(Berliner Zeitung) Frau Berger, mit Ihrer Unterstützung wurde die Broschüre “Angriffsziel
Imbiss” vom Verein Opferperspektive herausgebracht. Auf der Titelseite ist
ein intakter Imbiss zu sehen, hinten ein abgebrannter. Kann das nicht als
zynische Aufforderung an Neonazis verstanden werden, ausländische Bistros
anzustecken?
Natürlich soll das Heft Aufmerksamkeit erregen. Aber es ist doch nicht
zynisch, die traurige Realität der rechtsextremen Gewalt im Land aufzuzeigen
und die Öffentlichkeit wachzurütteln.
Ist die Broschüre dann ein Zeichen von Hilflosigkeit gegenüber dieser Form
der Gewalt?
Nein, es ist eine Bestandsaufnahme. Die Realität zu verschweigen, das wäre
Hilflosigkeit.
Am Montag wurden zwölf junge Neonazis aus dem Havelland wegen Bildung einer
terroristischen Vereinigung verurteilt. Die hatten zehn Brandanschläge auf
ausländische Bistros verübt. Was unterscheidet diesen Fall von anderen?
Seit dem Jahr 2000 gab es 63 Angriffe auf solche Imbisse, davon 32
Brandanschläge. Meist waren es Einzeltäter. Doch mit der Havelländer Gruppe
wurde eine neue Qualität erreicht: Die systematische Zerstörung der
wirtschaftlichen Lebensgrundlage von Ausländern. Schon vor dieser Brandserie
in den Jahren 2003 und 2004 wollten wir reagieren. Die massiven Anschläge
haben uns darin bestärkt, eine solche Broschüre zu veröffentlichen.
Warum greifen Neonazis gerade Imbisse an?
Anfang der 90er-Jahre richteten sich die Attacken auf Unterkünfte von
Ausländern, nun sind deren Geschäfte und Imbisse das Hauptangriffsziel.
Gerade Vietnamesen haben sich mit Imbissen oder kleinen Verkaufsständen
selbstständig gemacht.
In einigen Landkreisen wird ein Drittel aller Imbisse von Ausländern
betrieben. Fördert die Broschüre und die nun geplante Flugblattaktion, mit
der ausländische Bistrobetreiber über die Gefahren aufgeklärt werden sollen,
nicht den von Neonazis angestrebten Vertreibungseffekt?
Nicht die Ratschläge für potenzielle Opfer und Tipps für mögliche Hilfe der
Kommunen schüren die Angst. Sondern die Anschläge. Nicht das Heft regt
Nachahmungstäter an, sondern vorangegangene Angriffe. Die Broschüre soll die
Soldarisierung mit den Opfern fördern, soll all die Brandenburger zur
Zivilcourage auffordern, die sich über solche Überfälle empören.
Klingt dies nicht sehr theoretisch?
Nein. Wenn Ausländer in einer Kommune integriert sind, fällt es den Tätern
schwerer, sich mit ihren Angriffen gegen die Mehrheit der Bevölkerung zu
stellen. Gerade die Anschlagsserie im Havelland hat doch gezeigt, wie
entscheidend das Umfeld der Täter ist. Dort haben viele Erwachsene, auch
Eltern, von den Taten gewusst, geschwiegen oder sie gar geduldet.
Nach einem Brandanschlag mussten die Opfer ihrer zerstörten Imbisswagen auch
noch selbst entsorgen, obwohl sie bereits vor dem Ruin standen. Wäre da
nicht eine generelle Kostenübernahme durch die Kommunen gefragt?
Fordern kann ich das nicht, aber auf alle Fälle wäre schnelle und
unbürokratische Hilfe der Gemeinden ein Zeichen gegen die Anschläge.
Können Sie Ausländern noch empfehlen, gerade auf dem flachen Land in
Brandenburg einen Imbissstand zu eröffnen?
Grundsätzlich werden sehr viele der Betreiber mit ihren Geschäften von den
Brandenburgern angenommen. Doch es wäre unverantwortlich zu behaupten, es
gäbe keine Gefahr für die Betreiber. Die Realität ist leider so. Aber
genauso unverantwortlich wäre es, zu sagen: Kommt nicht zu uns.
Weil dann das Ziel der Rechtsextremisten erreicht wäre?
Genau. Die Kommunen und die Bevölkerung sind in der Verantwortung, den
Ausländern zu zeigen, dass sie dazugehören, dass sie gern gesehen sind und
als Bereicherung unseres Lebens angesehen werden.