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Über das Erinnern

Die Gedenkstätte Sach­sen­hausen eröffnet am Sonnabend eine neue
Dauer­ausstel­lung “Die Stadt und das Lager. Oranien­burg und das KZ
Sach­sen­hausen”. Darin kom­men Zeitzeu­gen von damals zu Wort. Mit Eva Schott
sprach MAZ-Redak­teurin Mar­lies Schnaibel. 

ORANIENBURG Die Bilder der Kind­heit haben sie bis heute nicht los­ge­lassen. Deshalb hat
sie auch nicht sehr lange über­legt, als in ein­er Zeitungsno­tiz vor drei
Jahren Zeitzeu­gen gesucht wur­den, die darüber bericht­en kön­nen und wollen,
wie die Bewohn­er von Oranien­burg das Konzen­tra­tionslager Sachsenhausen
wahrgenom­men haben. Eva Schott war damals ein Kind und sie erin­nert sich
nicht gern an die dama­li­gen Ereignis­sen, aber sie hält das Erin­nern für
wichtig. “Ich habe mich geärg­ert, wenn Leute gesagt haben, sie hät­ten nichts
gewusst”, sagt sie, denn sie meint: “Das Lager war unübersehbar.” 

Die heute 73-jährige Frau ist kein beson­ders poli­tis­ch­er Men­sch, aber die
Wahrheit soll Wahrheit bleiben. “Wenn wir nicht darüber erzählen, wer soll
es dann noch tun?”, fragte sie sich und meldete sich damals auf die
Zeitungsno­tiz. Die His­torik­erin Andrea Riedle hat­te ihr dann Fragen
gestellt, ein Pro­tokoll aufge­set­zt und schließlich ihre Erin­nerun­gen auf
Ton­band fest­ge­hal­ten. Und weil die Tech­nik nicht funk­tion­ierte, hat Eva
Schott ihre Erin­nerun­gen mehrmals erzählt. 

Das ist ihr nicht leicht gefall­en. Und immer wieder wird ihre Stimme von
Trä­nen erstickt, wenn sie von damals erzählt. Ihre Eltern waren 1935 von
Oranien­burg nach Sach­sen­hausen gezo­gen, als Kind hat­te sie oft am Bahnhof
und in der Nähe des entste­hen­den Lagers gespielt. Dort sah sie zum ersten
Mal Häftlinge in gestreifter Klei­dung, bewacht von bewaffneten SS-Leuten.
“Ich war sehr erschrock­en”, erin­nert sie sich noch heute. “Das sind arme
Men­schen”, erk­lärte ihr ihre Mut­ter. Am Bahn­hof sah sie die
Häftlingstrans­porte ankom­men, in ein­er nahen Ver­tiefung mussten sie sich
sam­meln. “Ih, die stinken”, haben die Kinder damals über die armen Kreaturen
gerufen. “Es war bedrück­end, gruselig, grausam”, spürt Eva Schott noch heute
ihr dama­liges Unbe­ha­gen. Sie sah, wie die abgemagerten, geschun­de­nen Leute
auf Lkw ver­laden wur­den, wie sie mit Gewehrkol­ben gestoßen wur­den. Und nie
wird sie den Zug von entkräfteten Men­schen vergessen, wo die Häftlinge
diejeni­gen mitschlep­pen mussten, die nicht mehr gehen kon­nten. “Zwei Männer
zogen einen drit­ten an den Hän­den. Der ent­glitt ihnen immer wieder, dabei
knallte der Kopf jedes­mal auf das Kopf­steinpflaster. Ich weiß gar nicht, ob
er noch lebte”, schildert sie ihre grausamen Erleb­nis­sen. Drei Tage konnte
sie nicht essen, nicht schlafen. Die Erin­nerung ist sie nie losgeworden. 

Auch nicht die an die leise Stimme des Häftlings, der ihr eines Tages am
Lagerza­un beim Holzsam­meln half und um Zigaret­ten bettelte. 

Auch nicht die an das Geklap­per, das die Holz­pan­ti­nen der Gefan­genen auf den
Straßen erzeugten, und den erzwun­genen Gesang der Häftlinge dazu. 

Auch nicht die an den Geruch von ver­bran­ntem Men­schen­fleisch, der sich vom
Kre­ma­to­ri­um über den Ort verbreitete. 

“Und deshalb soll kein­er sagen, er hätte nichts gewusst”, sagt Eva Schott
noch ein­mal. Sich­er, die Dimen­sion des Lagers oder aller Lager, die kannten
die Anwohn­er nicht. Das haben sie erst nach 1945 erfahren. Zu DDR-Zeit­en ist
Eva Schott mehrmals in der Gedenkstätte gewe­sen. “Aber, das waren mehr so
Pflichtver­anstal­tun­gen”, schränkt sie ein. Nun wird sie erneut in das Lager
gehen. Und da wird sie auch auf sich selb­st tre­f­fen, denn die Historikerin
Andrea Riedle hat aus ihren Erin­nerun­gen und denen von anderen
Oranien­burg­ern ein Hörstück für die Ausstel­lung “Die Stadt und das Lager”
gemacht.

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