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Jörg Friedrich war in Wilhelmshorst — die Antifa auch

Am 19. Mai fand um 20.00 Uhr in Wil­helmshorst in der Nähe von Pots­dam eine
Lesung von Huber­tus KNABE und Jörg FRIEDRICH statt. Die bei­den His­torik­er sind
arbeit­steilig damit beschäftigt die Ver­brechen der Deutschen im Zweiten
Weltkrieg durch Gle­ich­set­zung des Holo­causts mit dem Kriegshan­deln der Alli­ierten zu
rel­a­tivieren. Während Jörg Friedrichs die Bombe­nan­griffe der Roy­al Air Force
mit Vok­a­beln wie >Gaskam­mern und Ein­satz­grup­pen­Ver­nich­tung durch Arbeit< gewe­sen. Einige Antifaschist_innen der
Pots­damer “Brigade Pol­di Cool” (organ­isiert im Bünd­nis mad­stoP) nah­men dies zum
Anlass, eine Land­par­tie zu ver­anstal­ten. Kurz nach Beginn der Lesung betrat­en sie
mit dem Ruf “Hur­ra, Hur­ra, die Antifa ist da!” den Ver­anstal­tungsraum im “Peter
Huchel Haus” (Huber­tusweg 41, Wil­helmshorst). Sie entroll­ten ein Transparent
mit der Parole: “Was wir vergessen ver­rat­en wir — Dank den alliierten
Befreiern” und verteil­ten das unten­ste­hende Flug­blatt. Dieses beruht auf einem Text
von Peter Gstet­tner, einem Antifaschis­ten aus Öster­re­ich. Der Orig­inal­text ist
hier einsehbar.
Während der Aktion wurde von einem CD-Play­er das sow­jetis­che Lied “Der Heilige
Krieg” abge­spielt. Sehr schnell wur­den sie von den Organ­isatoren unter
Ein­satz physis­ch­er Gewalt aus dem Raum gedrängt. Ins­beson­dere der CD-Play­er war
Objekt des Has­s­es und musste einige gezielte Tritte und den Ver­such die Antenne
abzubrechen verkraften. Vor dem Haus wurde noch mal kurz mit dem Tran­spi für die
Presse posiert und einige Parolen gerufen. Jörg Friedrich, dem offensichtlich
sämtliche Maßstäbe abhan­den gekom­men sind, begrüßte die Antifaschist_innen
mit den Worte: “Na Ihr SA-Pöbel, seid Ihr auch wieder da?.” Nach­dem die Antifas
noch mal klargemacht hat­ten, das die Apolo­geten des deutschen
Ver­nich­tungskrieges auch in Zukun­ft nicht ein­mal in der Prov­inz ihre The­sen ungestört
ver­bre­it­en kön­nen wer­den ver­ließen sie das idyl­lis­che Dörfchen. 

Aus gegeben­em Anlass

Gegen das Ver­waschen und Ver­schwim­men von Täter- und Opferperspektive

Hier und heute wollen zwei Autoren ihre Büch­er vorstellen, deren The­ma die
deutschen Opfer des Zweiten
Weltkrieges sind. In jed­er Gesellschaft, so wird gesagt, gedenken die
Men­schen ihrer Toten,
unab­hängig davon, unter welchen Umstän­den diese ums Leben gekom­men sind. Wenn
wir hier Einwände
erheben, dann nicht gegen das indi­vidu­elle und stille Totenge­denken. Auch
befassen wir uns hier nicht
mit the­ol­o­gis­chen Fra­gen von Schuld und Sühne, von Vergel­tung oder Vergebung.
Wir befassen uns mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Todesumständen
massen­haft ermordeter
Men­schen “im Schat­ten des Krieges”. Uns inter­essiert die gesellschaftliche
Wer­tung der Toten, die uns im
Nach­hinein als ermordet unter dem Faschis­mus oder als ermordet unter dem
Antifaschis­mus präsentiert
wer­den. Hier wer­den erhe­bliche Unter­schiede gemacht, mit welchem Aufwand und
mit welch­er Würde
der jew­eili­gen Opfer gedacht wird. Uns geht es um die kollektiven
Gedenkritualen, mit denen die Gesellschaft
dieser Toten gedenkt und sie in der Erin­nerung würdigt. Eine Gesellschaft,
die mit ihren Ritualen
zum Aus­druck bringt, dass sie in erster Lin­ie der Führertreue und
Pflichter­fül­lung von Wehrmachtssoldaten
gedenkt — und nicht der Opfer dieser “Pflichter­fül­lung” -, so eine
Gesellschaft hat eine Entscheidung
gefällt:die Entschei­dung, nicht den Wider­stand und die Frei­heit, son­dern die
Anpas­sung und die Unfreiheit
zum Erin­nerungswert zu machen. 

