In den frühen Morgenstunden des 13. Februars 1999 wurde der Algerier Farid Guendoul von einer Horde Neonazis in Guben in den Tod gehetzt. Das Outing des Top-Informanten des Brandenburger Verfassungsschutzes, Tino Stadler, in diesem Sommer und intensive Recherchen von AntifaschistInnen der vergangenen Monate stellen nicht nur wiederholt die Frage nach dem Ziel und damit dem Sinn der Arbeit des Verfassungsschutzes. Sie verdeutlichen auch, wie die Gubener Naziszene und auch die bundesdeutsche Nazimusikproduktion von öffentlichen Amtsträgern sorgsam gehätschelt, unterstützt und ausschließlich beobachtet wurde.
Der Verfassungsschutz und Guben
Was nach der Todeshatz auf Farid Guendoul folgte, waren die fast gängigen Beschwichtigungen, Abwiegelungen und Schuldverdrehungen. Guben sei keine Hochburg der Rechten, sagte etwa die Polizei. Jegliche Vernunft entschwand damals dem Bürgermeister von Spremberg, Egon Wochatz, der in einem Interview fragte, was Farid Guendoul “denn nachts auf der Straße zu suchen [hatte]?”.
Die fast schon üblichen Forderungen nach verstärkter Polizeipräsenz endeten mit dem verstärkten Ausbau von Sondereinheiten der Polizei, etwa der MEGA. Dass seit Gründung derartiger Einheiten die Zahl rechtsextremer Gewalttaten trotzdem gestiegen ist, ist ein Hinweis auf deren unbrauchbares Repressionskonzept. Reine Augenwischerei waren schließlich die Pläne vom Polizeipräsident Jürgen Lüth, der Anfang 2001 mit der Gründung von polizeilichen Projektgruppen in Guben und Cottbus den “gläsernen Neonazi” schaffen wollte. Diesen durchschaubaren Nazi gab es nämlich schon lange vorher, zumindest in den Rechnern des Verfassungsschutzes. Denn schon vor Stadler gab es mindestens zwei V‑Leute in der Cottbus-Gubener-Naziszene, die ab Mitte der 90er Jahre detaillierte Informationen an staatliche Stellen weitergaben.
Die Sozialarbeit und Guben
Der Chefsozialarbeiter von Guben, Ingo Ley, warnte nach der Todeshatz stattdessen vor “militanten Autonomen” und “bezahlten Profikillern”, welche nun führende Nazis in Guben “einfach abknallen” könnten. Gerade Ley kann als einer der führenden Züchter des örtlichen Nazibiotops bezeichnet werden. Als Sozialarbeiter ohne sozialpädagogische Ausbildung betreute er spätestens ab Mitte der 90er Jahre in AgAG-Manier die neonazistischen Jugendcliquen. Dabei verfügte er auch über enge Kontakte zum Brandenburger Verfassungsschutz, welcher über ihn Einfluss auf die Jungnazis nehmen wollte.
Eine der psychologischen Folgen von Leys Betreuung war, dass sich die Jugendlichen gestärkt und bestätigt in ihrem Denken und Handeln fühlten. Dies erzählte uns bei unseren Recherchen ein Jugendlicher von damals. Ley soll dafür gesorgt haben, dass die Jugendcliquen in öffentliche Jugendclubs hineinkamen und dort — quasi als positiven Nebeneffekt — noch neue Jugendliche anwerben konnten. “Dadurch dass man uns dazu motiviert hat, praktisch reingeschubst hat, in die öffentlichen Einrichtungen, haben wir noch mehr Einfluss auf die anderen Jugendlichen bekommen.”
Die akzeptierende und unterstützende Sozialarbeit von Ley ging soweit, dass er bei den wöchentlichen, strömungsübergreifenden Führungstreffen der Gubener Naziszene mit am Tisch saß und schweigend zuhörte. Dort saßen beispielsweise auch Christian Wendt, damals noch Kader der 1997 aufgelösten Die Nationalen e.V., und die später “entscheidenene Figur” (O‑Ton Gericht) am Tod von Farid Guendoul, Alexander Bode.
