POTSDAM Die Verärgerung über die durch Berliner Behörden geplante Enttarnung eines märkischen V‑Manns ist immens. “Ich bin stinksauer”, erregte sich Dierk Homeyer. Der Parlamentarische Geschäftsführer der brandenburgischen CDU-Landtagsfraktion forderte gestern von der politischen Führung in Berlin eine schnelle Aufklärung der “mysteriösen Hintergründe”. Dass das Verhalten der Berliner “durch und durch nicht in Ordnung” gewesen sei, kritisierte auch der Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission, Christoph Schulze (SPD).
Der Sprecher der SPD-Fraktion im Potsdamer Landtag, Ingo Decker, warf den Berliner Behörden vor, sich “wie ein Elefant im Porzellanladen” aufgeführt zu haben. Für wenige beschlagnahmte CDs, die nun als Fahndungserfolg präsentiert würden, habe man einen V‑Mann “verbrennen” lassen, schimpfte Decker. Das sei “ein Pyrrhussieg” und eine “polizeiliche Panne, weil es an der unbedingt erforderlichen Abstimmung mit Brandenburg mangelte”.
Den Vorwürfe der mangelnder Absprache wies die Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft, Ariane Faust, zurück. Die Anklagebehörde müsse eingreifen, wenn sie von strafbaren Handlungen erfahre. Eine Absprache über Durchsuchungsaktionen mit anderen Behörden sei außerdem im Gesetz nicht vorgesehen und würde den Ermittlungserfolg gefährden.
Der als V‑Mann enttarnte Tilo S. befindet sich in Untersuchungshaft. Vorgeworfen werden ihm neben Volksverhetzung die Verbreitung von Propagandamaterial verfassungswidriger Organisationen sowie das Verwenden von Kennzeichen dieser Organisationen, teilte Faust mit. Eine Anklage gegen S. sei noch nicht formuliert. Laut Staatsanwaltschaft “muss jetzt zunächst einmal das Beweismaterial ausgewertet werden”, das vor allem bei der Durchsuchung der Wohnung von S. sichergestellt wurde.
Der Umgang mit V‑Männern ist heikel. Grundsätzlich muss der Verfassungsschutz einen straffälligen V‑Mann sofort abschalten. Für Bagatellstraftaten gibt es Ausnahmeregelungen. Um den Erfolg von Ermittlungen nicht zu gefährden, kann der Geheimdienst den Spitzel anzeigen, während danach die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ruhen lässt. Aufgenommen werden sie wieder nach dem Ende der Operation. Dabei ist abzuwägen, ob der V‑Mann die Straftat begehen musste, um die Aktion nicht zu gefährden. In den Fällen wird das Verfahren in der Regel eingestellt und der Spitzel nicht verurteilt.
Vor dem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, dass die Berliner Justiz zu dem Zeitpunkt gegen Tilo S. vorgehen musste. Immerhin sollte sein Wissen zur Zerschlagung eines internationalen Rings neonazistischer Musikhändler genutzt werden.
Der 27-Jährige befindet sich in Lebensgefahr. “Wenn der rauskommt, ist der Mann tot”, betonte ein Insider. Besonders gefährlich lebten enttarnte V‑Männer, die in der organisierten Kriminalität sowie der straff organisierten rechtsextremen Szene eingesetzt werden, wo “richtig viel Geld” verdient wird — wie im Handel mit verbotenen Nazi-CDs.
Zu seiner Sicherheit soll S. in einem Personenschutzprogramm betreut werden. Das brandenburgische Landeskriminalamt soll ihm eine neue Identität, eine Arbeit sowie eine Wohnung beschaffen. Die Kosten für diese Verschleierung im Inland betragen etwa 40 000 Euro im Jahr. Ein Untertauchen im Ausland ist zwei- bis dreimal teurer.