Interview mit Frank Schulze zur Situation in Bad Freienwalde Von: “Juri Eber”
In Bad Freienwalde überhäufen sich die Ereignisse: Fast täglich werden nicht-rechte Jugendliche angegriffen und unorganisierte Neo-Nazis fangen an sich in Kameradschaften zu organisieren.
Juri Eber sprach mit Frank Schulze, Sprecher des Antifabündnis Brandenburg über antifaschistische Politik und die derzeitigen Zustände in Bad Freienwalde.
Juri: Wie sieht die aktuelle Situation in Bad Freienwalde aus?
Frank: Ein Beispiel von vielen ist exemplarisch und zeigt wie ungestört Neonazis in Bad Freienwalde vorgehen können: In der Woche vor den Sommerferien standen 20 klar erkennbare Neonazis vor einer Schule. Sie warteten. Als ein Antifaschist aus der Schule kam gingen alle auf ihn los.
Eine Lehrerin bemerkte den Übergriff und verwies alle Beteiligten vom Schulhof, rief jedoch weder die Polizei noch half sie dem Opfer. Dieser Ignoranz begegnet man überall in dieser Stadt.
Neben solchen Übergriffen gibt es noch Anzeichen, dass eine Organisierung am entstehen ist. So waren ein paar Bad Freienwalder Neonazis, unter anderem Robert Gebhardt, 2004 beim “Heldengedenken” in Halbe anwesend und hielten die Brandenburg-Fahne unmittelbar vor einem Transparent des
“Nationalen Widerstands Berlin-Brandenburg” (NWBB)” hoch. Des weiteren wurden Plakate der sogenannten “Anti-Antifa” geklebt, wie auch Aufkleber des “Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Mitteldeutschland”. Am 24.07.2005 lag dann der “Märkische Bote”, die Zeitung der Kameradschaft
“Märkischer Heimatschutz” (MHS), in den Briefkästen vieler Bad Freienwalder. Wenige Wochen später “traf” man beim legendären Rudolf-Hess-Gedenkmarsch (in Berlin, da er in Wunsiedel verboten wurde) dann noch einmal ein paar bekannte Bad Freienwalder Neo-Nazis an. Unter
ihnen befand sich auch Ricardo Cossmann und Robert Gebhardt, die schon mehrere male durch Gewalttätige Übergriffe auffielen.
Juri: Wie verhält sich die Stadt zu den Neonazis?
Frank: Welche Neonazis? Damit wäre eines der Hauptprobleme genannt:
Leugnung. Die Stadt will nicht erkennen das sich organisierte Neo-Nazis in Bad Freienwalde ungestört breit machen. Nicht einmal von Rechtsextremisten ist die Rede. Wenn überhaupt, dann verwirrte Jugendliche der unteren
Klasse.
Juri: Jedoch müsste es aufschlussreiche Statistiken von der Polizei geben, die die hohe Anzahl politisch motivierter Straftaten von Neonazis belegen.
Frank: Es gibt generell zwei Probleme bei der Erfassung politisch motivierter Straftaten von rechts: Die Polizei erkennt Straftaten nur dann als rechtsextrem motiviert an, wenn der Täter zu 100% aus dem ideologischen Weltbild heraus die Straftat begeht. Wenn auf dem Altstadtfest bspw. ein nicht-rechter Jugendlicher von einer Horde betrunkener Neonazis verprügelt wird muss dies nicht in der Statistik von politisch motivierten Straftaten landen.
Das zweite Problem ist, dass die allerwenigsten Straftaten angezeigt werden. Die Leute haben Angst, dann die Rechnung zu kriegen, wenn sie den Neonazis Ärger mit der Polizei machen, schließlich kennen sich in einer Kleinstadt die meisten Leute mindestens über drei Ecken. Wir versuchen
gerade in diesem Zusammenhang, die Leute davon zu überzeugen, in jedem Fall zur Polizei zu gehen und bei Übergriffen Opferberatungsstellen aufzusuchen, wie z.B. die Opferperspektive.
Die Bad Freienwalder Polizei hat diesbezüglich zwar bereits Hilfe angeboten und das Problem bis zu einem gewissen Maß auch erkannt — jedoch hat dies anscheinend keinerlei Auswirkungen auf die Stadtpolitik. Die Polizei musste zweimal mit dem Bürgermeister reden, bevor die Disko im
OFFI Anfang vorigen Jahres geschlossen wurde, nachdem es dort mehrmals zu Angriffen und Pöbeleien auf die im selben Haus befindlichen Räume der Bad Freienwalder Alternative gekommen ist und klar war, dass ein Großteil des
Disko — Klientel der rechten Szene zuzuordnen ist.
Juri: Habt ihr Parteien, Vereine oder Gruppen vor Ort mit denen ihr zusammenarbeitet?
Frank: Selbstorganisierte Vereine sind im platten Land ja eher nicht die Häufigkeit, dennoch haben wir in Bad Freienwalde das Glück, gleich zwei politische Vereine zu haben. Die “JungdemokratInnen / Junge Linke Bad
Freienwalde” führen in unregelmäßigen Zeitabständen Seminare und Informationsveranstaltungen durch. Des weiteren nehmen sie die Aufgabe in die Hand, eine Chronik für Bad Freienwalde zu führen, wo Propagandamaterial und Übergriffe von Nazis dokumentiert werden. Es sind
auch alle dazu aufgerufen, sich an sie zu wenden, wenn man etwas gesehen hat oder wenn Propaganda gefunden wurde.
Dann besteht noch die Bad Freienwalder Alternative, die Inhaber selbstverwalteter Räume im Haus des OFFIs sind, die Asyl genannt werden. Das Asyl ist ein Raum, in welchem Jugendliche Partys feiern können oder miteinander diskutieren. Es ist ein Freiraum für nicht-rechte Jugendliche, für jene, die auch mal feiern wollen ohne angepöbelt oder angegriffen zu werden oder einfach keinen Bock haben, mit Neonazis auf ein und derselben Party zu sein.
Juri: Wie wollt ihr weitermachen, also was ist eure Perspektive für die Zukunft?
Frank: Was geschehen muss, ist eine klare Absage an die
nationalsozialistische Ideologie und all ihren Fragmenten innerhalb der deutschen Solidargemeinschaft. Dann verbietet es sich auch mit den Antisemiten der PDS Zusammenzuarbeiten, welche immer noch — regressiv wie
eh und je — mit altem Solidarsinn und Poststalinismus Deutschland verändern wollen anstatt abzuschaffen, wie wir es als einzige Möglichkeit sehen uns als freie Individuen zu entfalten — fernab von Zwangskollektiven.
Die Perspektive wäre, dass man jeden Monat Veranstaltungen zu explizit politischen Themen macht, wo sich dann Leute auch mal grundlegend mit dem Kapitalismus oder mit kritischer Theorie auseinandersetzen. Dort werden
die Grundlagen jeder politischen Arbeit geleistet, vieles andere ist nicht mehr als blinder Aktionismus und stumpfsinniges Parolen gedresche. Mehr als Identität und eine neue Familie schafft das nicht.
Infos zu Bad Freienwalde unter: www.jdjl-frw.de.vu || www.bfa2001.net
Juri Eber [juri.eber@web.de]