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Keine idealen Opfer — Wahrnehmungsschwierigkeiten in Brandenburg

Einige Worte vorweg


Von Seit­en der rot-grü­nen Bun­desregierung wird Recht­sex­trem­is­mus derzeit allen­falls ver­wal­tet. Mit der halb­herzi­gen Weit­er­führung des Bun­de­spro­gramms CIVITAS meint man offen­bar, der Imagepflege und der Stre­ichelein­heit­en für eine lib­erale Öffentlichkeit genüge getan zu haben. Derzeit über­wiegt der Diskurs um “Zuwan­derungs­be­gren­zung”. Der definiert gle­ichzeit­ig die gesellschaftliche Stel­lung der poten­ziellen Opfer: Als Men­schen zweit­er Klasse ohne gle­iche Rechte. Damit liefert man den recht­en “Voll­streck­ern des Volk­swil­lens” aus­re­ichend Legit­i­ma­tion zum Zuschla­gen, ohne auf offen ras­sis­tis­che Kam­pag­nen wie Anfang der 90er Jahre set­zen zu müssen. So ver­wun­dert es dann auch kaum, dass recht­sex­trem und ras­sis­tisch motivierte Angriffe den Medi­en derzeit in den meis­ten Fällen nur noch Rand­no­ti­zen wert sind. Dabei hat sich die Zahl der Vor­fälle allen gegen­teili­gen offiziellen Ver­laut­barun­gen zum Trotz auf gle­ich­bleibend hohem Niveau sta­bil­isiert. Ein Blick in die Nachricht­e­na­gen­turen macht aber deut­lich, dass rechte Gewalt in den alten und neuen Bun­deslän­dern gle­icher­maßen nach wie vor zum All­t­ag gehört.

 

“Eine Gruppe von etwa 20 angetrunk­e­nen Neon­azis hat im nor­drhein-west­fälis­chen Ham­minkeln ran­daliert und dabei einen Türken schw­er und zwei Polizis­ten leicht ver­let­zt.” meldete dpa am 1. Sep­tem­ber. Zwei Tage später wer­den im bran­den­bur­gis­chen Cot­tbus ein jor­danis­ch­er Arzt und seine Tochter vor fünf Naziskins vor einem Super­markt ange­grif­f­en, geschla­gen und ras­sis­tisch beschimpft. Die Staat­san­waltschaft Cot­tbus leugnet zunächst jeglichen ras­sis­tis­chen Hin­ter­grund. Am 8. Sep­tem­ber wer­den im säch­sis­chen Chem­nitz zwei Fußball­spiel­er aus Kamerun am Rande des Stadt­festes von drei Naziskins ras­sis­tisch angepö­belt und ange­grif­f­en. Auch zwei Spiel­er des Chem­nitzer FC, die ein­greifen woll­ten, wer­den bedro­ht. Zehn Tage später stößt eine Gruppe rechter junger Män­ner auf dem Bahn­hof der bran­den­bur­gis­chen Kle­in­stadt Per­leberg einen 25jährigen algerischen Asyl­be­wer­ber aus einem Region­alzug und treten dann auf den am Boden liegen­den Mann ein. Zuvor hat­te die Gruppe dessen deutsche Fre­undin mit recht­en Parolen beschimpft. In der Nacht zum 1. Okto­ber wer­fen unbekan­nte Täter zwei Molo­tow-Cock­tails in die Räume eines deutsch-türkischen Kul­turvere­ins im nieder­säch­sis­chen Nor­den­ham und sprühen Hak­enkreuze an die Hauswand. Bei dem Bran­dan­schlag entste­ht ein Sach­schaden von 75.000 Euro, fünf Bewohn­er des Haus­es kön­nen sich unver­let­zt ret­ten. Vier Tage später wer­den in Mönchenglad­bach zwei Rus­s­land­deutsche on drei Män­nern im Alter zwis­chen 22 und 41 Jahren zunächst mit frem­den­feindlichen Sprüchen belei­digt und dann ange­grif­f­en. Die Opfer erlei­den Platz- und Schnittwunden.