Neonazis und Guben
Der Neonazi Christian Wendt, der Ende 1991 stellvertretender Vorsitzender des FAP-Landesverbandes Berlin wurde, begab sich bereits Anfang der 90er Jahre nach Guben, um dort rechte Aufbau- und Sozialarbeit für und mit rechten Jugendlichen zu machen. Er organisierte Fußballturniere und andere Freizeitaktivitäten und wollte ein “Nationales Jugendzentrum” durchsetzen. Deswegen nahm er als Stellvertreter für die rechten Jugendlichen am “Runden Tisch” der Stadt Guben teil, wo er teilweise drohend seine Forderungen vortrug. Später kamen dann auch Schulungsveranstaltungen hinzu, welche regelmäßig im Klub “Junge Welt” stattfanden. Diese wurden maßgeblich von Wendt und dessen politischen Ziehvater, Frank Schwerdt, organisiert. Beide, Wendt und Schwerdt, stehen für die Organisierung und Schulung der örtlichen Naziszene. Eine derartige Veranstaltung zur verbotenen Wiking-Jugend sollte von Wolfgang Nahrath bestritten werden, die jedoch von der Polizei unterbunden wurde. Nahrath hielt dennoch eine kurze Rede, die er nach Aussage eines Augenzeugen mit den Worten “Heil Hitler” beendet haben soll.
Der V‑Mann “Toni Turnschuh”
Häufiger Gast bei derartigen Veranstaltungen in der “Jungen Welt” war Toni Stadler, der jüngst geoutete Spitzeninformant des Brandenburger Verfassungsschutzes. Schenkt man einem Bekannten von ihm Glauben, dann war er “Anfang der 90er Jahre bis zu bis zum ihrem Verbot in der FAP aktiv und pflegte bis heute regen Kontakt zu dem Kreis um Lars Burmeister”.
Innerhalb der Gubener Naziszene galt Stadler als derjenige mit den meisten Kontakten, so u.a. zu den Nazibands Nordwind und Frontalkraft, zum verstorbenen Daniel Eggers und zur sächsischen Führungsriege der Wanderjugend Gibor (WJG). Stadler warb denn auch regelmäßig für deren Aktionen in der Gubener Szene. Selbstverständlich nahm er auch mehrmals an den Aktivitäten der WJG teil, deren ideologischen Ansprüchen er jedoch nicht immer genügen konnte. Deswegen wurde für ihn eigens das Spottlied “Toni Turnschuh” gedichtet.
Ab 1997 war Stadler als Obergefreiter a.D. ebenfalls offizieller Ansprechpartner der Reservistenkameradschaft (RK) der Bundeswehr in Guben. Szeneintern bewarb Stadler die Aktivitäten der RK u.a. damit, dass man häufiger auf die Schießplätze der Bundeswehr fahre und Schießübungen abhalte. Der heutige Vorsitzende der RK ist Alexander Franz, ein Rechtsanwalt aus ????, der auch Toni Stadler in zivilrechtlichen Dingen berät. Und zumindest 1998 nahm Franz ebenfalls an einem Ausflug der Wanderjugend Gibor teil.
Nicht zuletzt war Stadler der szenebekannte Ansprechpartner für die Beschaffung jeder Art neonazistischer Musik. Wer was wollte, egal ob legal oder illegal, ging zum “Toni”. Handelte der anfangs eher mit Raubkopien, soll er später die Original-CDs “waschkörbeweise” zu Hause gehabt haben. Alle in der rechten Szene wussten das. Und natürlich auch der Verfassungsschutz, der ihn schon damals auf dem Kicker hatte.
Hinzu kommt, dass Stadler über die Versandliste des von ihm betriebenen Ladens “Hatecrime” (früher Top-One) auch indizierte CDs anbot. Hierzu zählten diesen Sommer beispielsweise .… Ein derartiger offener Umgang ist wohl nur möglich, wenn man sich sicher fühlen kann und wenig Angst vor Strafverfahren und Gerichtsprozessen hat.
Über den genauen Anwerbezeitpunkt von Stadler durch das Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz ist nichts Handfestes bekannt. Die veröffentlichten Daten widersprechen sich — in der Diskussion steht 2000/2001 — und auch der vermeintliche Grund von Stadlers Mitarbeit — ein Verkehrsdelikt — wirkt nicht überzeugend. Stadler war schon in den 90er Jahren in Verkehrsdelikte verwickelt und auch das schon erwähnte, sehr laxe Verhalten bei seinen strafrelevanten Aktivitäten schließt a
ndere Anwerbezeitpunkte nicht aus. Auch gab Stadler in seiner Vernehmung nach der Festnahme an, dass er seinen “Handel niemals in so einem großen Stil aufgezogen [hätte]”, wenn ihm nicht — mit Rückendeckung des Leiters des Brandenburger Verfassungsschutzes Heiner Wegesin — “Straffreiheit bei einem eventuellen Verfahren zugesichert worden wäre.”