Die His­torik­er sind sich weit­ge­hend darin einig, dass die Ver­brechen der
Nazis einzig-artig waren und mit
herkömm­lich­er Kriegs­führung kaum etwas zu tun hat­ten. Die Deutschen führten
im Osten einen weltanschaulich
motivierten Eroberungs- und Ver­nich­tungskrieg, auch und vor allem gegen die
Zivil­bevölkerung. Mit diesem Ver­nich­tung­spro­gramm, das sich schon beim
Über­fall auf Polen abzeichnete,
begann Deutsch­land 1939 den Zweit­en Weltkrieg und brachte ganz Europa den
entscheidenden
Unter­schied bei zwis­chen dem Sol­da­ten­tod, und dem per­ma­nen­ten Ster­ben in der
indus­triellen Tötungsmaschine
der Nazis. Die His­torik­er sind sich auch dahinge­hend einig, dass der Nazismus
vorsät­zlich, das
heißt per Pro­gramm, alle bish­eri­gen Regeln der Kriegs­führung gebrochen und
alle mörderischen Instinkte
des Men­schen aktiviert, gebün­delt und für sein rassistisches
Ver­nich­tung­spro­gramm einge­set­zt hat.
Ein­ma­ligkeit und Aus­maß der Ver­brechen, geplante und vorsätzliche
Durch­führung der Massenmorde
und das massen­hafte Erzeu­gen von Befehls­ge­hor­sam und absolutem Pflichtgefühl
(bei gleichzeitigem
Fehlen von Unrechts­be­wusst­sein und Schuldein­sicht), dies sind die Kriterien,
die die Naziver­brechen historisch
ein­ma­lig machen. Deshalb also, weil der Nazis­mus dieses extremste
Vernichtungspotenzial
verkör­pert, muss auch, das Gedenken an den Wider­stand und an die Opfer des
Nazis­mus außergewöhnlich
sein; jede Hero­isierung der sol­datis­chen Pflichter­fül­lung, jede
Gle­ich­stel­lung der gefallenen
Sol­dat­en mit den Naziopfern muss sich ver­bi­eten. Eine “nor­male Gesellschaft”
hätte also der Opfer des
Naziter­rors in beson­der­er Weise zu gedenken, sie hätte den Wider­stand gegen
den Nazi-Faschis­mus hervor
zu heben als die einzig akzept­able “Pflichter­fül­lung” gegenüber dem eigenen
men­schlichen Gewissen. 

Was aber tut unsere abnor­male, anomis­che Gesellschaft? Sie hält — in
gespiel­ter Unschuld und mit
schein­bar­er Unparteilichkeit — das Hak­enkreuz neben den Roten Stern und
schickt sich an, “objek­tive”
Ver­gle­iche anzustellen. Das Hak­enkreuz, unter dem Mil­lio­nen Men­schen in
Europa ver­sklavt und ermor-
det wur­den, soll mit dem “Roten Stern” kon­trastiert wer­den, der für ebenso
viele Men­schen die Hoffnung
auf Befreiung aus den Ghet­tos, Konzentrationslagern,
“Arbeit­serziehungslagern”, Kriegsgefangenenlagern,
Gestapo-Gefäng­nis­sen und Folterzellen ver­hieß. Das Kon­trast­mit­tel zum
Hak­en-kreuz soll also
“Rot­er Stern” heißen, und die Ver­brechen, die unter dem Roten Stern begangen
wur­den, sollen spiegelbildlich
zu denen betra­chtet wer­den, die die Nazis began­gen haben. Ziel ist eine
Pattstel­lung bzw. ein
Null-Sum­men­spiel: Ich spiele mein total­itäres Regime aus, wenn du deines
ausspielst. Zeige mir dein
Mas­sen­grab und ich zeige dir meines. 