 

Diejeni­gen, die tagtäglich mit den Betrof­fe­nen in den fünf neuen Bun­deslän­dern und Berlin arbeit­en, kom­men in den nach­fol­gen­den Artikeln selb­st zu Wort. Einein­halb Jahre, nach­dem die Förderung durch das Bun­de­spro­gramm CIVITAS im Osten die Ein­rich­tung pro­fes­sioneller Ini­tia­tiv­en für die explizite Unter­stützung von Opfern rechter, ras­sis­tis­ch­er und anti­semi­tis­ch­er Gewalt ermöglicht hat, fall­en drei Aspek­te beson­ders auf: Der Bedarf an Unter­stützung ist so gross ist, dass die Struk­turen von haup­tamtlichen und ehre­namtlichen Mitar­bei­t­erIn­nen der Pro­jek­te ständig am Rand der Über­las­tung arbeit­en. Zum anderen bedin­gen sich insti­tu­tioneller Ras­sis­mus und Recht­sex­trem­is­mus bei den Fra­gen, wer Opfer rechter Gewalt wird und welche Möglichkeit­en die Betrof­fe­nen haben. Die Arbeits­ge­mein­schaft der Beratungsstellen für Opfer ras­sis­tis­ch­er, recht­sex­tremer und anti­semi­tis­ch­er Gewalt (agO­ra) fordert daher zu Recht als ersten Schritt ein Bleiberecht für die Betrof­fe­nen und sollte mit dieser Forderung nicht alleine gelassen werden.

 

Kaum Unter­stützung für Opfer im Westen

 

Während Opfer ras­sis­tis­ch­er und rechter Gewalt in den neuen Bun­deslän­dern und in Berlin inzwis­chen Unter­stützung von pro­fes­sionell arbei­t­en­den und aus dem Bun­de­spro­gramm CIVITAS finanzierten Ini­tia­tiv­en erhal­ten kön­nen, existieren in den alten Bun­deslän­dern kaum ver­gle­ich­bare Struk­turen. Frei nach dem Mythos “im Osten ist alles viel schlim­mer” ignori­eren Öffentlichkeit, Bun­des- und Lan­despoli­tik die Fak­ten: Dass die Über­reste der Zivilge­sellschaft im West­en die Opfer rechter Gewalt im Stich lassen. Hier hat das jahre­lang trans­portierte Bild, wonach Recht­sex­trem­is­mus, Ras­sis­mus und Anti­semitismus in erster Lin­ie ein “ost­deutsches Phänomen” sind, fatale Fol­gen. Forschungsergeb­nisse, die das Gegen­teil nach­weisen, wie zulet­zt die von der Uni­ver­sität Leipzig und dem Berlin­er Poli­tik­wis­senschaftler Oskar Nie­der­mey­er gemein­sam veröf­fentliche Studie “Recht­sex­treme Ein­stel­lun­gen in Deutsch­land” wer­den kaum zur Ken­nt­nis genom­men. Dabei ist das Ergeb­nis der Umfrage unter 2051 Befragten in Ost- und West­deutsch­land erschreck­end. So stimmten 43 Prozent aller Befragten der Aus­sage zu, “Aus­län­der kom­men nur hier­her, um unseren Sozial­staat auszunutzen”. Der Aus­sage “Die Bun­desre­pub­lik ist durch die vie­len Aus­län­der in einem gefährlichen Maß über­fremdet” stimmten 37 Prozent der Befragten aus dem West­en und 42 Prozent der Befragten aus dem Osten zu. Geht es um Zus­tim­mung zu anti­semi­tis­chen Aus­sagen, über­holen West­deutsche den Osten sog­ar bei weit­em. Eine find­et der Satz “der Ein­fluss der Juden ist zu groß” bei 31 Prozent der west­deutschen Befragten und bei 14 Prozent der Ost­deutschen Zus­tim­mung. Die logis­che Kon­se­quenz für eine antifaschis­tis­che Bewe­gung sollte es sein, aus eigen­er Kraft Struk­turen aufzubauen, die den Opfern der herrschen­den Mei­n­un­gen zur Seite ste­hen — unab­hängig von ein­er staatlichen Finanzierung.

