Nach dem grauenvollen Mord an dem 17-jährigen Schüler Marinus Schöberl im Vorjahr in Potzlow (Uckermark) ist dem Jugendklub des Ortes vorgeworfen worden, sich indifferent gegenüber rechtsradikalen Jugendlichen verhalten zu haben. Mit dem Leiter des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Land Brandenburg, Wolfram Hülsemann, sprach Klaus Bischoff über Chancen und Grenzen der Jugendarbeit.
Haben die Verantwortlichen des Potzlower Jugendklubs einfach weggeschaut?
Hülsemann:
Nein, das haben sie nicht. In diesem Haus wird professionell und mit hohem Engagement gearbeitet. Rechtsextremismus wird dort weder gefördert noch toleriert. Die Vorwürfe, die nach dem Mord an Marinus erhoben wurden, entbehren jeder Grundlage.
Dürfen Jugendhäuser ihre Türen für Rechtsextremisten öffnen und wenn ja, wie sollen diese jungen Leute dort behandelt werden?
Hülsemann:
Rechtsextremisten, die in einer Partei oder Kameradschaft organisiert sind, haben in einem Jugendklub nichts zu suchen. Denn sie kommen dort nicht hin, weil sie arglos ihre Freizeit verbringen wollen — sie kommen als Propagandisten. Diese Leute müssen ausgegrenzt werden. Genau genommen grenzen sie sich selbst aus. Mehr oder weniger diffus rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen dagegen müssen wir wie allen Heranwachsenden mit Einfühlungsvermögen, Anerkennung und Wärme begegnen. Gleichzeitig müssen wir sie mit ihrer Haltung konfrontieren, über die sie in den seltensten Fällen nachgedacht haben. In Gesprächen etwa über die Geschichte ihres Dorfes und seiner Bewohner oder wenn es um alltägliche Fragen geht, können da manche Anknüpfungspunkte auftauchen. Bei all dem steht außer Frage, dass jeder Besucher des Klubs die — auch unter Mitwirkung von Vertretern der Jugendlichen — festgelegten Regeln des Hauses einzuhalten hat. Es darf natürlich keine Nazi-Agitation geben, die Musik dieser Szene wird nicht gespielt, bestimmte martialische Kleidung nicht getragen.
Kann es den Sozialarbeitern gelingen, die Szenen fremdenfeindlicher Radaubrüder aufzubrechen?
Hülsemann:
Die Jugendarbeit ist nicht die Reparaturbrigade der Nation. Eine sich aus demokratischen Wertvorstellungen ableitende Jugendarbeit darf die jungen Leute pädagogisch nicht erdrücken, also überpädagogisieren, wie das häufig in der DDR geschah. Sozialarbeiter sind keine außerschulischen Zuchtmeister. Sie respektieren in einem hohen Maße die Selbstbestimmung der jungen Menschen, tragen ihrem Autonomiebedürfnis Rechnung. Wirklich erfolgreich ist das aber nur, wenn auch die Elternhäuser und die Schule ihrer Verantwortung nachkommen. Alle — und darauf kommt es mir an — Eltern, Lehrer und Jugendpädagogen, müssen eine wichtige Frage stellen: Sichert das gegenwärtige politische Handeln auf sämtlichen Ebenen der heranwachsenden Generation erkennbare Perspektiven?
Manche Berliner haben, wenn sie ins Umland fahren, Angst vor rechtsradikalen Schlägern. Geht es in Ostdeutschland so gewalttätig zu oder ist das ein Klischee?
Hülsemann :
Es ist leider so: Die Gefahr Opfer einer Straftat zu werden, bleibt für fremd, für nicht normgerecht Erscheinende im Osten größer als im Westen. Wenngleich das Risiko statistisch auch in Brandenburg minimal ist. Zudem gehen die Täter im Osten oftmals brutaler als im Westen vor. Was mich besonders bedenklich stimmt: Zu wenige Menschen erregen sich über Taten dieser Art. Viele nehmen Übergriffe einfach hin, scheinen abgestumpft, zeigen keine Empfindung, keine Regung für das Opfer, dessen Leben beschädigt oder gar ausgelöscht wird.
