(PNN) Brandenburg/Havel — In Brandenburg beginnt vermutlich noch in diesem Jahr
der erste Terrorprozess in der Geschichte des Bundeslandes.
Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hat jetzt Anklage gegen zwölf junge
Rechtsextremisten erhoben, die eine terroristische Vereinigung namens
„Freikorps“ gebildet haben sollen – mit dem Ziel, Ausländer gewaltsam aus
der Region Nauen zu vertreiben. Der Gruppe wird vorgeworfen, sie habe
monatelang Angst und Schrecken verbreitet. Von August 2003 bis Mai 2004
wurden in Nauen, Brieselang, Falkensee und Schönwalde vietnamesische und
türkische Imbisse sowie Restaurants angezündet. In einem Fall ging in Nauen
auch ein angrenzendes Einkaufszentrum in Flammen auf. Die Brandserie wird
als terroristisch bewertet, weil die Angeklagten ihre Vereinigung eigens für
politische Gewalttaten formiert haben sollen. Durch die Serie von
Brandanschlägen entstanden Sachschäden von mehr als 60.000 Euro. Dass keine
Menschen verletzt wurden, ist fast ein Wunder. Ende Juni nahm die Polizei
mehrere mutmaßliche Mitglieder der Rassisten-Clique fest. Der Prozess wird
am Oberlandesgericht in Brandenburg/Havel geführt. Das Verfahren ist
ungewöhnlich: Üblicherweise zieht Generalbundesanwalt Kay Nehm Ermittlungen
wegen Terrorverdachts an sich, in diesem Fall verzichtete er jedoch darauf.
Im juristischen Sinne hat das Verfahren „mindere Bedeutung“, unter anderem
weil alle Gruppenmitglieder unter 21 Jahre alt sind. Die jüngsten
Angeklagten sind 16 Jahre alt. Der älteste, Christopher H., Christopher
H.ist 20 und gilt als Rädelsführer der Gruppe. Er hat inzwischenAbitur, die
anderen Angeklagten sind Schüler, Auszubildende, schon berufstätig oder
arbeitslos. Es sei erschreckend, sagen Sicherheitsexperten, dass so junge
Menschen schon zu derart exzessiver rechter Kriminalität fähig sind. Nach
Erkenntnissen der Ermittler gründeten Christopher H.Christopher H. und
weitere zehn Angeklagte im Sommer 2003 die Kameradschaft „Freikorps“ – mit
Satzung, Schriftführer und Kassierer. Der zwölfte Angeklagte sei erst im
Oktober dazugestoßen. Der Name „Freikorps“ sollte an die rechtsextremen
Freiwilligenverbände erinnern, die nach dem Ersten Weltkrieg mit großer
Brutalität gegen Linke kämpften.
Terrorgruppe mit Satzung
Neonazis wollten systematisch Ausländer aus dem Havelland vertreiben
(MAZ, Frank Schauka) NAUEN Der 20 Jahre alte Christopher H., der Zeitsoldat bei der Bundeswehr werden
wollte, war ein eher unauffälliger Schüler. “Keiner, dem die Mädchen aus den
unteren Klassen nachlaufen”, erinnert sich ein Lehrer des Goethe-Gymnasiums
in Nauen, wo der Pennäler vor einem Jahr sein Abitur ablegte. Besonders gut
waren H.s Chemiekenntnisse, die er in der Freizeit nutzte, um Bomben zu
basteln. Zunächst ließ er sie — vermutlich über mehrere Jahre hinweg — im
Wald nahe dem elterlichen Hof im havelländischen Pausin explodieren.