 


 

Witt­stock an der Dosse,

 

eine Stadt am nordöstlichen Rand von Bran­den­burg, kommt aus den Schlagzeilen nicht her­aus. Die jüng­ste Mel­dung stammt von Anfang Sep­tem­ber: Unbekan­nte verübten auf die Gedenkstätte im Below­er Wald, in der an die Todesmärsche jüdis­ch­er Häftlinge kurz vor der Beendi­gung des zweit­en Weltkrieges erin­nert wird, einen Bran­dan­schlag. Seit Anfang der neun­ziger Jahre wur­den Migranten, dunkel­häutige Touris­ten, rus­sisch-deutsche Aussiedler und linke Jugendliche Opfer ras­sis­tis­ch­er Angriffe. Der Ort bildet einen Kristal­la­tion­spunkt der recht­sex­tremen Organ­isierung in Brandenburg.

 

Seit Anfang 2001 entsch­ied sich der Vere­in Opfer­per­spek­tive in Witt­stock und Umge­bung inten­siv und länger­fristig zu arbeit­en. Nach einem Angriff auf einen schwarzen Deutschen beka­men wir Hin­weise, dass nicht nur Migranten und linke Jugendliche Opfer von ras­sis­tis­ch­er Gewalt wur­den, son­dern auch immer mehr Ruß­land­deutsche Angrif­f­en, ins­beson­dere von recht­en Jugend­cliquen, aus­ge­set­zt sind. Zunächst stellte es sich sehr schw­er da, Kon­takt zu der rus­s­lan­deutschen Gemeinde zu erhal­ten. Die Opfer­per­spek­tive bemühte sich eine Recht­shil­febroschüre in rus­sis­ch­er Sprache zu verteilen und damit ver­bun­den ein konkretes Beratungsange­bot anzu­bi­eten. Einige wenige Fam­i­lien, die ein­er sys­tem­a­tis­chen Diskri­m­inierung oder kör­per­lichen Angrif­f­en aus­ge­set­zt waren, nah­men schließlich Kon­takt auf. Sehr schnell zeigte sich, dass auf der Seite der rus­sisch- deutschen Gemeinde eher eine pas­sive und abwartende Hal­tung dominierte. Die meis­ten Aussiedler waren nur bere­it, in anonymer Form über entsprechende Vorkomm­nisse zu bericht­en, sie hat­ten Angst vor möglichen Kon­se­quen­zen von Seit­en der Stadt und der örtlichen recht­en Szene. Sie sel­ber betra­chteten sich eher als Aus­län­der, denn als Sp&
auml;taussiedler. Nur wenige Betrof­fene von ras­sis­tis­chen Angrif­f­en, sahen einen Sinn darin, die Vor­fälle bei der Polizei anzuzeigen. Allerd­ings wurde das Team der Opfer­per­spek­tive nach eini­gen Gesprächen mit den Aussiedlern, schon bald von Fam­i­lie zu Fam­i­lie gere­icht und wir beka­men einen Ein­druck davon, unter welch enor­men Druck und unter welch­er Angst Aussiedler in Witt­stock und Umge­bung leben müssen.

 

Die eher pas­sive Hal­tung der Ruß­land­deutschen wird durch die Hoff­nung genährt, “bald” Witt­stock ver­lassen zu kön­nen und sich auf den Weg nach West­deutsch­land zu machen. Aussiedler sind zwar nach dem Bun­desver­triebe­nenge­setz zwar als deutsche Staats­bürg­er aufzunehmen, jedoch ist für sie das Wohn­raumzuweisungs­ge­setz gültig. Dies bedeutet, dass trotz der deutschen Staats­bürg­er­schaft das Grun­drecht der Freizügigkeit für die Dauer von drei Jahren eingeschränkt ist, es sei denn es gelingt den Spä­taussiedlern sich selb­ständig einen Arbeit­splatz zu suchen. Für viele Aussiedler in Witt­stock bedeutet dies: nach drei Jahren kann die Stadt und der Land­kreis ver­lassen wer­den. Aus diesem Grund fiel auch der Vorschlag des Teams der Opfer­per­spek­tive an die rus­sisch- deutschen Gesprächspart­ner, sich in das Bünd­nis für ein tol­er­antes Witt­stock einzubrin­gen und dieses Forum zu nutzen, um auf ihre eigene prikäre Sit­u­a­tion aufmerk­sam zu machen, auf keine Zustimmung.

