Laßt die Heide frei
Das neue Jahr beginnt bei Wittstock mit Protesten gegen das Bombodrom. Neue Bundesregierung hält an militärischer Nutzung fest.
Seit Juni 1992 laufen die Proteste gegen die Pläne der Bundeswehr, den von den sowjetischen Truppen geräumten Luft-Boden-Schießplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide wieder in Betrieb zu nehmen. In den vom Bomben- und Tieffluglärm bedrohten Gemeinden um Wittstock gründeten sich sehr schnell Bürgerinitiativen, die vor Ort den Widerstand gegen die Pläne des Militärs organisierten: Kundgebungen, Aktionstage, Unterschriftensammlungen, Protestwanderungen, illegale Platzbesetzungen. Bald wurde der Widerstand gegen das geplante Bombodrom Wittstock Thema der jährlichen Ostermärsche der bundesdeutschen Friedensbewegung. Der Verankerung des Protestes in breiten Teilen der ansässigen Bevölkerung ist es im wesentlichen zu verdanken, daß die Bundeswehr noch immer auf diesen zusätzlichen Übungsplatz verzichten muß. Am Neujahrstag beginnt um 14 Uhr in Schweinrich (östlich von Wittstock) die 99. Protestwanderung.
Kommunal- und Landespolitiker sowie vereinzelte Bundestagsabgeordnete stellten sich zwischenzeitlich immer wieder auf die Seite der protestierenden Bürger, während die jeweilige Bundesregierung den Standpunkt des Militärs vertrat. So unterzeichneten im April diesen Jahres 260 Kommunalpolitiker einen offenen Brief, in dem sie vor den desaströsen wirtschaftlichen Folgen des geplanten Bombodroms für die ganze Region warnten. Seit dem Frühjahr 1994 tobt ein Rechtsstreit zwischen dem Verteidigungsministerium und den 14 betroffenen Gemeinden. Mehrere juristische Teilsiege der Kommunen konnten verhindern, daß die Bundeswehr einfach vollendete Tatsachen schuf. Am 10. März 2005 wurde im Bundestag ein fraktionsübergreifender Antrag von 58 Abgeordneten der SPD, der Bündnisgrünen, der CDU und der PDS auf Verzicht der Bundesregierung zur militärischen Nutzung des Geländes behandelt – und in die Ausschüsse verwiesen.
Das Vertrauen der Betroffenen in die Politik wurde stark erschüttert nach dem Ende der Kohl-Regierung: Der damals neue Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) litt an akuten Gedächtnisverlust bezüglich seiner Versprechungen, die er 1994 als Kanzlerkanditat den Wittstocker Bürgern gegeben hatte. Und sein Nachfolger Peter Struck (SPD) konnte sich auch nicht mehr daran erinnern, jemals Presseerklärungen gegen eine erneute militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide unterzeichnet zu haben. Zur Haltung der jetzigen Bundesregierung brauchte man sich allerdings von Anfang an keine Illusionen zu machen: Angela Merkel hatte sich schon vor ihrem Wahlsieg mehrfach für das Bombodrom Wittstock ausgesprochen. Und der neue Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) erklärte kürzlich, daß es sich bei der Kyritz-Ruppiner Heide bis heute »um einen Truppenübungsplatz« handelt.
Der brandenburgische Ministerpräsident und SPD-Bundesvorsitzende Matthias Platzeck hat allerdings wiederholt gegen eine militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide Stellung bezogen – als brandenburgischer Umweltminister war er im Februar 1992 Teilnehmer der ersten Protestwanderung »Auf dem Weg zur FREIen HEIDe«. Von den brandenburgischen Bündnisgrünen zur 99. Protestwanderung eingeladen, entschuldigte er sich allerdings mit Urlaub.