Drei ehemalige Ravensbrück-Häftlinge berichten über die Taten der
KZ-Aufseherinnen
(Anke Dworek, MAZ, 18.10.) FÜRSTENBERG Wie konnte in solch lieblicher Landschaft eine Stätte des Grauens entstehen?
Wie konnten Frauen, die Mütter sind oder werden sollten, zu willigen
Gehilfinnen von Nazi-Verbrechern werden? Bis heute findet die 87-jährige
Irma Trksak keine befriedigende Antwort auf diese Fragen. Die Wienerin kam
1941 in das Frauen-KZ Ravensbrück, war registriert als Häftling mit der
Nummer 14177. Anlässlich der Eröffnungsveranstaltung zur Ausstellung “Im
Gefolge der SS: Aufseherinnen des KZ Ravensbrück” berichtete sie: “Die
Aufseherinnen behandelten uns als letzten Abschaum der Menschheit. Die
ersten Tritte im Lager bekam ich, weil ich die Pantinen in die Hand nahm und
barfuß ging. Wissen Sie, wie es ist, in Pantinen militärisch gehen zu
müssen?” Irma Trksak war Stubenälteste im Siemens-Lager, als sie Anfang 1945
zur Oberaufseherin Dorothea Binz (im ersten Ravensbrück-Prozess von einem
britischen Militärgericht zum Tode verurteilt, 1947 hingerichtet) beordert
wurde. Sie “versetzte” Irma Trksak in das Jugendlager “Uckermark”, das in
diesen Tagen zum Vernichtungslager mit Gaskammer wurde. Dort herrschte die
Oberaufseherin Ruth Neudeck (im dritten Ravensbrück-Prozess zum Tode
verurteilt, 1948 hingerichtet), an die sich Irma Trksak nur zu gut erinnern
kann: “Sie war brutal und skrupellos. Bei den unzähligen Zählappellen ließ
sie alle Frauen antreten, auch jene, die krank waren, und wenn sie nicht
gehen konnten, wurden sie aus der Baracke heraus geschleppt. Ich erinnere
mich an einen Fall, wo wir eine Sterbende auf zwei Sessel gelegt haben und
Neudeck ging vorbei und stieß sie brutal mit dem Stiefel runter und
beschleunigte somit den Tod dieser Frau.”
Ein lange verdrängtes Thema
Großes Interesse an Ausstellung über Aufseherinnen des KZ Ravensbrück
FÜRSTENBERG Nicht mal die Stehplätze im Kinosaal der Gedenkstätte Ravensbrück reichten
gestern aus, um alle Besucher an der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung
“Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück” teilhaben zu
lassen. Das öffentliche Interesse an der ersten Exposition einer
KZ-Gedenkstätte zum Thema “Täterforschung” war sehr groß. Neben den drei
Ravensbrückerinnen Irma Trksak (Österreich), Edith Sparmann (Deutschland)
und Batsheva Dagan (Israel) sprachen Brandenburgs Kulturministerin Johanna
Wanka (CDU) und Alfred Hartenbach, Parlamentarischer Staatssekretär bei der
Bundesministerin der Justiz.
Sigrid Jacobeit, Leiterin der Gedenkstätte, betonte, dass es sich nicht
schlechthin um eine neue Ausstellung handele, sondern um eine, die sich
einem ganz großen Thema versuche zu nähern: der menschlichen Natur. “Wer bin
ich?” und “Wo komme ich her?” — diese Fragen in Bezug auf die
KZ-Aufseherinnen zu beantworten bedeutet, ihre soziale Herkunft, den
Einfluss der Gesellschaft auf ihr Handeln und ihre Spielräume zu beleuchten.
Simone Erpel als Leiterin sowie Johannes Schwartz und Jeanette Toussaint als
Mitarbeiter des Projektes haben die Ausstellung in einem der ehemaligen
Aufseherinnenhäuser inhaltlich so gestaltet, dass eine differenzierte
Auseinandersetzung möglich ist. Sie holen — vor allem mittels der Aussagen
überlebender Häftlinge — das weibliche Bewachungspersonal aus dem Bereich
der Dämonisierung in den von handelnden Menschen.