 

Nazistruk­turen vor Ort

 

In der Stadt existiert ein­er der aktivsten NPD Kreisver­bände in Bran­den­burg. Der Land­wirt Mario Schulz baute inner­halb von zwei Jahren einen aktiv­en Kreisver­band in der Stadt auf, der ein­er­seits durch Demon­stra­tio­nen Nach­wuchs zu rekru­tieren ver­sucht, aber auch Ein­fluß auf die Kom­mu­nalpoli­tik ausüben will. Erst im April diese Jahres disku­tierte Schulz bei ein­er Ver­anstal­tung zum The­ma Recht­sex­trem­is­mus fleißig mit den städtis­chen Kom­mu­nalpoli­tik­ern und forderte für die örtliche nationale Jugend einen eige­nen Raum.

 

Er selb­st stellt für die örtliche rechte Szene eine Art Vater­fig­ur da, Ansprech­part­ner für poli­tis­che Diskus­sio­nen, wie auch für soziale Prob­leme sein­er Schützlinge.
Neben der NPD, die vor­wiegend jugendlichen Anhänger in Witt­stock und Umge­bung besitzt, gibt es noch einzelne rechte Cliquen, die durch eine hohe Gewalt­bere­itschaft auf­fall­en. An dem durch die Medi­en bekan­nt gewor­de­nen Tre­ff­punkt an der Elf Tankstelle, mis­cht sich jedoch das “organ­isierte” rechte Klien­tel mit den eher sub­kul­turell aus­gerichteten Cliquen. Die meis­ten ras­sis­tis­chen Über­grif­f­en in Witt­stock wer­den von diversen losen, auf “Kam­er­ad­schaft” basieren­den Struk­turen aus­geübt, was nicht heißen soll, dass Pro­tag­o­nis­ten der örtlichen NPD wie Sven Knoop und Matthias Wirth in diese Angriffe involviert sind.

 

Nach dem Tod von Kajrat B. dis­tanzierte sich die örtliche NPD von dem bru­tal­en Mord und einige “Kam­er­aden” nah­men an dem Trauer­marsch teil. Mit den Worten “Gewalt ist keine Lösung- Deutsche sollen keine Deutschen schla­gen” appel­liert der Vor­sitzende an seinen recht­en Nach­wuchs. Doch großen Ein­fluß auf seine zumeist jugendlichen Anhänger scheint der recht­sex­treme Kader­mann nicht zu haben.
Der Vere­in Opfer­per­spek­tive reg­istri­erte allein für das erste Hal­b­jahr 2002 neun ras­sis­tis­che Angriffe auf Aussiedler in Wittstock.

 

Das Prob­lem eines Bünd­niss­es von Oben

 