Wie viele V‑Leute braucht man, um eine Nazi-CD zu produzieren?
Fakt ist, dass Stadler als V‑Mann gemeinsam mit dem V‑Mann Mirko Hesse an der Herstellung der Landser-CD “Ran an den Feind” und die White Aryan Rebels (WAR) ‑CD “Noten des Hasses” beteiligt war. Beide CDs kann man — zynisch formuliert — inzwischen als Produktionen der Verfassungsschutzbehörden bezeichnen. Zwei der drei bekannt gewordenen Ersteller der “Noten des Hasses” waren V‑Leute und der dritte — der mutmaßliche WAR-Sänger Lars Burmeister — konnte nach seiner Festnahme mit ausgesprochen nachsichtigen Richtern rechnen.
Burmeister begann seine Karriere als Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der inzwischen verbotenen FAP. 1992 war er an einem Überfall auf eine Gruppe Linke beteiligt, in dessen Folge eines der Opfer bis heute sehbehindert ist. Folgen hatte dies erst mal nicht. Im August 1995 nahm die norwegische Polizei Burmeister in Hokksund fest, da gegen ihn ein internationaler Haftbefehl wegen des Angriffes 1992 vorlag. Bis dahin lebte der Berliner schon einige Zeit in Norwegen und knüpfte vielfältige Kontakte zu führenden Aktivisten der norwegischen Neonaziszene. Hierzu zählen etwa der überführte Bombenbastler Ole Krogstad, einer der führenden Vertreiber neonazistischer Musik in Norwegen.
Knapp fünf Monate nach seiner Festnahme wurde Burmeister nach Deutschland ausgeliefert, wo er sich aber einige Monate später ohne eine Verurteilung schon wieder auf freiem Fuß befand. Zu jener Zeit beteuerte er auch vor Gericht seinen Ausstieg aus der Nazi-Szene, um dreist einige Wochen später an einer Nazidemo vor eben diesem Gericht teilzunehmen. Er bekam insgesamt acht Monaten auf Bewährung wegen des schweren Angriffes von 1992.
Später engagierte sich Burmeister in der Berliner Kameradschaftsszene, u.a. bei der Weißen Arischen Bruderschaft (WAB), und produzierte gemeinsam mit Stadler und Hesse die WAR-CD “Noten des Hasses”. Am 20. Juli wollten sich Stadler, Burmeister und Thomas Persdorf bei einem, von der Polizei verhinderten Konzert im WAB-Klubhaus in Berlin-Marzahn treffen, um eine Neuauflage der WAR-CD zu planen.
Burmeister kam in Untersuchungshaft, gegen ihn wurde wegen der Herstellung und Verbreitung der “Noten des Hasses” ermittelt. Doch auch hier kam er auf mysteriöse Art mit einer weiteren Bewährungsstrafe davon. Sein Haftprüfungstermin am 9. September 2002 wurde in eine Hauptverhandlung umgewandelt. Er gestand seine Beteiligung an der Herstellung und Verbreitung der CD. Für das Gericht sprachen aus der “umfassenden Geständigkeit” von Burmeister “glaubhaft Einsicht und Reue”. Somit bekam er 22 Monate, selbstverständlich auf Bewährung.
Resümee
Guben und die Erstellung bundesweit bekannter Neonazi-CDs sind zwei Beispiele für staatliche Nazischutzgebiete. Diese braunen Biotope wurden von Verfassungsschutzämtern jahrelang infiltriert und beobachtet. Doch wofür? Die Verfassungsschutzbehörden haben damit keinen rassistischen Mord verhindert. Mit Stadler und Hesse waren mindestens zwei Informanten von Verfassungsschutzbehörden aktiv an der Produktion der CD “Ran an den Feind” der neonazistischen Band Landser beteiligt. Die rassistischen Lieder dieser neonazistischen Band bildeten den musikalischen Background der drei Nazis, als sie im Sommer 2000 Alberto Adriano im Dessauer Stadtpark erschlugen. Und auch in der Nacht der Todeshatz auf Farid Guendoul schallte die rassistische Botschaft von Landser aus den Autos der Verfolger um Alexander Bode. Eine halbe Stunde später war Farid Guendoul verblutet.