Wenige Monate vor seinem 19. Geburtstag verfiel der junge Neonazi im Sommer
2003 auf die Idee, mit seinen selbstgebauten Brandsätzen auch Imbisse
ausländischer Betreiber in Flammen aufgehen zu lassen. Gemeinsam mit zehn
Freunden gründete Christopher H. auf dem Grundstück seiner Eltern eine
terroristische Untergrundorganisation, die sie “Freikorps” nannten und die
ein extrem ausländerfeindliches Ziel verfolgte: Durch Brandstiftungen
wollten die jungen Rechtsextremen die wirtschaftliche Existenz der
Imbissbesitzer zerstören. Sie sollten gezwungen werden, ihr Geschäft
aufzugeben und die Region um Nauen zu verlassen. Später, so verabredeten es
die Nachwuchs-Neonazis, sollten die Anschläge auf das gesamte Havelland
ausgeweitet werden. Damit sollte ein Zeichen gesetzt werden, um
möglicherweise in ganz Brandenburg Ausländer in Panik zu versetzen. Nach
Auffassung der brandenburgischen Generalstaatsanwaltschaft nahmen die
“Freikorps”-Neonazis damit eine nachhaltige Störung des Zusammenlebens der
deutschen und ausländischen Bevölkerung in Brandenburg in Kauf. Menschen
sollten bei den Brandanschlägen allerdings nicht gefährdet werden.
Von den üblichen rechtsextremen Gruppen unterschied sich die
Untergrundorganisation “Freikorps”, die die brandenburgische
Generalstaatsanwaltschaft nun als terroristische Vereinigung anklagt, durch
ihren straffen Aufbau. Christopher H., den seine Freunde auch “Bombi”
nannten, wurde von allen Mitgliedern als Rädelsführer akzeptiert. Er mixte
auf dem Hof seiner Eltern — dem Treffpunkt der Wehrsportgruppe — die
Brandbeschleuniger und bestimmte die Anschlagsziele. Im Gründungsprotokoll,
das alle unterzeichneten, wurden zudem ein Schriftführer und ein Kassierer
bestimmt. Ein Mitgliedsbeitrag von monatlich fünf Euro sollte erhoben
werden, um Benzin für Brandbeschleuniger und Fluchtwagen zu kaufen. “Das ist
eindeutig eine neue Qualität”, urteilt die Anklagebehörde über den
Organisationsgrad. Indem sich die jungen Neonazis eine militante Satzung
gaben, sei die Schwelle für künftige Straftaten herabgesetzt worden.
Bei den neun Brandanschlägen, die “Freikorps”-Mitglieder zwischen August
2003 und Mai 2004 in Nauen, Falkensee, Brieselang und Schönwalde verübten,
wurde ein Sachschaden von schätzungsweise 600 000 Euro angerichtet. Die
größte Zerstörung bewirkte die zweite Aktion der Gruppe. In der Nacht zu
Sonntag, den 31. August 2003, brachen zwei “Freikorps”-Mitglieder den
verschlossenen Imbisswagen am Norma-Supermarkt in Nauen mit einer
Brechstange auf. Das Feuer breitete sich über den Imbiss schnell auf den
Einkaufsmarkt aus und verursachte einen Schaden von mehr als einer halben
Million Euro.
Das Ausmaß dieser Zerstörung war so groß, dass die überraschten
“Freikorps”-Mitglieder ihre Aktionen mehrere Monate aussetzten. Anführer H.
drängte nach Erkenntnissen der Anklage jedoch auf weitere Anschläge, die ab
Dezember 2003 fortgesetzt wurden. Die Zielsetzung wurde beibehalten,
Christopher H. versuchte den Zusammenhalt der Gruppe sogar noch zu steigern,
indem er uniformierende Armbinden mit der Aufschrift “Freikorps” verteilte.
Außerdem versuchte der damalige Gymnasiast, neue Mitglieder anzuwerben.
Stolz sammelte Christopher H. Zeitungsausschnitte über die Brandanschläge
der mutmaßlichen Terrorgruppe. Sein Versuch, Kontakte zu anderen
rechtsextremen Gruppierungen herzustellen, um den ausländerfeindlichen
Aktionsradius möglicherweise zu vergrößern, misslang jedoch.