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Streit um enttarnten V‑Mann

POTSDAM/BERLIN Die Berlin­er Jus­tiz hat offen­bar mit Vor­satz einen V‑Mann des Pots­damer Ver­fas­sungss­chutzes ent­tarnt und so das Ergeb­nis monate­langer gemein­samer Ermit­tlun­gen des bran­den­bur­gis­chen und eines aus­ländis­chen Geheim­di­en­stes in der kom­merziellen neon­azis­tis­chen Musik­szene weit­ge­hend zunichte gemacht. 

 

Erst­mals hätte die kom­plette Logis­tik des recht­sex­trem­istis­chen CD-Ver­triebs offen­gelegt und zer­stört wer­den kön­nen, hät­ten Geldge­ber aus Berlin, Pro­duzen­ten in Ungarn sowie Hin­ter­män­ner und Zwis­chen­händler in der Slowakei und in Öster­re­ich belangt wer­den kön­nen — doch nach der Fes­t­nahme des 27-jähri­gen Tilo S. aus Cot­tbus durch das Berlin­er Lan­deskrim­i­nalamt (LKA) sind diese Bemühun­gen offenkundig gescheitert. 

 

Die Verärgerung in Bran­den­burg ist immens. “Die Berlin­er haben uns voll ins Mess­er laufen lassen”, heißt es in Sicher­heit­skreisen. So habe die dor­tige Staat­san­waltschaft seit Monat­en, “spätestens seit Mai”, gewusst, dass der vom Berlin­er LKA observierte Tilo S. als Spitzel für den märkischen Geheim­di­enst tätig war. 

 

Bran­den­burgs Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) sei empört gewe­sen, als er von dem Ein­satz der Berlin­er Beamten erfuhr, ver­lautete aus Pots­damer Regierungskreisen. Der Vor­fall werde “ein heftiges Nach­spiel haben”. Das Vor­preschen der Berlin­er Sicher­heits­be­hör­den sei “zu keinem Zeit­punkt mit den zuständi­gen Behör­den des Lan­des Bran­den­burg abges­timmt und koor­diniert gewe­sen”, teilte der Sprech­er des Innen­min­is­teri­ums, Heiko Hom­burg, mit. 

 

Sog­ar von einem “Skan­dal” sprach gestern der innen­poli­tis­che Sprech­er der Pots­damer CDU-Land­tags­frak­tion, Sven Petke. Sein­er Ein­schätzung nach hat­ten die Behör­den des Nach­bar­lan­des die Ent­tar­nung des V‑Mannes “wissentlich in Kauf genom­men”. Der CDU-Poli­tik­er geht “davon aus, dass die Jus­tizse­n­a­torin Bescheid wusste”. Zudem spreche “vieles für die Annahme, dass Innense­n­a­tor Erhart Kört­ing informiert war”. “Einem guten Innense­n­a­tor wird nicht ver­bor­gen bleiben, wenn seine Polizei monate­lang im Nach­bar­land aktiv ist”, so Petke. 

 

Die Berlin­er Behör­den woll­ten sich zu den Vor­wür­fen gestern nicht äußern. Da es sich um ein laufend­es Ermit­tlungsver­fahren han­dele, nehme man keine Stel­lung, sagte der stel­lvertre­tende Sprech­er der Berlin­er Sen­atsin­nen­ver­wal­tung, Peter Fleis­chmann. Von der Jus­tiz­press­es­telle war keine Stel­lung­nahme zu erhalten. 

 

Ein Spezialkom­man­do der Berlin­er Polizei hat­te in der Nacht zu Son­ntag vor ein­er Woche das Klub­heim der Neon­azi­grup­pierung “Weiße Arische Brud­er­schaft” in Marzahn gestürmt. Dort hat­ten sich mehr als hun­dert Neon­azis für ein Konz­ert der Skin­head­band “White Aryan Rebels” einge­fun­den, die in ihren Tex­ten zum Mord an Michel Fried­man, Rita Süss­muth und Alfred Biolek und anderen Promi­nen­ten aufruft. Von der Durch­suchung des Klub­heims sowie 14 weit­er­er Woh­nun­gen in Bran­den­burg, Berlin, Sach­sen und Nor­drhein-West­falen hat­ten sich die Ermit­tler erhofft, mehrere tausend Exem­plare der ver­bote­nen White Aryan Rebels-CD “Noten des Has­s­es” beschlagnah­men zu kön­nen. Gefun­den wurde jedoch lediglich belan­glos­es Material. 