Die Naziver­brechen wer­den par­al­lel zu den Bombe­nan­grif­f­en auf deutsche Städte
und den Racheakten
der sow­jetis­chen Sol­dat­en gestellt. Ist das eine poli­tis­che Strate­gie, unsere
Wahrnehmung zu lenken und
neu zu fokussieren, oder ist das eine his­torische Meth­ode des
Sys­temver­gle­ichs? Worauf soll das hinauslaufen?
His­torische Aufk­lärung oder Ver­harm­lo­sung des Holo­caust? So eine
Par­al­lelführung eignet sich
schon sehr gut als psy­chis­che Ent­las­tungsak­tion zugun­sten der willigen
Unter­stützer und Voll­streck­er des
NS-Programms.

Ent­las­tung und Entschul­dung der Täterge­sellschaft unter dem Deck­man­tel der
his­torisch objek­tiv­en Geschichtsdarstellung?
Vertrei­bung, Bombenkrieg, Ver­schlep­pun­gen, willkür­liche Rachejus­tiz der
Sieger,
alles das schuf “natür­lich” auch Opfer auf­seit­en der Täterge­sellschaft. Und
diese Opfer wer­den nun gegen-
erin­nert, ihr Leid wird dem der Holo­caustopfer ent­ge­gen gehal­ten bzw.
par­al­lel dazu dargestellt. 

Unter der Hand erscheint der Holo­caust gar nicht mehr so “ein­ma­lig”; die
Ver­brechen der Nazis haben auf
ein­mal ein Pen­dant; die Befreiung vom Nazis­mus erscheint nun doppelbödig,
denn unter­schwellig wird
die Frage in den Raum gestellt: Hat der grausame Befreiungskampf in Ost€pa
nicht eben­so viel Leid
über die Men­schheit gebracht, wie die deutsche Okku­pa­tion dieser Gebie
te?
Die Büch­er von Knabe und Friedrich sind keineswegs eine unpolitische
Angele­gen­heit, die lediglich für
kleine und harm­lose Verun­sicherun­gen im deutschen Geschichts­bild sor­gen. Ihr
Sinn ist ein ander­er: Die
Sin­gu­lar­ität des Holo­caust soll unter­graben wer­den, der Antifaschis­mus unter
dem “Roten Stern” soll als
links­faschis­tis­ches Gewalt­sys­tem denun­ziert wer­den, der bewaffnete
anti­nazis­tis­che Wider­stand soll in
eine Lin­ie mit den Ver­brechen von SS und Wehrma­cht gestellt werden.
Zwar beto­nen die Autoren bei jed­er Gele­gen­heit: Wir wollen keine
“Aufrech­nung” betreiben. Aber komischerweise
sehen fast alle LeserIn­nen in den Büch­ern ein Ange­bot zur Aufrech­nung. Wenn
jemand
ständig beto­nen muss, “… wir wollen nicht aufrech­nen”, dann sind diese
Beteuerun­gen an den Erkenntnissen
der Psy­cho­analyse zu messen, die besagen: Das Unbe­wusste ken­nt keine
Vernei­n­ung. Auf unseren
Fall ange­wandt: Wer ständig betont, dass nicht aufgerech­net wer­den soll,
dessen Unbe­wusstes sagt: Ich
will, dass aufgerech­net wird! Keine Frage: Aus diesen Büch­ern spricht das
deutsche kollek­tive Unbewusste
zu uns. Es sagt uns: Über die Ver­brechen des Nation­al­sozial­is­mus darf nur
gere­det wer­den, wenn man
gle­ichzeit­ig den Blick auf die “Ver­schlep­pun­gen” und die Gewal­texzesse der
Befreier wirft. Eine eindeutige
Unter­schei­dung von NS-Tätern und NS-Opfern ist gar nicht möglich. Eine
Parteinahme für eine der
bei­den Grup­pen erübrigt sich. — Ken­nen wir nicht diese Botschaft schon seit
fün­fzig Jahren? 

bünd­nis mad­stop, im Mai 2005 

madstop(at)antifanews.de

madstop.antifanews.de

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