POTSDAM Ali Ibrahim weiß nur noch wenig von dem Tag, an dem er fast
erschlagen worden wäre. Nicht einmal an die leere Bierflasche, die der
22-jährige David E. am 3. August 2002 auf dem Kopf des Mosambikaners
zertrümmerte, kann sich der 38-Jährige erinnern. Auch nicht an die
Worte des
Schlägers, die Ibrahim wenige Stunden nach der Tat der Polizei zu
Protokoll
gegeben hatte: “Du Neger, du schwarze Sau, du Negersau.” Ali Ibrahims
Konzentration habe seit seinem Martyrium “stark nachgelassen”,
berichtete
seine Bekannte Christa M. gestern im Zeugenstand des Potsdamer
Landgerichts.
“Er vergisst alles”, sagte die 68-Jährige. Dazu komme seine panische
Angst.
In der Dunkelheit verlasse er das Haus nie mehr allein, in seinem
Zimmer
schließe er sich ein, immer wieder springe er auf und rüttele an der
Türklinke. 13 Jahre kennt Christa M. den Mann aus Mosambik inzwischen.
Doch
als sie ihn am Tag der Tat im Ludwigsfelder Krankenhaus besuchte,
traute sie
ihren Augen nicht. “Der Kopf war doppelt so groß wie normal, ich hätte
ihn
nicht erkannt, ich sah nur, dass es ein Afrikaner war.” “Guten Tag”,
sagt
Ibrahim, als er den Gerichtssaal betritt. Er nickt freundlich zu den
Bänken
der Zuschauer. Seine Peiniger mussten den Verhandlungssaal zuvor
verlassen.
Die Begegnung mit den jungen Angeklagten könnte das Opfer erneut
traumatisieren, begründet der Vorsitzende Richter, Klaus Przybilla, den
Beschluss der Jugendgerichtskammer. Am zweiten Tag des Prozesses, in
dem
David E. und vier Jugendliche aus Ludwigsfelde wegen versuchten Mordes
angeklagt sind, rundet sich das Bild vom Tag der Tat nur langsam ab.
Deutlich wird schließlich dennoch, dass Ibrahim von seinen Peinigern
offenbar in eine Falle gelockt wurde: Er sei nachts allein zu einem
Billardsalon unterwegs gewesen, als David E. und der 16-jährige Daniel
L.
ihn ansprachen. Am Waldstadion, meinten sie, werde eine Party mit Musik
gefeiert. Zahlreiche Ausländer seien ebenfalls dort. Ibrahim ahnte
nichts
Gutes, ging aber widerwillig mit. “Keiner tut dir was”, beruhigten ihn
die
beiden jungen Männer, während sie ihn, einer links, einer rechts,
sozusagen
abführten. Zunächst habe er Hilfe rufen wollen, “aber da war niemand”.
Der
Weg endete im Wald, die Party war erlogen, Ibrahim wurde geschlagen,
getreten, stundenlang — er verlor das Bewusstsein. Als er neun Stunden
später, gegen 14 Uhr, auf der Toilette des nahen Ärztehauses erwachte,
nackt, wusste er nicht, wie er dort hingelangt war. Ali Ibrahim
bedeckte
seine Scham mit Toilettenpapier und schleppte sich zum Krankenhaus.
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