 

Unter den in Marzahn Festgenomme­nen war auch Tilo S. aus Cot­tbus, über den der märkische Ver­fas­sungss­chutz intime Detailken­nt­nisse über den recht­sex­tremen Musikhan­del erlangt hat­te. Den Geheimen wurde so bekan­nt, dass 3000 Exem­plare ein­er White Aryan Rebels-CD in Ungarn gepresst wer­den soll­ten. In Lei­h­wa­gen, die nach Deutsch­land rück­zuführen waren, soll­ten die indizierten Ton­träger jew­eils in geringer Zahl nach Berlin und Bran­den­burg geschmuggelt wer­den. Einge­bun­den in das Geschäft war nach Infor­ma­tio­nen der MAZ auch ein öster­re­ichis­ch­er Neon­azi, der als Zöll­ner arbeit­et. “Wir hat­ten die Pro­duk­tion der zweit­en CD im Griff, wir wussten, wo und wann die CDs gepresst wer­den soll­ten”, heißt es aus bran­den­bur­gis­chen Sicher­heit­skreisen. Sie hat­ten gehofft, die gesamte CD-Pro­duk­tion sich­er­stellen und die Ver­trieb­sstruk­tur zer­schla­gen zu können. 

 

Die Berlin­er Aktion hat offen­bar nicht nur diesen Erfolg vere­it­elt, son­dern auch den ent­tarn­ten V‑Mann in höch­ste Gefahr gebracht. Er soll nun deshalb in ein Zeu­gen­schutzpro­gramm aufgenom­men wer­den. Ein beson­dere Bedro­hung soll von dem 40 Jahre Lars B. aus­ge­hen, der bei der Durch­suchungsak­tion in Marzahn eben­falls festgenom­men wurde. Der mehrfach vorbe­strafte Berlin­er Neon­azi, der auch schon in schwedis­ch­er Haft gewe­sen war, gilt als skru­pel­los und bru­tal. “Der schickt schon mal die Dau­men­brech­er”, sagen Insid­er. “Wenn der wieder rauskommt, will er den S. plattmachen.” 

 

Wieso die Berlin­er Behör­den den bran­den­bur­gis­chen V‑Mann ent­tarn­ten, ist bish­er unklar. Es wird spekuliert, dass Rival­itäten zwis­chen Polizei und Ver­fas­sungss­chutz eine Erk­lärung sein könnten. 

 

 

Kom­men­tar von Frank Schauka 

 

Gegeneinander 

 

Offiziell ist immer alles in Ord­nung. Da funk­tion­iert die Zusam­mar­beit der Ver­fas­sungss­chutzbe­hör­den in Berlin und Bran­den­burg, und so loben Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm und Innense­n­a­tor Erhart Kört­ing die Koop­er­a­tion der Polizeien bei­der Län­der. Die Wirk­lichkeit ist wilder: Just zwei Tage nach dem min­is­teriellen Presse-Tete-a-tete fall­en Berlin­er Beamte bei ein­er Großof­fen­sive wie die Hun­nen ins märkische Vor­land ein — die bran­den­bur­gis­che Polizei wird immer­hin zeit­gle­ich zum Ein­marsch informiert, so dass der Form Genüge getan ist. Nicht mehr zu tolerieren ist es hinge­gen, wenn Berlin­er Behör­den durch unabges­timmte Einze­lak­tio­nen mit Absicht lang­wierige Ermit­tlun­gen des bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutzes in der kom­merziellen recht­sex­tremen Musik­szene zunichte machen. Skan­dalös wird der Vor­gang, soll­ten sich Gerüchte bestäti­gen, die die Ent­tar­nung des bran­den­bur­gis­chen V‑Manns als eine Folge der tra­di­tionellen Rival­ität von Polizei und Ver­fas­sungss­chutz deuten. Hin­ter all diesen Ränke­spie­len darf nicht vergessen wer­den, dass auf Rache sin­nende Neon­azis den ent­tarn­ten V‑Mann als Ver­räter betra­cht­en und ihm möglicher­weise nach dem Leben trachten.

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