­blieben­er« Club, im Jan­u­ar 2004 das erste Geis­ter­spiel des deutschen Lig­a­fußballs aus­richt­en musste (wegen Wur­fgeschossen gegen den Train­er des 1. FC Nürn­berg), reagierte der DFB in der Causa Asamoah nun auch im Osten gegen Hansa Ros­tock: ein Geis­ter­spiel für Hansas Oberli­ga-Mannschaft und immer­hin 20 000 Euro Strafe. 

Ein Zeichen dafür, dass man sich keinen weit­eren Imageschaden zufü­gen lassen will, nach­dem man die WM mit Hän­gen und Wür­gen ohne in größerem Umfang pub­lik gewor­dene Vor­fälle im Osten über die Bühne gebracht hat? Offen­sichtlich, denn plöt­zlich reagierte auch der NOFV und bestrafte den Oberligis­ten Hallesch­er FC. Dessen Anhänger hat­ten Ade­bowale Ogung­bu­re vom FC Sach­sen Leipzig am 25. März bespuckt und tätlich ange­grif­f­en, nach­dem dieser, als Reak­tion auf ständi­ge Belei­di­gun­gen, den Hit­ler­gruß ent­boten hat­te. Als der HFC-Block ihn am 1. Okto­ber in Leipzig erneut mit Affengeschrei belei­digte, wurde der Vere­in zu 2 000 Euro Geld­strafe und einem Geis­ter­spiel verurteilt. 

Brisant an dem Urteil ist vor allem eine Klausel, die dem Vere­in Maß­nah­men zur Ver­hin­derung solch­er Vor­fälle aufer­legt: Im Wieder­hol­ungs­falle dro­hen wirk­lich empfind­liche Strafen. Die HFC-Führung klagt derzeit auf Revi­sion dieser Pas­sage des Urteils, weil sie ganz genau um die neon­azis­tis­che Gesin­nung­shege­monie unter den Vere­in­san­hängern weiß, und damit um die Unver­mei­dlichkeit kün­ftiger Strafen. 

Oder wie es der Fan-Beauf­tragte Peter Patan aus­drückt: »Nach zwei, drei Bier gibt es immer mal jeman­den, der sich nicht im Zaum hat.« Um diese Klage allerd­ings scheint es nicht gut bestellt zu sein, denn am Dien­stag voriger Woche kündigten der HFC-Präsi­dent, der Schatzmeis­ter und der Wirtschafts­beirat ihren Rück­zug an. Den Halleschen FC scheint über kurz oder lang der finanzielle Kol­laps zu ereilen. 

Einen anderen ehe­ma­li­gen DDR-Spitzen­club mit einem eben­falls redlich erwor­be­nen schlecht­en Ruf als recht­sradikaler Vorzeige­club hat dieses Schick­sal bere­its im Früh­jahr 2004 ereilt: Loko­mo­tive Leipzig stürzte in die Kreis­li­ga ab. Trau­rig muss man darüber wahrlich nicht sein. 

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