Am heutigen Abend fand an der Nikolaikirche eine Kundgebung für den Aufbau des
Stadtschlosses statt. Daran nahmen auch einige Menschen teil, die nicht nur den Wiederaufbau des Stadtschlosses forderten, sondern für eine konsequente Wiedererrichtung des alten Preussens eintraten. Diese satirische Überidentifikation mit Stadtschloss und Preussentum irritierte nicht nur die anwesende Polizei (Zitat: “Komisch, irgendwie sind die ja schon Linke, aber haben trotzdem Pro-Stadtschloss-Plakate, was sollen wir denn jetzt machen?”), sondern auch die eigentliche Pro-Stadtschloß-Demonstration, welche zu einem großen Teil aus älteren Menschen bestand.
Das Auftreten der Stadtschloss-Jubel-Demo führte dann auch zur Spaltung der
eigentlich Pro-Demonstration, mensch beschuldigte sich gegenseitig des Dagegenseins.
Einige JubeldemonstrantInnen wurden sogar von den anwesenden
StadtschloßanhängerInnen geschlagen, geschubst und gewürgt, Plakate wurden zerrissen. Einem kritischen Redner wurde sofort das angeblich offene Mikrophon entrissen, kritische Meinungsäußerungen waren unerwünscht — ein alarmierender
Hinweis auf das Verhältnis einiger StadtschlossbefürworterInnen gegenüber demokratischen Grundrechten.
Kritische Stimmen wurden durch die Polizei vom Platz gedrängt, Anzeigen mit absurdem Inhalt gegen die JubeldemonstrantInnen erstattet. Die JubeldemonstrantInnen zeigten ihrerseits Transparente mit “Nicht nur
Stadtschloss wollen wir, das GANZE Preußen woll´n wir hier!”, sowie Plakate mit Bildern von Friedrich und Jann, den beiden Großen. Außerdem wurden Sprüche wie “Heh
ihr Leut´, habt Gottvertrauen, wir werden euch ein Stadtschloss bauen!” oder “Schluß mit Geschwafel, Die Andere in die Havel!” gerufen.
Außerdem wurde am Rande der Veranstaltung ein Flugblatt mit folgendem Inhalt verteilt:
Die Lösung all unserer Sorgen – das Stadtschloss?
Wohl kaum. Dennoch scheint diese Auffassung besonders bei unseren Stadt-“Oberhäuptern” vertreten zu sein – nicht soziale Probleme, das Erstarken des
organisierten Rechtsextremismus in
Potsdam oder schülerInnenfeindliche Gesetze sind die dringenden Tatsachen. Nein, wir
brauchen ein Stadtschloss!
Obwohl das Projekt Stadtschloss in der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt wurde,
scheint sich gerade Jann Jakobs damit nicht abfinden zu können.
Warum überhaupt brauchen wir ein solches Stadtschloss? Um historische Gebäude der
Nachwelt zu erhalten? Unser Verständnis von Geschichte und Geschichtsbewusstsein ist
vor allem, dass sich die Menschen, die Gesellschaft und vieles andere verändert und
weiterentwickelt. Der Wiederaufbau von Gebäuden, die in historischen Prozessen
zerstört wurden, ist aber rückwärts gewandt.
Auch die Auswahl dessen, was wieder aufgebaut wird, lässt Rückschlüsse auf die
Absichten der Unterstütze Rinnen dieser Vorhaben zu. Selektiv werden Bauten aus der
Zeit des monarchistischen Preußens wieder aufgebaut. Alles andere scheint nicht
historisch wertvoll, interessant oder für die Identifikation geeignet.
Wir müssen uns fragen, wofür das Gebäude des Stadtschlosses symbolhaft steht – für
Fortschritt, Demokratie und Frieden? Wohl kaum. Um derlei Prunkbauten finanzieren zu
können, wurde die einfache Bevölkerung, die Ärmsten der Armen noch mehr ausgebeutet,
als das ohnehin schon geschah. Die gesamte Herrschaft in der preußischen Monarchie,
für die das Stadtschloß symbolhaft steht, lastete auf den Schultern der Besitzlosen
und Unterdrückten. Arbeitszwang, Zwangsrekrutierungen in die Armee, Angriffskriege
gegen andere Länder, bei denen Millionen den Tod fanden…
Wer diesen Teil der Geschichte nicht ausblenden will, kann sich kaum positiv auf das
Stadtschloss beziehen und für seinen Wiederaufbau einsetzen.
Die für das Stadtschloss verwendeten Gelder und Spenden werden in anderen Bereichen
dringender benötigt – während soziale Projekte, Initiativen gegen Rechts und anderen
fortschrittlichen Gruppen die Gelder für ihre Arbeit fehlen, wollen sich Jakobs,
Jauch und andere mit dem Stadtschloss ein Zeichen setzen – gegen den erklärten
Willen und die Interessen eines Großteils der Potsdamer Bevölkerung.
Deshalb:
Gegen den Wiederaufbau des Stadtschlosses und anderer preußischer Prunkbauten!
Für eine freie, klassenlose Gesellschaft!
[a] antifaschistische linke potsdam