(FRANK SCHAUKAM; MAZ) POTSDAM Rechtsextremistische Straftaten in Brandenburg werden vorrangig von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verübt. Von den im vergangenen Jahr registrierten 105 rechtsextremen Gewalt- und 946 Propagandadelikten entfielen 83 Prozent auf diesen Täterkreis. Doch geschützt werden etliche dieser Täter offenbar durch eine von mitwissenden Erwachsenen errichtete Mauer des Schweigens und der Gleichgültigkeit, wie Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) gestern in Potsdam bei der Vorstellung der politischen Kriminalitätsstatistik 2004 empört feststellte.
Besonders eklatant erscheint dieses, wie Schönbohm rügte, “vollständige Versagen der sozialen Lebenskontrolle” bei der inzwischen aufgeklärten Straftatenserie einer neonazistischen Jugendbande in Falkensee, die mit Brandanschlägen auf Dönerimbisse auf lange Sicht sämtliche Ausländer aus dem Havelland verjagen wollte. Von dem Treiben der Untergrundgruppe “Freikorps”, die sich derzeit als terroristische Vereinigung vor dem brandenburgischen Oberlandesgericht verantworten muss, wussten oder ahnten zumindest, laut Schönbohm, ein Lehrer, ein Ortsteilbürgermeister, ein Revierförster — sowie manche Eltern der Tatverdächtigen und einige Mitschüler. Zur Polizei ging allerdings niemand, und hätte nicht ein Revierpolizist zufällig einem Gespräch zugehört, hätte vermutlich niemand die Bande aufgehalten.
Das gesamtgesellschaftliche Klima in Brandenburg ist nach Einschätzung des Innenministeriums dermaßen gestört, dass nicht einmal der hohe polizeiliche Verfolgungsdruck eine langfristrige Abschreckungswirkung in der Szene entfaltet. Obwohl die Aufklärungsquote bei rechtsextremen Gewalttaten noch weit über der bei der allgemeinen Kriminalität liegt und im vergangenen Jahr den Spitzenwert von 91 Prozent erzielte (2003: 82 Prozent), wächst das Reservoir der rechtsextremen Gewalttäter offensichtlich. 279 Personen wurden im Jahr 2004 als potenzielle Täter rechtsextremer Gewalt verdächtigt — das waren fast 42 Prozent mehr als 2003, als 197 Tatverdächtige gezählt wurden. Und unter diesen 279 ermittelten Tatverdächtigen befanden sich 78,9 Prozent Ersttäter eines rechtsextremen Deliktes. Eine effektive Ursachenbekämpfung des Rechtsextremismus in Brandenburg erfordere “das intensive Engagement von Staat, Politik, Gesellschaft und Bürgern”, betonte Schönbohm — wie fast gleichlautend in den Jahren zuvor.
Eine Analyse des Innenministeriums ergab zudem, dass sich rechtsextreme Gewalt zu 90 Prozent gegen Personen (in 93 Fällen von 105) entlädt. Die wenigsten Opfer (26) wurden gezielt ausgewählt. Dem entspricht, dass etwa drei Viertel (76,2 Prozent) aller rechtsextremen Gewalttaten spontan und aus der Gruppe (71,4 Prozent) heraus verübt wurden. Auffälligerweise wurden die meisten rechtsextremen Gewalttaten nicht unter Alkoholeinfluss verübt, Alkohol spielte vielmehr in etwa jedem dritten Fall (35,4 Prozent) eine Rolle.
Im Vergleich zu den rechtsextrem motivierten politischen Delikten hatten auch im vergangenen Jahr links motivierte Straftaten erneut eher eine Randbedeutung. Von den 1865 insgesamt registrierten politischen Straftaten — davon insgesamt 131 Gewalttaten und davon wiederum 108 Körperverletzungen — waren 88 links motiviert (darunter 14 Körperverletzungen).
Politisch motivierte Ausländerkriminalität wurde in Brandenburg im Jahre 2004 nicht registriert.