Zusammen mit dem Schutzhaftlagerführer Schwarzhuber und dem SS-Arzt Treite
selektierte Neudeck mehrmals wöchentlich Frauen für die Gaskammer. Irma
Trksak sagte als Zeugin in den Ravensbrück-Prozessen gegen Binz und Neudeck
aus.
Edith Sparmann aus Dresden hatte die Häftlingsnummer 8291. Sie gehörte von
1941 bis 1945 zum Kommando “Frisierstube”, weil sie diesen Beruf erlernt
hatte, und musste den Aufseherinnen die Haare machen. “Das war natürlich
kein Verhältnis wie zwischen Kunde und Dienstleister. Wir wussten
schließlich, wie sich diese Aufseherinnen gegenüber den Häftlingen
verhalten. Innerlich dachten wir ständig Du Biest!, wenn sie vor uns
saßen. Unsere Arbeitswerkzeuge waren spitz, heiß und scharf. Nach
Maßregelungen und Bestrafungen erforderte es von uns übermenschliche
Anstrengungen, mit dem Rasiermesser in der Hand Gleichgültigkeit zu mimen”,
beschreibt Edith Sparmann die Nervenanspannung.
Vor zwei Jahren war Batsheva Dagan aus Israel — der Schutzhäftling mit der
Nummer 45 554 — in einem der ehemaligen Aufseherinnenhäuser. Das inspirierte
sie zu einem offenen Brief an die Aufseherinnen. In dem heißt es sinngemäß:
“Ich lebe und gehe auf dem selben Weg und sehe die üppigen Bäume. 25
Aufseherinnen wohnten in jedem der acht Häuser. Jede hatte ein eigenes Bett;
ich schlief mit zwei anderen Häftlingen auf einem Strohsack. Sie hatten ein
Nachthemd an; ich einen Lumpen. Sie aßen sich satt; ich hatte 200 Gramm Brot
und eine dünne Suppe.”
“Ich lebe gegen euer Verdikt!” ist Batsheva Dagans Rache für die Taten der
Aufseherinnen. Die 79-Jährige ist glücklich darüber, wie die ehemaligen
Aufseherinnenhäuser heute genutzt werden: “Gesegnet sind die Initiatoren der
Jugendherberge, der Internationalen Begegnungsstätte und des Museums. Für
mich hat sich damit ein Kreis geschlossen, was mich mit Genugtuung erfüllt:
Das Lager hat sein böses Geheimnis offen gelegt.” Erst sehr spät habe sich
die Wissenschaft mit dem Thema Frauen in der NS-Zeit befasst, konstatierte
der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Alfred Hartenbach. Die Mahn-
und Gedenkstätte Ravensbrück habe großen Anteil an den Forschungen und vor
allem an der Auseinandersetzung mit dem Thema, denn die Justiz könne dieses
Feld nur zum Teil abdecken.
Die Rechtssprechung sei auf Tat und Schuld ausgerichtet, was Grenzen setze.
Zu viele Täter seien nie gefasst und verurteilt worden. Die strafrechtliche
Verfolgung gehe aus biologischen Gründen ihrem Ende zu. Anhand von Prozessen
sei es also nicht mehr möglich, die Geschichte von Opfern und Tätern in der
NS-Zeit aufzuzeigen. Das Lernen in der Schule, in Gedenkstätten und Museen
wird daher immer größere Bedeutung gewinnen. Auch daraus erwachse die
gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Gedenkstättenarbeit zu unterstützen,
betonte Brandenburgs Kulturministerin Johanna Wanka. In den nächsten Jahren
müsse dafür gesorgt werden, dass die Gedenkstätten vernünftig ausgebaut
werden. Für Sachsenhausen seien neun Millionen Euro akquiriert worden, damit
können dort die baulichen Projekte zum Abschluss gebracht werden. Für
Ravensbrück müsse das notwendige Geld noch gefunden werden.