Es dauerte lange bis in Witt­stock die recht­sex­tremen Struk­turen wahrgenom­men wur­den und als Prob­lem definiert wur­den. Antifas­truk­turen oder andere anti­ras­sis­tis­che, linke Basisini­tia­tiv­en existieren vor Ort nicht, die Jugend­kul­turen sind über­wiegend rechts dominiert. Noch im let­zten Jahr verkün­dete der örtliche Bürg­er­meis­ter der Presse:” Weil hier so eine Truppe am Werk ist, heißt es Witt­stock ist rechts. Witt­stock ist nicht rechts”.
Das Prob­lem rechter Angriffe wurde einzel­nen Per­so­n­en zugeschrieben, indi­vi­did­u­al­isiert und somit bagatellisiert.
Erst Ende des Jahres 2001 grün­dete sich ein Bünd­nis gegen Recht­sex­trem­is­mus, welch­es von der Polizei ini­ti­iert wurde und haupt­säch­lich aus einzel­nen städtis­chen Funk­tion­strägern beste­ht. Aus­gangspunkt dieses “Bünd­niss­es für ein Tol­er­antes Witt­stock” war eine als Geburt­stagspar­ty getarnte Ver­samm­lung von 60 Neon­azis im örtlichen Jugend­club Havan­na, im Herb­st 2001, die durch einen gewalt­samen Ein­satz der Mega aufgelöst wurde. Danach forderte die örtliche Polizei die Ein­rich­tung eines “Präven­tion­srates” und auch der Super­in­ten­dent der evan­ge­lis­chen Kirche rief zur Beteili­gung an einem Bünd­nis auf.

 

Die Beschränk­theit ein­er Stel­lvertreter­poli­tik im Kopf, entsch­ied sich das Team der Opfer­per­spek­tive den beste­hen­den Kon­takt zu dem Bünd­nis zu nutzen, um über die des­o­late Sit­u­a­tion der Aussiedler zu informieren und zu ein­er Sen­si­bil­isierung beizu­tra­gen. Par­al­lel set­zten wir die Besuch bei den betrof­fe­nen deutsch- rus­sis­chen Fam­i­lie fort und führen eine Doku­men­ta­tion der Geschehnisse.

 

Der Tod von Kajrat B.

 

Am frühen Mor­gen des 4.05.02 wur­den Kajrat B. und sein Fre­und Max K. nach einem Par­tybe­such in Alt- Daber bei Witt­stock von hin­ten ange­grif­f­en und mit äußer­ster Bru­tal­ität zusam­mengeschla­gen. Max K. berichtet später, dass sie schon während der Technopar­ty gemerkt haben, dass sie als “Ruß­land­deutsche” erkan­nt wor­den waren und sich unwohl gefühlt hät­ten. Der Angriff wurde min­destens von vier Per­so­n­en began­gen, dabei war einem der Opfer mit einem Feld­stein der Brustko­rb zertrüm­mert wor­den , außer­dem wurde er mit scheren Stiefel­trit­ten trak­tiert. Um die Angreifer stand zu diesem Zeit­punkt eine ca. 10 bis fün­fzehn köp­fige Gruppe, die nicht einge­grif­f­en hat. Die Staat­san­waltschaft geht von einem frem­den­feindlich­es Motiv für die Tat aus. Zwei Wochen später erlag Kajrat B. seinen schw­eren inneren Ver­let­zun­gen. Der Tod von Kajrat B. spitzte die Sit­u­a­tion in Witt­stock inner­halb kurz­er Zeit unge­mein zu. Die rus­sisch- deutsche Gemeinde befand sich nach dem Tod von Kajrat wie in einem Schockzustand.

 

Auch wenn das frem­den­feindliche Tat­mo­tiv bish­er nur von der Staat­san­waltschaft ver­mutet wird, doch auf Seit­en der rus­sisch deutschen Gemeinde gibt es nicht einen Vertreter, der nicht davon aus­ge­ht, dass Kajrat B. Opfer eines ras­sis­tis­chen Angriffs wurde.

 

Ruß­land­deutsche keine ide­alen Opfer?

 

Doch es dauerte Tage bis sich öffentliche Funk­tion­sträger, Medi­en und Antifaschis­ti­In­nen äußerten. Eine Spon­tandemon­stra­tion fand in Witt­stock nicht statt, zu dem Trauer­marsch zwei Wochen später kamen nur wenige Men­schen. In diesem Fall mußte die Opfer­per­spek­tive erneut fest­stellen, dass es sowohl bei den Funk­tion­strägern in den Behör­den, aber auch beim über­wiegen­den Teil der Mitar­beit­er des Bünd­niss­es, große Schwierigkeit­en gab, Ruß­land­deutsche als Betrof­fene von ras­sis­tis­ch­er Gewalt wahrzunehmen. Erst nach dem bru­tal­en Mord von Kajrat B. wurde das Aus­maß der Angriffe gegen Ruß­land­deutsche erkan­nt und Ver­säum­nisse eingestanden.

