Ungefähr 500 Menschen demonstrierten am Samstag, den 13. September 2008, unter dem Motto der Kampagne “Keine Stimme den Nazis!” in der Brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam gegen die Versuche von (neo)nazistischen Parteien und Organisationen mittels der Teilnahme an politischen Wahlen langfristig rassistisch, antisemitisch und völkisch ideologisierte Strukturen auch auf kommunalpolitischer Ebene zu etablieren und legislative Gremien zu besetzen.
Die Demonstration führte dabei durch die Potsdamer Plattenbauviertel “Am Stern” und “Drewitz”, in denen es immer wieder Probleme mit gewaltbereiten (neo)nazistischem Milieu gibt. Absicht der Veranstalter war hierbei gewesen, ein Beispiel für die vielen Orte im Land zu wählen, in der sich der Herausforderung des (Neo)nazismus gestellt werden muss. So wurden während der Veranstaltung auch diverse Gastbeiträge verlesen, die ähnliche Eindrücke auch aus anderen Brandenburgischen Städten vermittelten.
In der Kampagne “Keine Stimme den Nazis!” sind zurzeit 40 Initiativen integriert, die sich zum Ziel gesetzt haben über Ideologien und Gefahren des heutigen (Neo)nazismus zu informieren sowie durch vielfältige Aktionen an die Vernunft der Wähler_nnen zu appellieren.
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Redebeitrag der Antifa Westhavelland:
Liebe Freunde und Genossen, liebe Zuhörer
Wir demonstrieren hier und heute in der Landeshauptstadt gegen die Versuche von (Neo)nazis aus parteigebunden und freien Kräften mittels der Teilnahme an politischen Wahlen Macht und Einfluss in unserer Gesellschaft zu erlangen.
Anlass für unsere Veranstaltung sind die am 28. September 2008 im Land Brandenburg stattfindenden Abstimmungen zur Bestätigung bzw. Neubesetzung der Stadt – und Kreisparlamente, zu denen auch die (neo)nazistischen Parteien NPD und DVU arbeitsteilig Kandidaten in den einzelnen Landesregionen aufgestellt haben.
Ich spreche hier für die Antifa Westhavelland und möchte in unserem Redebeitrag insbesondere auf die dortige Lage und das vor Ort operierende (neo)nazistische Milieu eingehen.
Bereits in der sich auflösenden DDR entwickelten sich in der Zeit zwischen 1989 und 1990 vor allem in den Städten Rathenow und Premnitz die (neo)nazistischen Gruppierungen, die vor allem durch ihre plebejischen Interpretation von „politischer Arbeit“, sprich: brutaler Straßenterror und Verbreitung von NS Propaganda nach Vorbild der historischen SA, bis in die heutige Zeit die „Avantgarde“ des Milieus bilden.
Erst mit der Zeit entwickelten sich aus den Schlägertrupps, bedingt durch die Erfahrungen aus kollektiven Aktionen, Schulungen sowie auch altersmäßige Weiterentwicklung organisierte Kameradschaften, die einen dominierenden Einfluss nicht mehr nur in Jugendclubs, Diskotheken oder im Stadion sondern auch in Vereinen, Firmen oder auf kommunaler Ebene suchten.
Ausdruck dieser Entwicklung war im Westhavelland die spätestens im Jahr 2000 gegründete und vereinsmäßig organisierte Kameradschaft „Hauptvolk“ zu der sich in dieser Region bis zu 60 Mitglieder selbstbewusst mit eigener Mode und ähnlichen Accessoires bekannten.
Außerhalb der Region öffentlich zunächst kaum beachtet, hatte die Kameradschaft in Rathenow und Premnitz über die Jahre eine Parallelwelt mit eigener Infrastruktur aufgebaut, die dass Milieu, zum Teil mit Unterstützung der verbotenen Blood & Honour Strukturen aus dem Magdeburger und Mittelmärkischen Raum mit NS Propaganda, Nazirock und entsprechenden Devotionalien versorgte.
Ab 2004 drängte sich die Kameradschaft „Hauptvolk“ sowie ihre Unter – und Nebenorganisationen bzw. deren Mitglieder auch immer mehr in den öffentlichen Raum, nahmen an (Neo)naziaufmärschen im gesamten ostdeutschen Raum teil oder spielten mit eigenen Fußballmannschaften im regionalen Ligabetrieb mit.
Nur durch die stetige Antifaschistische Aufklärungsarbeit, mit deren Ergebnissen sich zwangsläufig auch Polizei, Staats – und Verfassungsschutz auseinandersetzen mussten, um sich im „toleranten“ Brandenburg nicht unmöglich zu machen, gelang es schließlich die Aktivitäten der Hauptvolk — Struktur zumindest im öffentlichen Raum im April 2005 durch ein vom Innenministerium beantragtes und verwaltungsgerichtlich abgesegnetes Verbot zu sanktionieren.
