Das zweite deutsche Sozialforum in Cottbus wird als erfolgreich bewertet. Ein Gespräch mit Marion Scheier. Marion Scheier ist Vorsitzende der DGB-Region Südbrandenburg/Lausitz und gehörte zu den Organisatoren des zweiten Sozialforums in Deutschland, das am Wochenende in Cottbus stattfand.
Das Sozialforum sei eine bloße Simulation von Bewegung gewesen, hatte der jW-Berichterstatter am Montag resümiert …
Das sehe ich ganz anders. Für unsere Region hier kann ich sagen, daß es eine Annäherung der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen gegeben hat, daß die Zusammenarbeit verbessert wurde. Das hat sich auch auf der sogenannten Versammlung der sozialen Bewegungen zum Abschluß des Forums gezeigt. Auf dieser wurden Themen verabredet, mit denen man sich in nächster Zeit gemeinsam beschäftigen will: Klima, globale soziale Rechte, G 8, Europa, Tarifrunde und öffentlicher Dienst, Hartz IV und das Recht auf Wohnen, das Thema gute Arbeit und Mindestlohn, Bildung, Privatisierung und die Frage der Militärstützpunkte. Die Versammlung hat sich zum Beispiel für eine bundes- und €paweite Kampagne gegen die Ratifizierungen des »EU-Reformvertrags« ausgesprochen.
Wurden auch konkrete Aktionen verabredet?
Ja. Am 26. Januar wird es einen weltweiten globalen Aktionstag geben, sozusagen als Ersatz für das Weltsozialforum, das 2008 nicht stattfinden wird. An diesem Tag soll es dezentral in den Städten Veranstaltungen geben; für den 25. November ist in Berlin ein zentrales Vorbereitungstreffen für diese Aktionen geplant.
Allgemein waren wir uns in Cottbus einig, daß die bundesweiten Sozialforen ein kontinuierlicher Prozeß sein sollten. Ich hoffe daher, daß wir mit der Zusammenarbeit und der Vorbereitung des nächsten Forums sofort weitermachen und nicht erst ein Jahr verstreichen lassen.
Schon beim ersten Forum vor zwei Jahren in Erfurt war die mangelhafte Einbindung der örtlichen Sozialforen beklagt worden, von denen es einige Dutzend in Deutschland gibt. Diesmal scheint es noch schlechter gelaufen zu sein.
Ich kann da nicht für das ganze Bundesgebiet sprechen, aber hier in der Region haben wir zum Beispiel die Gruppen mit einbezogen, die sich aus den Montagsdemonstrationen entwickelt haben.
Eine andere Kritik lautet, daß in Cottbus nur vergleichsweise wenig junge Menschen waren, daß diejenigen fehlten, die im Sommer die Proteste gegen den G‑8-Gipfel getragen hatten.
Ich kann es mir eigentlich nicht erklären. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß junge Leute politisch aktiv sind und es immer nur so scheint, daß sie sich nicht interessieren.
Offenbar haben die alten Organisationen wie Gewerkschaften, Friedensbewegung und andere, die das Forum organisiert hatten, ein erhebliches Problem, jüngere Menschen anzusprechen.
Es ist vielleicht auch die Diskussionskultur, die sich ändern müßte. Wenn ich mir unsere Gewerkschaftsveranstaltungen anschaue, dann sitzt vorne ein Referent, und das Publikum stellt die Fragen. Ich denke, daß es wichtiger ist, daß man voneinander lernt und auf diesem Wege die Jungen mehr einbezieht.
Ein Grund, das Sozialforum in Cottbus abzuhalten, war die Nähe zu Polen und der Tschechischen Republik. Was hat die Beteiligung aus diesen Ländern gebracht?
In verschiedenen Veranstaltungen hat sich gezeigt, daß sich die Probleme immer mehr ähneln, und daß soziale Standards ein wichtiger Bestandteil des €päischen Einigungsprozesses sein müssen. Es wird ja, wenn es um die EU geht, immer die Wirtschaft in den Vordergrund gestellt. Ich meine hingegen, daß die soziale und ökologische Entwicklung immer mitgedacht werden muß. Am Sonntag hatten wir zum Beispiel noch eine Veranstaltung zum Thema Mindestlohn, zu der auch Kollegen aus Polen, Tschechien und Österreich gekommen waren. Solche gemeinsamen Diskussionen sind gut, um ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln. Unter anderem konnten wir sehen, daß es anderswo sehr wohl Mindestlöhne gibt und man sich fragen muß, weshalb es hier nicht gehen soll. Ich denke, daß es wichtig ist, daß sich die sozialen Bedingungen in Europa annähern, damit wir nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden können.