Der Haupttäter Marcel B. (24) hat seine eineinhalbjährige Haftstrafe bereits abgesessen. Zwei weitere Akteure des brutalen Überfalls wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Marco K. tauchte unter, wurde per Haftbefehl gesucht und endlich auch gefunden. Über dreieinhalb Jahre, nachdem der damals 16-jährige Benjamin G. am 15. Januar 2001 von Rechtsgerichteten auf einem Hinterhof der Friedrich-Engels-Straße zusammengeschlagen und ‑getreten wurde, steht nun auch Marco K. (24) wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung vor dem Richter.
Der Kurzhaarige weiß nicht mehr viel von den Vorfällen jenes Wintervormittages. Das mag der inzwischen ins Land gegangenen Zeit geschuldet sein, aber auch dem Alkohol. Man habe sich schon in aller Frühe am Hauptbahnhof „getroffen und gesoffen“, berichtet der Arbeitslose. Dann sei man zu einem Kumpel gegangen. Dort habe es massenhaft Sangria und Bier gegeben. Ob die Vorräte zur Neige gegangen waren, als sich die Truppe gegen 11.40 Uhr zum Aufbruch entschloss, vermag Marco K. – er gründete inzwischen eine Familie – nicht mehr zu sagen. Seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er die Polizeiwache verlassen durfte. Später habe ihm ein Kumpel erzählt, was dem alternativen Jugendlichen widerfahren sei.
„Wir waren mit einem Lehrer unterwegs. Der wollte in der Friedrich-Engels-Straße 1 etwas abgeben“, meint Benjamin G. (inzwischen 19), der im Prozess als Nebenkläger auftritt. Während sie im Hof warteten, sei aus einer gegenüberliegenden Tür ein Trupp junger, offensichtlich alkoholisierter, Männer getreten. Einer habe ihn gefragt, ob er sich nicht die Haare schneiden lassen wolle. „Ich entgegnete, nur die Seiten, und meinte damit einen Irokesenschnitt.“ Daraufhin seien ihm von eben dieser Person mehrere Faustschlag versetzt worden, so dass er zu Boden ging. Mindestens zwei weitere Rechte hätten mit Turnschuhen, dessen Abdrücke er noch zwei Wochen danach im Gesicht hatte, und Springerstiefeln auf ihn eingetreten. „Ich schrie um Hilfe, aber einer sagte nur, Halts Maul, alte Zecke“, erinnert sich Benjamin G. Als Mitschüler den Lehrer informierten und die Polizei zu Hilfe riefen, seien die Angreifer verschwunden. Ob der Angeklagte dabei waren, kann das Opfer nicht mit Sicherheit sagen. „Ich war damit beschäftigt, meinen Kopf zu schützen.“
„Wir haben ihn auf dem Hinterhof zusammengelegt“, erklärt René K. (26) lässig. Nach seiner Einschätzung habe die Prozedur vier bis fünf Minuten gedauert. „Dann hörten wir auf, weil Hilfe geholt wurde.“ Volker Wiedersberg, Rechtsbeistand des Opfers, fragt: „Sonst hätten Sie weiter gemacht?“ Die lakonische Antwort des Zeugen: „Weeß ick nich.“
„Eigentlich haben alle getreten, die auf dem Hof waren“, räumt der damalige Anführer Marcel B. (24) ein. „Ick habe ooch ringetreten.“ Ob der Angeklagte dabei war, weiß er nicht mit Sicherheit. „Ick gloobe, zu 70 Prozent nich.“
Um Marco K. zu verurteilen, hätten die Zeugen zweifelsfrei bekunden müssen, er sei vor Ort gewesen und habe kräftig mitgemischt, betont Amtsrichter Francois Eckardt. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Daher müsse er freigesprochen werden.