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Jüdisches Schicksal in Deutschland

(MAZ, 21.2.) FALKENSEE Zeitzeu­gen aus Jerusalem waren am Fre­itagabend im Haus am Anger angekündigt:
Tamar und Sim­cha Lan­dau. Sie berichteten von ihrem Lei­densweg als Kinder
jüdis­ch­er deutsch­er Fam­i­lien. Und obwohl sie sich ganz offensichtlich
bemüht­en, dis­tanziert, ja sach­lich zu erzählen, waren die zumeist jungen
Zuhör­er im bis auf den let­zten Platz beset­zten The­ater­saal erschüttert. 

Tamar kam in Beuthen (Ober­schle­sien) zur Welt, ver­lebte fröh­liche Jahre mit
Mut­ter, Vater und Geschwis­tern. Aber nach den Pogromen der Kristallnacht
wurde ihr Vater das erste mal ver­haftet, die Fam­i­lie aus der Wohnung
gewiesen und in pol­nis­che Gebi­ete, nahe Auschwitz, umge­siedelt. Hier
geri­eten sie ins Ghet­to, lebten in drangvoller, ang­ster­füll­ter Enge. 1941
wur­den Mut­ter und Geschwis­ter bei ein­er Razz­ia von der Strasse weg
festgenom­men. “Ich habe sie nie wieder gese­hen”, sagte Tamar Lan­dau mit
leis­er Stimme. Ihr Vater kam im KZ um. Dass sie “nur” in ein Arbeitslager
kam, ver­dankt sie ihrer Cou­sine, die laut schrie: “Sie kann arbeit­en, sie
ist 15!”, was nicht stimmte. Das Mäd­chen war elf. Zweiein­halb Jahre
schuftete sie mit vie­len anderen Frauen und Mäd­chen in ein­er Spinnerei,
gequält von Hunger und von Schlä­gen der Auf­se­herin­nen. Immer wieder stockte
Tamar bei ihrem Bericht, schaute sich im Saal um: “Das kann ich so nicht
sagen, hier sind doch Kinder!” 

Im Jan­u­ar 1945 wird sie zusam­men mit tausend weib­lichen Häftlin­gen auf einen
Todes­marsch getrieben. 42 Tage sind sie in bit­ter­er Kälte unter­wegs — von
Neusalz über Muskau, Bautzen und Dres­den bis Flossen­burg. Nur 200 der Frauen
und Mäd­chen über­leben diese Tor­tur. In einem Kinder­heim, von britischen
Sol­dat­en nach der Befreiung des KZ Bergen-Belsen ein­gerichtet, gesun­det sie
nach schw­er­er Krankheit. Und dort begeg­net ihr der 16-jährige Simcha. 

Sein Vater war im KZ ermordet wor­den und über­lebt hat­te er, der aus Berlin
stammte, dort nur dank sein­er Mut­ter und einiger gütiger, sehr mutiger
Bekan­nten, die die bei­den dreiein­halb Jahre ver­steck­ten; Jahre, in denen sie
immer in der Furcht lebten, ent­deckt oder ver­rat­en zu wer­den. Jahre, in
denen sie sich, kam Besuch zu ihren Beschützern, in Schränken verkriechen
mussten. In ein­er Dachkam­mer im Pren­zlauer Berg über­lebten sie die
Bombennächte. 

Mit einem der ersten Trans­porte jüdis­ch­er Kinder gelangten Tamar und Simcha
nach Haifa, arbeit­eten und lern­ten in einem Kib­buz, holten die Mut­ter nach,
studierten, wur­den ein Ehep­aar, Eltern und nun auch Großel­tern. Sie pflegen
Verbindun­gen zu deutschen Jugendgruppen. 

Mancher­lei woll­ten junge Zuhör­er vom Ehep­aar Lan­dau wis­sen. Wie es im Kibbuz
war, was der Junge in seinem Ver­steck gele­sen habe, und immer wieder die
Frage: Wie kon­nte das alles in Deutsch­land geschehen? Nein, eine einfache
Antwort darauf hat­ten die Lan­daus nicht parat. Viele Ursachen gäbe es,
meinte Sim­cha Lan­dau und erin­nerte an seine Zeit in Bonn, wo er in den
70er-Jahren in der Botschaft Israels tätig war. Er habe dort fast nur
Deutsche getrof­fen, die während der Naz­izeit im Wider­stand waren, erzählte
er mit leisem Spott. Nur ein­er habe zugegeben, aktiv­er Nazi gewe­sen zu sein.
Und viele kon­nten nach brauner Ver­gan­gen­heit rasch wieder Kar­riere machen.
Tat­sache sei eben­so, dass Eltern ihren Kindern nicht aufrichtig Auskunft
gegeben haben, was sie im Hitlerdeutsch­land getan hat­ten… “Vieles blieb
unaus­ge­sprochen, unbeant­wortet, verdrängt.” 

Kön­nten Sie sich vorstellen, wieder als Bürg­er in Deutsch­land zu leben? -
“Die Dis­tanz”, erwiderte Sim­cha Lan­dau, “hat uns geholfen, uns den Deutschen
wieder zu näh­ern. Aber hier als Bürg­er leben? Nein, das wäre zu viel
verlangt.”

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