(Berliner Zeitung) BERLIN, 8. März. Nach der Verurteilung junger brandenburgischer Neonazis
wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung haben führende Politiker
neue Anstrengungen gegen den Rechtsextremismus gefordert. “Wir müssen eine
entschlossene, noch breiter angelegte Bildungsarbeit betreiben”, sagte der
für den Aufbau Ost zuständige Bundesminister Manfred Stolpe (SPD) der
Berliner Zeitung. “Schule und Gesellschaft im Osten müssen enger
zusammenarbeiten.” Umbruch und Wende seien im Osten noch nicht
abgeschlossen. “Diese soziale Unsicherheit kann Nährboden sein für
Extremismus, aber daraus darf keine Entschuldigung werden.” Das Urteil sei
entschlossen und besonnen, so Stolpe.
Der Minister forderte die Bürger auf, wachsam zu sein und genau hinzusehen,
was in ihrem Umfeld geschehe. Gleichzeitig warnt er vor einer
“Stigmatisierung des Ostens”. Es sei leider so, dass es ähnliche
Vorkommnisse auch in Schleswig-Holstein oder dem Ruhrgebiet gebe, sagte
Stolpe.
Das Brandenburger Oberlandesgericht hatte am Montag zwölf Neonazis wegen
Brandanschlägen auf asiatische und türkische Imbisse zu teils mehrjährigen
Jugendstrafen verurteilt. Bei elf Angeklagten sprach das Gericht von der
Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Der SPD-Politiker Niels Annen warnte angesichts der Vorfälle in Brandenburg
vor der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in großen Teilen der
Gesellschaft. “Die große Gefahr besteht darin, dass wir in manchen Bereichen
die kulturelle Auseinandersetzung verloren haben”, sagte Annen, der im
SPD-Vorstand die Arbeitsgruppe Rechtsextremismus leitet, der Berliner
Zeitung. “In vielen Bereichen wird es inzwischen gesellschaftlich
akzeptiert, wenn man sagt, dass die Ausländer uns die Arbeitsplätze
wegnehmen und dass Deutsche Vorrang genießen sollen. Dort gibt es so etwas
wie einen rassistischen Grundkonsens”, sagte er. Im Osten würden diese
Einstellungen offener gezeigt, aber sie seien in Westdeutschland genauso
vorhanden.
In dem Potsdamer Verfahren habe sich gezeigt, wie weit Elemente dieser
Ideologie in der deutschen Gesellschaft vorangeschritten seien. Es mache
sich eine Art “Wohlstandsfaschismus” breit. “Man kann nicht vom Geldbeutel
auf die Anfälligkeit für rechtsextreme Ideologie schließen”, sagte Annen. Er
riet dazu, den Rechtsextremen in aller Härte entgegen zu treten.
Auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Katharina Reiche begrüßte, dass das
Gericht harte, abschreckende Strafen verhängt habe. “Es ist bekannt, dass
sich die Rechtsradikalen keineswegs nur aus den unteren sozialen Schichten
rekrutieren”, sagte sie. “Die eigentliche geistige Nahrung und die harte
Ideologie stammen aus dem bürgerlichen Milieu.” Es zeige sich, dass die
Aufklärungsarbeit auch 60 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft noch
keineswegs beendet sei. Wenn die Familien versagten, müssten staatliche
Institutionen wie die Schule eingreifen. “Aus Angst oder aus
Gleichgültigkeit nicht zu reagieren, ist nicht akzeptabel.”
Der Arbeitsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter (PDS),
forderte indes stärkere Anstrengungen beim Kampf gegen die
Jugendarbeitslosigkeit. “Vielen jungen Menschen im Osten fehlt die
Perspektive auf einen Arbeitsplatz. Das macht es rechten Rattenfängern
leichter”, sagte Holter der Berliner Zeitung. Der Minister plädierte für die
Ausweitung des öffentlichen Beschäftigungssektors, speziell für Jugendliche
im Osten, sowie für ein überparteiliches Bündnis gegen Rechtsextremismus.
“Wir müssen die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut
bis in die Kommunen tragen”, sagte der PDS-Politiker.