Aufseherinnen im KZ — eine Ausstellung in Ravensbrück zeigt Lebenswege der
Täterinnen
RAVENSBRÜCK. Stolz blickt die kleine, kräftige Frau mit den derben Händen in
die Kamera. Ihre Bewerbung war erfolgreich. Soeben hat Anna Enserer im KZ
Ravensbrück ihre Uniform erhalten. Sie ist nun Aufseherin im größten
Frauen-Konzentrationslager des Deutschen Reiches. Es ist das Jahr 1940, Anna
Enserer ist 21 Jahre alt.
Fortan bewachte sie in Ravensbrück die Häftlinge — einen scharf
abgerichteten Schäferhund an der Leine. Die KZ-Aufseherinnen ließen die
Häftlinge stundenlang in der Kälte strammstehen, sie nahmen auch an
Mord-Selektionen teil. Ruth Neudeck, die Oberaufseherin des Sterbelagers
Uckermark, zog die zur Ermordung bestimmten Frauen mit einem Stock mit
Silberknauf aus den Reihen der Häftlinge heraus. Die Aufseherinnen “tobten
mit den Häftlingen herum”, wie eine KZ-Aufseherin in
jugendlich-leichtfertiger Sprache aus Ravensbrück berichtete. Gemeint war:
Sie schlugen und schikanierten die weiblichen Häftlinge, sie trieben die
Häftlinge zur Zwangsarbeit an. Allein in Ravensbrück starben Zehntausende -
Jüdinnen, Kommunistinnen, Andersdenkende aus ganz Europa. Anne Enserer, die
zuvor unter anderem als Kellnerin in einem österreichischen Kurbad
gearbeitet hatte, wurde 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz versetzt und
arbeitete dort als Blockführerin.
Erstmals in Deutschland beschäftigt sich die KZ-Gedenkstätte Ravensbrück in
einer eigenen Ausstellung mit dem weiblichen Bewachungspersonal in den
Konzentrationslagern. Die Ausstellungsmacher folgen damit dem allgemeinen
Trend der NS-Forschung, nämlich hin zur “Täterforschung”. Selbst in der
Literatur war dem Autor Bernhard Schlink mit dem Roman “Der Vorleser”, der
ebenfalls eine KZ-Täterin in den Mittelpunkt stellt, ein Welterfolg
beschieden. Alle diese Aufseherinnen wurden in Ravensbrück für ihren
gnadenlosen Dienst angelernt. Besoldet wurden sie nach dem öffentlichen
Dienstrecht.
Gezeigt wird die Ausstellung in einem der acht spitzgiebeligen Häuser, in
denen die Aufseherinnen untergebracht waren — in kleinen Wohnungen mit
Schrankwand und Tischlein in der Stube.
“Die Aufseherinnen waren meist Frauen zwischen 20 und 30 Jahre alt. Viele
waren zum ersten Mal ohne die soziale Kontrolle durch ihre Eltern”, sagte
die Ausstellungskuratorin Simone Erpel. Die KZ-Aufseherinnen gingen in ihrer
Freizeit gerne in Fürstenberg ins Kino. Dort bekamen sie einen
Preisnachlass. Wie fanatisch die Frauen waren, zeigt das Fotoalbum einer
22-jährigen Aufseherin, das von handgemalten SS-Runen durchsetzt ist. Viele
der jungen Frauen kamen aus einfachen Verhältnissen, hatten als
Haushaltshilfen, in der Landwirtschaft oder eben als Kellnerinnen gearbeitet
wie Anna Enserer.
Mit Anna Enserer hat sich die Kuratorin Simone Erpel in diesem Jahr in
Österreich getroffen. Dort lebt die einstige KZ-Aufseherin heute. Eine
offenbar verärgerte Verwandte hatte zuvor die Adresse von Anna Enserer
mitgeteilt. Die einstige Aufseherin ließ sich schließlich für die
Ausstellung interviewen, stellte auch die Fotos zur Verfügung.
Kuratorin Simone Erpel fand in der einstigen KZ-Aufseherin Enserer eine Frau
vor, die sich selbst heute als Opfer stilisiert. Sie beklagte sich darüber,
dass sie nie habe einen Rentenantrag stellen können. “Weil in meinem
Rentenausweis drin steht, dass ich Aufseherin in Ravensbrück und Auschwitz
war”, sagte sie. Und sie behauptet, dass sie nach Auschwitz strafversetzt
worden sei, was Kuratorin Erpel als reine Schutzbehauptung zurückweist.
Ohne Schuld sieht sich auch die zweite noch lebende KZ-Aufseherin, die sich
der Ausstellung zur Verfügung gestellt hat: Margarete Barthel, die heute im
Ruhrgebiet lebt, hatte sich vor Jahren bei einem Besuch in Ravensbrück
selbst gegenüber der Gedenkstätten-Leiterin Sigrid Jacobeit als einstige
KZ-Aufseherin offenbart. Die Frau war von ihrer Firma, der Ruhrchemie, 1944
als Freiwillige nach Ravensbrück geschickt worden. Sie hoffte auf
Anerkennung in der Firma. In ihrem Aufseherinnenhaus schlief sie bald in
seidener Bettwäsche. “Von französischen Juden”, so Barthel im Interview.
Als Gedenkstättenleiterin Jakobeit die ältere Dame zu Hause besuchte, war
sie verwundert. “Frau Barthel hatte bestimmt zwei Meter KZ-Literatur im
Wohnzimmer, die Vergangenheit ließ sie nicht los”, sagte Jacobeit. Aber sie
habe kein Unrechtsbewusstsein entwickelt, wollte stattdessen ihre Firma
verklagen, bei der sie auch nach dem Krieg wieder arbeitete. Sie sei
unschuldig schuldig geworden, sagte Margarete Barthel, obwohl sie dabei war,
als 1945 dann auch in Ravensbrück das Krematorium auf Hochtouren lief. Sie
saß bei offenem Fenster in der Aufseherinnen-Wohnung und rief zu ihrer
Mitbewohnerin: “Riech mal, Leni, die verbrennen da Menschen, na ja,
Leichen.”
Ein geringer Teil der etwa 3 500 KZ-Aufseherinnen wurde nach dem Krieg vor
Gericht gestellt, manche hingerichtet wie Ruth Neudeck.
Die Ausstellung in Ravensbrück lässt sinvollerweise nicht allein die
Täterinnen zu Wort kommen, sondern kontrastiert diese mit den Aussagen der
Opfer. So verdichtet sich die Darstellung. Und doch bleibt der Besucher
ratlos zurück: Die KZ-Aufseherinnen waren keine entmenschten “SS-Bestien”,
sondern Frauen, die plötzlich zu öffentlich bediensteten Foltermägden wurden
und die das später ihr Leben lang zu verdrängen versuchten.
Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück. Dienstags bis
sonntags, 9 bis 17 Uhr, in der Gedenkstätte Ravensbrück (Fürstenberg, Straße
der Nationen).