Die Zerschlagung der über Jahre aufgebauten (Neo)nazistruktur gelang den Behörden jedoch nicht.
Seit dem Jahr 2005 ist nun die wieder aufstrebende NPD, hier wie auch in anderen Regionen, bemüht, die Kader von verbotenen und aufgelösten so genannten „freien Kräften“ in ihren Parteiapparat zu integrieren, in dem sie an die bisher kameradschaftlich organisierten Aktionen zu bestimmten geschichtlichen Anlässen oder auf deren starkes Interesse an Nazirock, Mannschaftssport oder Ähnlichem eingeht.
Die Entwicklung der NPD im Westhavelland verlief dadurch seit dem durchaus progressiv. So wurde der vorhandene Stützpunkt Rathenow zum Stadtverband erweitert und der Kreisverband Havel Nuthe maßgeblich durch Mitglieder aus dem havelländischen Raum reaktiviert.
Die gestärkte Parteistruktur, die seit 2005 zahlreiche Veranstaltungen und Aktionen in den Stadt – und Landkreisen Havelland, Brandenburg/Havel und Potsdam – Mittelmark durchführte, konnte oder wollte jedoch, vermutlich aufgrund der kriminellen Vorbelastung führender Mitglieder sowie deren Tätigkeit für verbotene Organisationen, kaum geeignete Kandidaten für die Kommunalwahlen am 28. September 2008 finden.
Selbst der Vorsitzende des NPD Kreisverbandes Havel Nuthe, Michel Müller, kann oder will nicht kandieren, da er wegen Beihilfe zum versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung bis vor zwei Jahren noch eine Gefängnisstrafe verbüßte und obendrein noch Führungskader beim “Hauptvolk“ war.
Von den vier Kandidaten die am 28. September 2008 in je einem Wahlbezirk des Landkreises Havelland für die NPD antreten um im künftigen Kreistag in Rathenow den Fraktionsstatus zu erhalten, haben auch nur drei eine Anschrift im Westhavelland, der Vierte stammt aus Nauen.
Ein näherer Hinblick offenbart jedoch außerdem, dass zwei der vier Kandidaten, René Schieske aus Stendal und Christian Schuh aus Brandenburg, aus Nachbarregionen importiert werden mussten, um die Misere an geeigneten Personal im Kreisverband Havel Nuthe zu vertuschen.
Lediglich Dieter Brose, Mitglied des NPD Stadtverbandes Rathenow und Spitzenkandidat für den Wahlkreis 1 (Rathenow), stammt aus dem ca. 20 km von Rathenow entfernten Nennhausener Ortsteil Liepe und ist als „netter“ älterer Herr der einzige NPDler aus dem Westhavelland, der für eine Kandidatur im Kreisparlament unverfänglich scheint.
Bei dem vierten Kandidaten handelt es sich um Maik Schneider aus Nauen, der auch für die Wahlen zur Nauener Stadtverordnetenversammlung antritt. Schneider trat bereits wegen des Verwendens von NS Symbolen in Erscheinung und ist seit spätestens 2006 regelmäßig bei (Neo)naziveranstaltungen zu bemerken.
Zu dem soll er der Führungsriege des (neo)nazistischen „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) in Berlin und Brandenburg anhören.
Trotz der eher mäßigen Kandidatenauswahl hat die NPD jedoch gute Chancen in der nächsten Legislaturperiode im havelländischen Kreistag vertreten zu sein, da im Rückblick auf die Anzahl der Stimmabgaben bei den vorangegangenen Wahlen ein Personenkreis, der einen Stimmenanteil von ungefähr 5 % ausmacht, stets braun wählt.
Mit einem möglichen Einzug der NPD in das Kommunalparlament wür
de dem westhavelländischen (Neo)nazimilieu eine neue Tür offen stehen, um ihre von Rassismus und NS Verherrlichung geprägten völkischen Ideologie nicht nur zu verbreiten, sondern auch durch die Mitwirkung ihrer dann parlamentarischen Mittelsmänner in Ausschüssen regional zu verankern.
Es ist das Konzept der NPD hier langfristig Strukturen zu schaffen und diese zu etablieren.
Unser Konzept soll es sein, diese Strategie durch unser Engagement und unsere Kraft kontinuierlich und durch vielseitige Möglichkeiten, auch und insbesondere in Interaktion mit anderen gesellschaftlichen Kräften, entgegen zu wirken.
Am 28. September 2008 haben wir gemeinsam eine Chance zu entscheiden.
KEINE STIMME DEN FASCHISTEN!!!!!!!