 

Offen­sichtlich ste­ht in diesem Fall die spez­i­fis­che Wahrnehmung der Gruppe der Ruß­land­deutschen quer zur sozialen Kon­struk­tion des “ide­alen Opfers”, welch­es im Regelfall von einem unbekan­nten, kör­per­lich über­lege­nen Täter ange­grif­f­en wird, obwohl das Opfer alles gemacht hat diesen Angriff zu ver­hin­dern. Auch sollte ein “ide­ales Opfer” sich wed­er dem Täter gegenüber pro­voka­tiv ver­hal­ten haben, noch sich an einem unsicheren Ort aufge­hal­ten haben. Beim Ein­tr­e­f­fen der Polizei sollte sich das Opfer koop­er­a­tiv zu den Erm
ittlungs­be­hör­den verhalten.

 

Offen­sichtlich sind bei der Zubil­li­gung des Opfer­sta­tus solche Aspek­te entschei­dend. Antworten von Seit­en der Anwohn­er wie “die sind ja sel­ber schuld, wenn sie ange­grif­f­en wer­den” sind eher die Regel, als die Aus­nahme. Doch bee­in­flußt diese Bild nicht nur die Bevölkerung Witt­stocks, son­dern ist auch unter AntifaschistIn­nen ein weit ver­bre­it­etes Argu­ment. “Die Aussiedler wehren sich wenig­stens, die haben was drauf”. Woher diese Zuschreiben kom­men und welchen empirischen Gehalt sie aufweisen bleibt zu bezweifeln.

 

Geschürt wur­den in Witt­stock solche Argu­men­ta­tio­nen auch durch einen Teil der Medien.
So schrieb der Spiegel Redak­teur Hol­ger Stark in einem Beitrag über Witt­stock von ein­er “sibirischen Selb­stjus­tiz”, vor der selb­st die Recht­en Angst hät­ten. Operierend mit dem Bild des “kräfti­gen Kasachen” kon­stru­iert er einen Ban­denkon­flikt zwis­chen Spä­taussiedlern und der örtlichen recht­en Szene (vgl. Spiegel 27/02). Die Diskurse über den “kräfti­gen Kasachen” und die “sibirische Selb­stjus­tiz” sind älteren Ursprungs und lassen sich auf die nation­al­sozial­is­tis­che Pro­pa­gan­da und die Zeit nach 1945 zurück­führen, in der sys­tem­a­tisch Angst vor den Russen und später vor den Besatzungsmächt­en geschürt wurde.

 

Zwischenbilanz

 

Durch den Tod von Kajrat B. sind die Fun­tion­sträger der Stadt aufgewacht. Es ist eine Sit­u­a­tion einge­treten, in der das Aus­maß recht­sex­tremer Angriffe nicht mehr ver­harm­lost wird und gle­ichzeit­ig seit­ens der Stadt anerkan­nt wird, dass es jahre­lang ver­nach­läs­sigt wurde Inte­gra­tions­maß­nah­men anzu­bi­eten und Kon­takt zu den Spä­taussiedlern aufzubauen. Von Seit­en der rus­sisch ‑deutschen com­mu­ni­ty wird die Notwendigkeit ein­er Inter­essensverte­tung anerkan­nt, es gibt Ver­suche der jugendlichen Spä­taussiedler für einen eige­nen Club zu kämpfen. Kri­tisch bleibt anzumerken, dass ein Bünd­nis ohne antifaschis­tis­che Jugendliche, Basisini­tia­tiv­en und Betrof­fene ras­sis­tis­ch­er Gewalt, der eige­nen Beschränk­theit zwis­chen pro­fes­sioneller Jugen­dar­beit und dem Anse­hen der Stadt aus­ge­set­zt ist.

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