Es gibt die Aktion Tolerantes Brandenburg, die Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule, das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, den Landespräventionsrat und kommunale Koordinatoren. Ist das nicht ziemlich viel Aufwand für ein eher mageres Ergebnis?
Hülsemann:
Da sollten Sie nicht alles in einen Topf werfen. Jedes Bündnis, jede Institution hat eigene Aufgaben. Das aus Kirchen, Verbänden und Gewerkschaften bestehende Aktionsbündnis etwa macht deutlich, was in diesem Lande gelten soll, ermutigt zu demokratischer Mitverantwortung gegen das Erstarken von Rechtsextremismus und Rassismus. Und es zeigt auf, wo die Grenzen der Toleranz liegen. Unser Mobiles Beratungsteam ermutigt Kommunen, Verbände und Schulen vor Ort in ihrem demokratischen Engagement, oftmals in konfliktreichen Situationen.
Ist es denn wenigstens an einigen Orten gelungen, mit der Dominanz der Rechtsextremisten aufzuräumen?
Hülsemann:
Ja, gewiss. Wir sind weiter als vor einigen Jahren. Wo eine starke rechte Szene existiert, gibt es vermehrt eine Gegenbewegung. Zum Beispiel haben Lübbener Jugendliche gesagt: Wir überlassen unsere Stadt nicht den Rechtsradikalen. Sie haben sich mit Erwachsenen zusammengetan, sind öffentlich aktiv geworden und haben das Klima in der Stadt spürbar verändert. Und dennoch müssen wir sagen, dass da noch ein langer Weg vor uns liegt.
Hat sich die Arbeit Ihres Mobilen Beratungsteams nach Bildung der Großen Koalition in Potsdam verändert?
Hülsemann:
Nein. Wir haben auch der CDU-Seite unsere Arbeit dargestellt und wir erfahren in dankenswerter Weise im Innenministerium ein hohes Maß an Wertschätzung.
Nach dem Rücktritt der Landesbeauftragten gegen Extremismus, Uta Leichsenring, Ende vergangenen Jahres hat die CDU gefordert, die gesamte bisherige Arbeit gegen Rechtsextremismus zu überdenken. Was halten Sie davon?
Hülsemann:
Darüber sollte man ständig nachdenken. Schließlich wird für diese Tätigkeit auch viel Geld ausgegeben. Es ist immer wichtig zu überlegen, wie wir unsere Anstrengungen verstärken, Synergieeffekte erzielen können.
Sie sind Theologe, nicht Politiker. Warum engagieren Sie sich so intensiv gegen den Extremismus von rechts?
Hülsemann:
Welche Wirkung eine menschenverachtende Ideologie auch auf spätere Generationen ausübt, hat mich schon seit frühen Jahren beschäftigt. Ich habe mir stets vergegenwärtigt, dass in Nazi-Deutschl and Menschen der Vernichtung preisgegeben wurden und die Nachbarn haben zugeschaut; vielleicht am Ende noch die Möbel billig erworben. Später in der DDR fand die Auseinandersetzung mit diesem Geschehen nur mangelhaft statt. Wie auch? Bei meinen Lehrern war deren Erziehung in Hitlerjugend oder Militär unverkennbar. Ich erinnere mich deutlich: Wenn es Ärger gab, dann brüllten sie. Dazu kamen Rituale wie das Marschieren oder Strammstehen beim Fahnenappell. Viele von uns wurden damals autoritär deformiert. Demokratie als politische Wertegemeinschaft sichert nach meiner Überzeugung am ehesten humane Lebensgestaltung. Das aber geschieht nicht im Selbstlauf. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, die demokratische Ordnung außer Kraft zu setzen. Entweder wir halten es miteinander aus oder wir kriegen es nicht hin.