BERLIN Ihre Feinde hatten sie gewarnt. Da war dieses Graffiti. “Schramm, wir
kriegen Dich”, hatte jemand in roter Farbe an eine Hauswand in Rudow
gesprüht. Irmela Mensah-Schramm hat die Drohung ignoriert. Sie hat ihre
Farbdose, den Spachtel und den Fotoapparat in den Jutebeutel gesteckt und
hat wieder die U‑Bahn nach Rudow genommen.
Es war Bundestagswahlkampf, Rudow hing voller Wahlplakate. 250
ausländerfeindliche Aufkleber hatte sie erst am Wochenende zuvor in diesem
Kiez entfernt, der als Hochburg der rechten Szene gilt. Jetzt waren die
Sticker alle wieder da. Einer klebte auf einem roten Ampellicht. Der Kleber
war noch frisch, ein Griff reichte, und sie zog sie ab.
Plötzlich stand da dieser Motorradfahrer vor ihr, neben dem Eingang zur
Kleingartenkolonie “Ewige Heimat”. Er trug eine schwarze Lederkluft und
einen Helm, er klappte das Visier hoch, sie sah in ein Gesicht, das rot war
vor Wut. “Was fällt Dir ein?”, brüllte der Mann, “kleb den Sticker wieder
dran!” Als sie keine Anstalten machte, stieg er auf seine Maschine, steuerte
auf sie zu und gab Gas.
Es ist das erste Mal, dass sie bedroht wurde
Sie weiß noch genau, wie sie brüllte: “Ich rufe die Polizei.” Wie der Mann
dann ebenso schnell verschwand, wie er gekommen war. Und wie sie sich, vor
Angst zitternd, erstmal auf den Bordstein setzen musste. Es war nicht das
erste Mal, dass sie bedroht wurde.
Irmela Mensah-Schramm vernichtet rechtsextreme Aufkleber und übertüncht
faschistische Graffiti — mit unerbittlicher Gründlichkeit. Ebenso gründlich
dokumentiert sie ihre Arbeit, fotografiert die rechtsradikale Propaganda
und, wenn es geht, auch die Menschen, die sie verbreiten. Ihre Aufnahmen
füllen inzwischen 25 Leitz-Ordner. Eine Auswahl davon stellt sie landauf,
landab in Schulen, Kirchen und Museen aus. Überwiegend in den neuen
Bundesländern, dort, wo Rechtsextremisten den Einzug in den Landtag
geschafft haben. Der Brandenburgische Verfassungsschutz hat ihr sogar schon
Fotos abgekauft.
Für ihr unermüdliches politisches Großreinemachen hat Irmela Mensah-Schramm
schon Auszeichnungen eingeheimst. Soeben hat ihr der Dresdener Presseclub
den mit 10 000 Euro dotierten Erich-Kästner-Preis verliehen, für ihre
Zivilcourage. Ihr Name steht jetzt in einer Reihe mit dem von Richard von
Weizsäcker und Hans-Dietrich Genscher. Doch in Wahrheit ist es ein einsamer
Kampf, den sie austrägt, mitunter gegen die eigene Angst. Dass sie einmal
sprichwörtlich unter die Räder geraten könnte, darauf war sie nicht gefasst.
Vor einiger Zeit ist sie wieder mal mit der Polizei aneinander geraten. In
der S‑Bahn nach Tempelhof hatte jemand “Sieg heil!” aufs Polster geschmiert.
Sie zückte einen Kuli , um die Parole unkenntlich zu machen. Die
Stationsaufseherin, die sie dabei beobachtete, rief die Polizei. Unglaublich
findet Irmela Mensah-Schramm diese Reaktion. Wohl wissend, dass sie das
Gesetz auf ihrer Seite hat. Die Anzeigen, die sie in ähnlichen Fällen wegen
Sachbeschädigung kassiert hat, blieben alle ohne Folge. Warum, hat ihr ein
Polizist einmal so erklärt: “Beschädigte Sachen kann man nicht beschädigen.”
Von der Polizei fühlt sie sich nicht ernst genommen
Von Skins bedroht, von Anwohnern beschimpft, von der Polizei nicht ernst
genommen: Man braucht ein großes Ego, um gegen diesen Strom zu schwimmen.
Irmela Mensah-Schramm fragt: “Wenn ich es nicht tue, wer tut es dann?”
Sie hat sich die Frage zum ersten Mal 1986 gestellt, es war ein Tag im
August. Auf dem Weg zur Arbeit wollte sie gerade in einen Bus steigen, als
ihr Blick auf einen Aufkleber an der Haltestelle fiel. “Freiheit für Rudolf
Heß” stand da. Der ehemalige Hitler-Stellvertreter saß damals noch in
Spandau im Gefängnis.
Auf dem Rückweg hing der Sticker noch immer da, Irmela Mensah-Schramm, in
zweiter Ehe verheiratet mit einem Ghanaer, aktiv in der Friedensbewegung,
hat nicht lange überlegt, sie hat ihn einfach abgeknibbelt. Es sei
befriedigender gewesen, als sich in eine Lichterkette gegen
Ausländerfeindlichkeit einzureihen, erinnert sie sich. “Hinterher ging es
mir irgendwie besser.”
Ihr Kampf hat sie getragen. Auch Anfang der 90er Jahre, als sie sich einer
Krebsoperation unterziehen musste. Jetzt, mit knapp 60, ist sie zwar in den
Ruhestand gegangen, hat aber über ihr Engagement noch immer keine Zeit
gefunden, Fenster zu putzen, in ihrer Dreizimmerwohnung.
Eine Woche nach dem Vorfall mit dem Motorradfahrer ist sie noch einmal zur
Kleingartenkolonie “Ewige Heimat” nach Rudow zurückgekehrt. Sie wollte sich
noch einmal den Tatort anschauen. Auf einem Schild hatte der Mann eine
Nachricht für sie hinterlassen: “Hier regiert die NPD.”